Über den Umgang mit ungefragten Ratschlägen

von Manuela Zaitz

+++ LESEPROBE aus der SPF 41 +++

„Da müssen Sie durchgreifen, der tanzt Ihnen sonst bald auf der Nase herum“, „Der hat noch Welpenschutz, lassen Sie den ruhig laufen“, „Sie müssen deutliche Grenzen setzen“, „Wenn Sie weiter mit Leckerchen bestechen, dann wird der mal richtig gefährlich, der braucht Grenzen.“

Ratschläge sind auch Schläge, sagt der Volksmund, und er hat recht damit.

Jeder von uns kennt diese Situation: Aus heiterem Himmel bekommt man einen guten Ratschlag serviert. Wahlweise von völlig Fremden oder aber auch aus dem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis.
Es kann dafür einen Auslöser geben, weil der Hund sich in der Öffentlichkeit „auffällig“ verhält, weil er bellt, an der Leine zieht, ein Signal nicht befolgt oder aus zahllosen anderen Gründen. Oder man wird unerwartet damit konfrontiert, während der eigene Hund sitzt und gelegentlich einen Keks bekommt, weil man auf dem engen Waldweg einen anderen Hundehalter passieren lassen möchte. Während der entgegenkommende Hundehalter seinen Hund durch die Situation ruckt, kommt dann eine Bemerkung wie: „Sie sollten mal in die Hundeschule, dann geht der auch an anderen vorbei.“
Solche „Ratschläge“ und dumme Bemerkungen lassen uns häufig wütend oder hilflos zurück. Dabei ist es unerheblich, ob es wirklich ein gut gemeinter Rat ist oder ob sich jemand nur auf unsere Kosten profilieren möchte. Es schwingt auch bei den gut gemeinten Anregungen eine Wertung mit, die beim Empfänger ankommt als: „Du machst etwas falsch, ich weiß, wie es besser geht.“
Niemand mag so eine Wertung, trotzdem haben wir alle damit schon Erfahrungen gemacht und die meisten von uns auf beiden Seiten, denn Hand aufs Herz, wer kann sich wirklich davon freisprechen, noch nie einen ungefragten Verbesserungsvorschlag gemacht zu haben?

Die meisten Menschen ertragen solche Bemerkungen und Empfehlungen klaglos, zucken mit den Schultern und regen sich erst später, bei Freunden, über die verbalen Übergriffe auf.
Das verändert zwar nichts, aber wenigstens ist man mal alles losgeworden. Bei der nächsten Gassirunde bekommt man dann gleich aber die nächsten Ratschläge und schlauen Sprüche.

Ein kleines Beispiel dazu:
Ich habe seit Juni einen Welpen, und wenn ich für jeden ungefragten Tipp seit der Zeit zusätzlich auch noch einen Euro bekommen hätte, der nächste Urlaub wäre gesichert. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob mein Gegenüber weiß, dass ich Trainerin bin, der Ratschlag muss raus.
Mein Welpe war vier Tage bei mir, da sagte eine Kundin zu mir: „Der hat dich ja ganz schön im Griff.“
Solche Sprüche sind mir noch vertraut aus meiner Zeit als junge Mutter, denn in Kinderfragen kann auch jeder Ratschläge erteilen, ob er Kinder hat oder nicht, fähiger als die Mutter ist der Ratgebende auf jeden Fall. Meint er.
Dabei ist „Der hat dich ja ganz schön im Griff“ nicht mal ein Ratschlag, das ist einfach nur eine dumme und überflüssige Bemerkung.
Eine Beurteilung, die demjenigen überhaupt nicht zusteht. Nun kenne ich die Kundin schon viele Jahre, ich kenne ihren Hund, und ich bin mir sicher, genau diese Bemerkung hat sie selbst schon häufig gehört. Ich bin seit vielen Jahren Hundetrainerin und habe eine lange Reise gemacht, bis ich im gewaltfreien Hundetraining angekommen bin. Ich kenne alle Vorurteile dazu und sie berühren mich nicht. Ein neun Wochen alter Welpe ist ein Baby mit sehr vielen Bedürfnissen, und einen Welpen zu sich zu nehmen, bedeutet die Verantwortung für all diese Bedürfnisse zu übernehmen.
Und wenn der Welpe überfordert ist, nehme ich ihn auf den Arm, damit er sich beruhigen kann, und helfe ihm aus der Situation. Wenn ich in dieser Situation mit meinem beruflichen Hintergrund dann gesagt bekomme: „Der hat dich ja ganz schön im Griff“, kann ich gelassen antworten: „Ja, das muss er ja auch, sein ganzes kurzes Leben hat sich gerade völlig verändert. Mutter und Geschwister sind von jetzt auf gleich nicht mehr da, und er lebt in einem fremden Haus mit einem fremden Hund, und er braucht jetzt vor allem Sicherheit.“
Was eine solche Bemerkung allerdings bei einem Ersthundehalter anrichtet, weiß ich auch, weil mir das als Trainerin berichtet wird. Die Leute sind verunsichert, sie möchten alles richtig machen und haben Sorge, sich einen „kleinen Tyrannen“ oder eine „kleine Prinzessin“ heranzuziehen.
Eltern nicken an dieser Stelle wissend, denn man kann fast jeden beliebigen Erziehungsratschlag auch auf Kinderfragen ummünzen.
Da wir immer wieder damit konfrontiert werden, ist es sinnvoll, sich Strategien zu überlegen, wie man mit solchen RatSchlägen umgehen möchte.
Wir werden die anderen Menschen nicht verändern, aber wir haben es in der Hand, wie wir uns dabei fühlen und wie wir darauf reagieren. Da gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, die man verfolgen kann, abhängig davon, in welcher Beziehung man zum Ratgebenden steht und welcher Typ Mensch man ist.

