Interview mit Dr. Ádám Miklósi

Autoren_Adam MiklosiEnde Januar 2014 hielt der ungarische Ethologe Dr. Ádám Miklósi in Bremen ein Seminar, bei dem es zum großen Teil um das soziale Lernen bei Hunden ging. Im Besonderen berichtete er von seinen Untersuchungen zum Lernen durch Beobachtung, sowohl von Hunden wie auch von Menschen. Der zweite Teil des Seminars hatte das Thema „Bindung und Trennung“. Hier wurden allgemeine Bindungstheorien vorgestellt und deren Übertragbarkeit auf die Mensch-Hund-Beziehung erläutert. Um diese Zusammenhänge besser zu verstehen und messbar zu machen, haben Dr. Miklósi und seine Kollegen eine Methode entwickelt, die auf Untersuchungstechniken zur Mutter-Kleinkind-Beziehung basiert und inzwischen auch in Großbritannien und Australien zur Anwendung kam. Am Rande dieses interessanten Seminars hatte Rolf C. Franck die Gelegenheit, für SitzPlatzFuss ein kurzes Interview zu führen.

Rolf C. Franck: Ádám, du sagst, dass man im Prinzip mit der üblichen Art der Aufzucht und Erziehung einem Welpen das Imitieren abgewöhnt. Wie meinst du das genau?
Ádám Miklósi: Die Idee dabei ist, dass die Welpen biologisch gesehen eine Neigung zum Imitieren oder sagen wir einmal zum Lernen durch Beobachtung haben. Es geht darum, ähnliche Verhaltensweisen auszuprobieren, zu den gleichen Plätzen zu gehen und überhaupt Informationen vom Elterntier durch Nachahmung zu gewinnen. Es ist ganz normal und man kann davon ausgehen, dass die Welpen das ständig untereinander und im Kontakt mit der Mutter praktizieren. Das Problem entsteht nun, wenn sie in eine neue Familie einziehen, denn dort werden sie ebenfalls diese Strategie anwenden. Meistens ist es aber so, dass es in einem normalen Haushalt nicht erwünscht ist, dass der Welpe das Gleiche tut wie der Mensch, zum Beispiel Essen vom Tisch zu nehmen. In manchen Situationen ist es natürlich gut, wie beim gemeinsamen Spiel, aber sehr viele Verhaltensweisen werden einfach verboten. Ich glaube, dadurch lernt der Welpe und später auch der erwachsene Hund, dass die ganze Idee, ähnliche Verhaltensweisen zu beginnen wie der Besitzer, nicht gut ankommt. Sie werden darauf trainiert, nur das zu machen, was erlaubt wird, oder zumindest nicht mehr automatisch in eine Nachahmung reinzugehen. Ich denke, das ist ein Problem, und daher finde ich das Nachahmungstraining (wie zum Beispiel Claudia Fugazza es praktiziert) eine gute Sache. Diese Übungen sind überhaupt nicht unnatürlich – und ich weiß, dass einige das so sehen –, aber im Prinzip ist es nur eine Erinnerung an die „guten alten Zeiten“ und damit ein Anknüpfen an die natürlichen, biologisch gegebenen Fähigkeiten des Hundes.
R. C. F.: Du beschäftigst dich seit Jahren mit dem Lernen durch Imitation, was sind für dich die wichtigsten Erkenntnisse zum aktuellen Stand?

