Faszinierende Faszien

Von Renate Albrecht

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Jeder hat schon einmal Faszien gesehen, ob bewusst oder unbewusst. Aber spätestens, wenn wir im Supermarkt an der Fleischtheke stehen, haben wir sie vor Augen: die weiße zähe Haut an jedem Schweine- oder Rinderfilet ist ein Rest der Faszie, die die Muskulatur umgibt.

Bis vor einigen Jahren wurde den Faszien noch keinerlei Bedeutung für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei Mensch und Tier zugesprochen. Und plötzlich kam der Faszienhype und Kurse wie Faszientraining, Faszienyoga, Faszienpilates, Faszienfitness schossen wie Pilze aus dem Boden. Es gab fortan kaum eine Sportart im Fitnessbereich, die sich nicht auch den Faszien widmete. Jeder Physiotherapeut, Osteopath, Trainer und Sportler kam um das Thema Faszien nicht mehr herum und musste sich damit beschäftigen. Doch was ist dran an den Faszien und was hat das alles auch mit unseren Hunden zu tun?

Was sind Faszien?

Das Fasziensystem kann man sich als eine Art dreidimensionales bindegewebiges Netzwerk vorstellen, das alles im Körper miteinander verbindet. Dieses System wird gebildet aus Fasern, Zellen und einer geleeartigen Masse und reicht von Kopf bis Fuß. Gut ein Fünftel des Körpers macht dieses Bindegewebe aus. Da es auch Strukturen wie Stränge und Faserbänder bildet, sprechen Wissenschaftler von „Faszien“ (lateinisch fascia = Band). Dieses feinmaschige Gewebe hat eine hochkomplexe Struktur, es dient der Informationsweiterleitung, trägt mit seinen Propriozeptoren entscheidend zur eigenen Körperwahrnehmung bei und auch im Gegensatz zu früheren Annahmen ist es mit Schmerzrezeptoren ausgestattet.

Dabei sind die Faszien viel mehr als nur Bindegewebe. Sie bilden ein dichtes Netzwerk aus Kollagenfasern, Fibroblasten, Makrophagen und verschiedenen anderen Zelltypen.

Das Bindegewebegeflecht umgibt alle inneren Organe, es durchzieht den Bauch- und Brustraum, kleidet den Schädel aus, umhüllt Nerven und Blutgefäße und durchzieht, strukturiert und umgibt die gesamte Muskulatur.

 

Stellen Sie sich vor, Ihr Hund wälzt sich am Boden oder ein Mensch springt einen dreifachen Salto. Wären keine Faszien vorhanden, die dem Körper eine Struktur geben, würden sämtliche Organe durcheinandergewürfelt werden. Die Faszien halten den Organismus zusammen, wie ein strammes Korsett, das von den Zehen bis in die Fingerspitzen reicht. So gibt es Bindegewebsschichten, die die Organe umgeben und sie am Platz halten, und wieder anderes Fasziengewebe verhindert, dass Muskeln und Gelenke aneinanderreiben. So ist auch jede noch so kleine Muskelfaser von einer hauchdünnen Faszienhülle umgeben, mehrere Fasern zusammengefasst sind wiederum von einem dünnen Faszienmantel umgeben, mehrere Bündel zusammengefasst stecken dann wiederum in einer „größeren Tüte“, und mehrere Bündel ergeben einen Muskel, der nochmals von einer Schale aus Bindegewebe umgeben ist. Ohne diese einzelnen Schichten in der Muskulatur käme keinerlei Bewegung zustande, denn die Faszien sind es, die für die Weiterleitung der Kräfte und Übertragung durch Sehnen auf die Knochen sorgen.

Das Bindegewebe ist das größte Sinnesorgan im Körper und ist dafür verantwortlich, dass der Mensch seine Arme und Beine und der Hund seine vier Gliedmaßen koordiniert und zielgerichtet bewegen kann. Neben den Rezeptoren für Verletzungen besitzt das Fasziennetz weitere Messfühler, die eine noch so geringe Dehnung und Veränderung ihrer Lage zum Gehirn melden. Die Faszien haben also eine wichtige Funktion, was die Innenwahrnehmung, also das Gefühl für den eigenen Körper darstellt. Ohne Faszien könnte kein Lebewesen stehen oder sich bewegen, denn um das Gleichgewicht zu halten, sind ständige Ausgleichsbewegungen nötig.