Ratschläge von Fremden

Trifft man auf der Hundewiese einen unbekannten Menschen, der einem erklärt, wie der eigene Hund so tickt, warum er so ängstlich, so forsch, frech, dominant oder was auch immer ist, kann man ganz neutral „Vielen Dank für Ihren Rat“ erwidern und weitergehen. Seid ihr eher der sarkastische Typ oder ist euch der Ratschlagende schon häufiger begegnet, könnt ihr natürlich auch klarer werden: „Vielen Dank für Ihre – immer wieder – unfassbar großartigen guten Ratschläge. Sollte ich noch einen benötigen, frage ich Sie.“ Mit der richtigen Portion Ironie in der Stimme versteht es der Gesprächspartner vielleicht. Einen weiteren Gesprächsverlauf mit „Ich hab es ja nur gut gemeint“ würde ich persönlich mit „Danke dafür“ beantworten.
Es lohnt sich nicht, solche flüchtigen Begegnungen ausufern zu lassen, denn was bringt es, eine Diskussion zu führen mit jemandem, den ich nie wiedersehen werde? Gezieltes Ignorieren und Schweigen kann auch eine Taktik sein, die Situation ohne Aufregung zu verlassen.
Hält sich bei mir jemand hartnäckig mit Kommentaren und Tipps, lächle ich gern freundlich und erwidere: „Wollen wir es so halten: MEIN Hund, MEINE Regeln, IHR Hund, IHRE Regeln?“
Das hilft oft, ein ungewolltes Gespräch zügig zu beenden, ohne es eskalieren zu lassen.
Freundlichkeit hilft in der Regel immer, auch und gerade wenn das Gegenüber in seiner Gesprächseröffnung und mit seinen Tipps übergriffig und unfreundlich war. Ihr seid nicht dazu gezwungen, euch auf das gleiche Niveau zu begeben, und schon gar nicht, euch die Stimmung verderben zu lassen.
Ihr bestimmt, wer euch wütend machen darf, und diese Erlaubnis gebt ihr bitte nicht jedem dahergelaufenen „Experten“ auf der Hundewiese.
Reagiert man freundlich und bestimmt, dann wirkt man souverän auf sein Gegenüber. Bei einer zurückgekeiften patzigen Erwiderung auf den Ratschlag eher weniger. Zudem wird man bei einer aggressiven Entgegnung zwangsweise auch wütend, und eine dumme Bemerkung eines fremden Menschen sollte nie so viel Macht haben, die eigene Laune zu verderben.
Natürlich ist man nicht an jedem Tag gleich gut drauf, schlagfertig und gelassen mit seinen Mitmenschen. Es lohnt sich aber, daran zu arbeiten und diese Art der Reaktion auf ungebetene Ratschläge auch zu üben. Gerade wenn ihr nach solchen Belehrungen häufig aufgebracht seid und euch wünschtet, ihr wäret schlagfertiger, dann übt ein paar Erwiderungen ein, dann könnt ihr im Bedarfsfall einfach darauf zugreifen.

Der Freundeskreis
Viel schwieriger als die sinnlosen Diskussionen mit Unbekannten ist es, wenn es immer wieder Ratschläge aus dem Bekannten- oder Verwandtenkreis hagelt.
Hier beeinflussen die ungebetenen Tipps häufig die Beziehungsebene und man benötigt etwas mehr Kreativität und Fingerspitzengefühl, um die Situation dauerhaft so zu verändern, dass die Beziehung nicht vergiftet wird.
Natürlich kann man mit den Schultern zucken und mit gleicher Münze heimzahlen, aber man ist nicht dazu verpflichtet.
Zu bedenken ist auch: Die wenigsten „guten Ratschläge“ im Bekanntenkreis werden gegeben, weil der Gesprächspartner verletzen oder sich profilieren möchte, sondern aus dem Bedürfnis heraus, helfen zu wollen. Wenn man diese an sich gute Intention im Hinterkopf behält, dann ist es leichter, nicht verletzt und harsch zu reagieren.
Zum einen könnt ihr bei dummen Sprüchen und Bemerkungen ganz simpel fragen: „Wie hast du das gemeint?“ Im Beispiel mit meiner Kundin hätte sie wahrscheinlich gesagt, dass sie das ja gar nicht böse meine, und vielleicht auch von ihren Erlebnissen erzählt. Vielen Menschen wird erst bei einer Gegenfrage und genauem Nachhaken klar, dass sie gerade nichts Konstruktives angemerkt haben und ihre Bemerkung vielleicht nicht angebracht war.
Bei Ratschlägen, die Gewalt in der Erziehung gegen den Hund beinhalten, Leinenruck, Ignorieren, Wegstoßen etc., wird es mit so einer Frage schon etwas schwieriger, und ihr solltet euch gut überlegen, ob das nicht der Einstieg in eine richtige Auseinandersetzung ist.
Aber auch andere, eventuell sogar hilfreiche Tipps hat man schon ausprobiert, oder man arbeitet derzeit mit einem Trainer und möchte diesen Weg weiterverfolgen.
Steht man in näherer Beziehung zu dem Tippgeber, ist es einfacher, Dinge zu sagen wie: „Wir sehen das sehr unterschiedlich“, oder: „Vielen Dank für deine Meinung“, und damit das Gespräch zu beenden. Möchte der Gesprächspartner weiterdiskutieren, kann man diese Sätze im Wechsel stumpf wiederholen oder darauf hinweisen, dass man jetzt nicht weiter darüber sprechen möchte, sich das Gesagte aber gern noch mal durch den Kopf gehen lässt.
Ich bin ein großer Freund von Ehrlichkeit, eine Aussage wie: „Du magst recht haben, im Augenblick bin ich allerdings so gestresst, das mir deine Tipps nicht weiterhelfen“, kann einen Knoten zum Platzen bringen, denn es zeigt dem Gegenüber, dass es nicht hilfreich ist, obwohl das seine Intention war.
Wichtig ist, dass eure Reaktion authentisch ist und ihr euch mit dem, was ihr äußert, wohlfühlt. Das darf auch mal genervt und gestresst sein, aber je häufiger ihr solche Dinge geübt habt, umso gelassener werdet ihr sein. Und es fühlt sich so! gut an, eine Situation unter Kontrolle zu haben.