Heute weiß man, dass die Faszien ein wichtiges Instrument unserer Körperwahrnehmung sind und über eine Vielzahl an Rezeptoren und freien Nervenendigungen verfügen. Eine wichtige Funktion übernehmen die Faszien bei der Stabilisierung des Körpers, einschließlich aller Gelenke und der Körperhaltung. Eine besondere Bedeutung haben Faszien auch im Zusammenspiel mit den Muskeln; ein Muskel wäre ohne Faszien nicht leistungsfähig, denn sie spielen eine wichtige Rolle bei jeder Bewegung in der Propriozeption und Koordination. Die Faszien sind das Gewebe mit der höchsten Anzahl an Mechanorezeptoren im Körper.

Des Weiteren üben die Faszien als Umhüllung von Organen und Geweben eine mechanische Schutzfunktion aus und sie spielen eine wichtige Rolle in der Körperabwehr. Durch die im Bindegewebe eingelagerten glatten Muskelzellen beeinflussen die Faszien sowohl den venösen Rückfluss als auch die Lymphzirkulation.

Früher hielt man Faszien eher für ein wenig bedeutsames „passives“ Stütz- bzw. Verbindungsgewebe und als Füllmasse ohne wichtige Funktion. Bei Operationen wurde die als unbedeutend eingeschätzte weiße zähe Schicht einfach weggeschnitten, damit man die Sicht auf das Wesentliche (z. B. Muskeln und Organe) hatte.

 

Erkenntnisse aus der Humanmedizin – jetzt auch in der Tiermedizin

Trotz seiner funktionellen Vielfalt hat das Fasziensystem viele Jahrzehnte lang ein medizinisches Schattendasein geführt. Erst in den letzten Jahren hat vor allem die Entwicklung neuer Untersuchungsmethoden, mit denen sich die Strukturen, die Funktionen und die Veränderungen der Faszien präzise darstellen lassen, die Faszien zunehmend ins Blickfeld der Wissenschaft gerückt.

Federführend in der Faszienforschung beim Menschen und Leiter des „Fascia Research Project“ ist der Biologe Dr. Robert Schleip vom Universitätsklinikum in Ulm.

Durch moderne bildgebende Verfahren ist es möglich, die sehr filigrane Struktur des Gewebes sichtbar zu machen, und so haben Wissenschaftler begonnen, die wahre Bedeutung und Funktion des Gewebes zu erkennen. Denn anders als die Muskulatur ist das Bindegewebe mit hochempfindlichen Messfühlern bestückt und kommt nun als mögliche Ursache für viele bislang unerklärliche Schmerzen am Rücken und an den Gelenken infrage.

Nachdem die Bedeutung und Behandlung von Faszien im Humanbereich schon längst Einzug gehalten haben und aus der Physiotherapie und dem Sportbereich als Faszientherapie und Faszientraining als Maßnahmen in der Prävention und Rehabilitation nicht mehr wegzudenken sind, wurden die Faszien zum ersten Mal auf den Baden-Badener Fortbildungstagen für Tierärzte im April 2016 thematisiert.

Hier wurde unter anderem darüber diskutiert, wie Tierärzte das neue Wissen über Faszien bei der Diagnose und Therapie von Schmerzen und Lahmheiten bei den vierbeinigen Patienten einsetzen können.

Machen wir uns noch einmal bewusst, dass Faszien im Körper alles mit allem verbinden. Sie sind vor allem auch für das optimale Zusammenspiel von einzelnen Strukturen während einer Bewegung verantwortlich. Solange das fasziale Netzwerk dynamisch und flexibel bleibt, können die einzelnen Strukturen optimal zusammenarbeiten. Gibt es Veränderungen in diesem Netzwerk, in dem es hart und fest wird, kann das die Ursache für körperliche Probleme und verminderte Leistungsfähigkeit sein. Spannungen in diesem System können Schmerzen auslösen und somit für viele Beschwerdebilder verantwortlich sein.

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