Selbstreflexion
Auch ich habe – leider – schon ungefragt Ratschläge erteilt, manchmal aus der Idee heraus, dem Hundehalter mit diesem simplen, kostenlosen Tipp eine echte Hilfestellung zu geben, teilweise allerdings auch wohl wissend, dass der Empfangende das nicht hören will. Aber ich wusste es ja besser. Meinte ich zumindest. Das kann auch gut sein, jedoch habe ich damit nichts bewirkt, denn wenn der Mensch meinen Ratschlag nicht hören möchte, wird er ihn schon gar nicht befolgen.
Kommen Menschen zu mir in den Unterricht, dann bezahlen sie mich dafür, dass ich mein Wissen mitteile. Dass ich sie beobachte und ihre Handlungen verbessere, dass ich Ratschläge und Tipps gebe, einen Trainingsplan und Zwischenziele festlege.
Wir Trainer haben gelernt, uns in kurzer Zeit ein Bild von Mensch und Hund zu machen, und sind daran gewöhnt, dass wir diesen Istzustand verbessern sollen.
Vor vielen Jahren war ich ambitioniert in Wald und Flur unterwegs und wollte so gern Hundehalter aufklären, ihnen das sagen, was sie noch nicht wussten, und wie sie es viel besser machen könnten mit ihrem Hund. Wie überaus nervig und übergriffig von mir! Aber ich war so voller Wissen und wollte so gern, dass auch andere davon profitieren.
Wollten die aber gar nicht, das wiederum wollte ich nicht sehen. Pattsituation.
Mir heute einzugestehen, dass ich genauso nervig war, wie ich manchmal meine Mitmenschen empfinde, ist nicht so schön, hilft aber dabei, Verständnis für mein Gegenüber zu haben.
Denn wenn wir ehrlich sind, haben wir alle schon ungefragt Ratschläge gegeben oder mit unbedacht dahingesagten Sprüchen andere verletzt:
Den Nachbarn mit dem neuen Hund getroffen, schwarzer Labbi. „Er heißt Balou“, verkündet der Nachbar stolz. Dass das der fünfte schwarze Labbi namens Balou ist, den man kennt, kann man dem Nachbarn auch einfach verschweigen. Statt dessen kann man die hübschen Augen – des Hundes! – lobend erwähnen und den beiden eine gute Zeit miteinander wünschen.
Die Nachbarin mit dem zerrenden Aussi getroffen: „Der zieht aber ganz schön.“ Gut, dass wir das der Nachbarin gesagt haben, das hätte sie sonst am Ende gar nicht gemerkt.
Die Oma gerügt, weil sie ihrem Dackel beim Mittagessen ein Stück Braten unter den Tisch schiebt, obwohl es weder unsere Oma, unser Dackel noch unser Tisch ist.
Solche Dinge haben wir alle schon gemacht, das Gute ist, wenn es uns einmal bewusst wird, dann können wir das auch abstellen oder zumindest einschränken.
Ich versuche mich heute mit ungebetenen Ratschlägen zurückzuhalten. Die einzige Ausnahme, bei der ich mich immer einmische, ist grobe Gewalt gegen Hunde, da schreite ich immer und nicht immer pädagogisch wertvoll ein. Solch ein Einschreiten hat aber nichts mit ungewollten Ratschlägen zu tun, sondern mit Zivilcourage. Beobachtet man Gewalt gegen Hunde (Menschen natürlich auch), hat man die Pflicht, einzuschreiten und gegebenenfalls anzuzeigen.
Bei allen anderen Begegnungen überlege ich mir, ob ein paar Grundbedingungen erfüllt sind: Liegt mir der Mensch persönlich am Herzen oder der Hund, warte ich auf eine Gelegenheit. Wenn es passt, erzähle ich ein Erlebnis aus meinem Hundehalterleben, und es gibt viele Episoden, die man als Hundetrainer eher nicht erzählen mag. Und dann frage ich meinen Gesprächspartner, ob er meine Gedanken zu seinem Hund, seinem Training, hören möchte.
Ich überlasse dem anderen Hundehalter die freie Entscheidung, ob er sich meine Sicht der Dinge anhören möchte. Die aktive Zustimmung meines Gesprächspartners macht ihn zugleich empfänglich für meine Botschaft, sodass der Betreffende sich den Rat viel offener anhört und so viel wahrscheinlicher wird, dass ich ihn damit erreichen kann.
Das Wichtigste: Verneint der Gesprächspartner die Frage, dann lässt man ihn in Ruhe. Man kann das Gespräch dann ganz offen beenden, indem man ihm mitteilt, dass man jederzeit gern für ein Gespräch zur Verfügung steht. So respektvoll, wie man selbst behandelt werden möchte.

Empfehlung
Wenn euch solche Situationen immer wieder zu schaffen machen, darf ich euch ein wunderbares Buch empfehlen: „Judo mit Worten“ von Barbara Berckhan. In diesem Buch bekommt man verschiedene Techniken an die Hand, in denen es nicht darum geht, dem anderen mal so richtig eins mitzugeben, es hilft vielmehr, mit verbalen Entgleisungen von Mitmenschen gelassen umzugehen.
Und nicht vergessen: Ihr bestimmt, wer euch wütend machen darf. Gebt so viel Macht nicht leichtfertig aus der Hand.

+++ Leseprobe aus der SPF 41 +++

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