A. M.: Ich hatte anfangs nicht wirklich ein Konzept oder eine Erwartung, welche Fähigkeiten die Hunde zeigen würden. Für mich persönlich war es schon eine sehr interessante Sache, dass sie überhaupt imitieren können, denn ich hätte das zu Anfang nicht erwartet. Deshalb bin ich sehr glücklich, mit Claudia (Fugazza, Anm. der Redaktion) zusammenzuarbeiten, da wir jetzt wirklich die Möglichkeit haben, mit vielen Hunden unter kontrollierten Bedingungen Versuche zu machen.
Es gibt zwei wichtige Aspekte bei unserer bisherigen Forschung: Zum einen glaube ich, dass man die Nachahmungsmethode sehr gut in der Mensch-Hund-Beziehung einsetzen kann, und deshalb ist es schön, dass mehr und mehr Leute es ausprobieren und vielleicht so mit dem Hund zusammen arbeiten. Zweitens ist es für mich als Wissenschaftler immer die interessante Frage: Was lernt der Hund durch solche Interaktionen? Wie versteht er menschliches Verhalten oder auch sein eigenes? Beispielsweise sieht es so aus, dass Hunde eine Präferenz dafür haben, Handlungen nachzumachen, die mit einem Objekt verbunden sind, im Gegensatz zu körperorientierten Aktionen, wie Nase kratzen, Augen zumachen oder husten und so weiter. Beide Arten von Aktionen kann der Mensch vormachen und beide könnte der Hund nachahmen. Das lässt uns vermuten, dass Hunde wahrscheinlich ein geringeres Verständnis für ihre eigenen Bewegungen haben, wenn sie etwas tun, und es deshalb schwieriger für sie ist, Verhaltensweisen nachzuahmen, die sich auf den Körper orientieren. Wir planen für die Zukunft genau da noch mehr zu untersuchen, welche Unterschiede es zwischen Mensch und Hund in diesem Fall gibt. Wir wollen klären, wie ein Hund eine Aktion von einem Objekt separieren kann und wie viel Erfahrung er braucht, um zu verstehen, dass Objekte und Aktionen sich unabhängig abwechseln und variiert werden können. Es ist zum Beispiel sehr häufig vor allem am Anfang des Trainings so, dass wenn ich dem Hund erst eine objektbezogene Nachahmungsübung und kurz darauf eine neue Aufgabe mit dem gleichen Objekt vormache, dass der Hund im zweiten Durchgang erneut die alte Übung wiederholen wird. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass er nicht ganz die Wichtigkeit der Aktion im Vergleich zum Objekt sieht. Natürlich lässt sich das durch Training verbessern, und da sind wir dann wieder bei der Frage nach der Erfahrung, die er braucht, um exakt nachahmen zu können.
R. C. F.: Was würdest du sagen, welche Aspekte deiner Forschung sind vor allem für Hundetrainer wichtig und interessant?

A. M.: Wenn ich ein Hundetrainer wäre, würde ich denken, dass alle Aspekte sehr interessant sind, da man immer die Verbindung zwischen Forschung und Praxis herstellen kann. Alles was mit Bindung und Trennung oder generell den sozialen Verhältnissen zwischen Mensch und Hund erforscht werden kann, könnte in der Praxis berücksichtigt werden. Ich glaube, dass wir und die Forschung beispielsweise viel dabei helfen können zu klären, wie es zu Verhaltensstörungen wie Trennungsangst kommt. Es sieht so aus, dass die Entwicklung von Trennungsangst nicht nur vom Hund abhängt, sondern auch davon, wie der Besitzer mit seinem Hund umgeht, und genau das könnte man noch weiter erforschen, um wirklich dazu Daten zu sammeln. Vielleicht hilft das dann auch in der Praxis, wenn man als Hundetrainer oder -therapeut mit einem Fall von Trennungsangst zu tun hat, denn dann muss man sich nicht nur um den Hund kümmern, sondern eben auch um den Besitzer. Ich glaube, dass man auch in der Hundeszene längst verstanden hat, dass Hundetraining zu 20 Prozent Hundetraining und zu 80 Prozent Besitzertraining ist.
Außerdem ist die Nachahmung sehr spannend, denn es ist eine neue Art von Hundetraining und man kann es in unterschiedlichen Situationen anwenden. Ich glaube, dass auch die Kognitionsforschung für Trainer interessant ist, um besser zu verstehen, was im Geist des Hundes vor sich geht, wie er auf Sachen reagiert. Ein Beispiel dafür wäre, dass ich sehr oft Leute höre, die denken, Hunde hätten einen Geruchssinn, der immer arbeitet und der sie den ganzen Tag von der ersten bis zur letzten Sekunde alles riechen lässt, weshalb sie in vielen Situationen auf Gerüche reagieren. Die Forschung zeigt uns, dass das nicht so ist. Natürlich ist es so, dass Hunde manchmal plötzlich einen Geruch wahrnehmen und darauf reagieren können. Aber sehr häufig ist es so, dass wenn sie mit anderen Handlungen beschäftigt sind, zum Beispiel in einer visuellen Aktion, sie überhaupt nicht auf vorhandene Gerüche reagieren. Solche Einsichten können sicher auch im Training interessant sein.
R. C. F.: Wird Nachahmungstraining wie das „Do As I Do“ eigentlich inzwischen für praktische Ausbildungssituationen, wie zum Beispiel bei der Ausbildung von Servicehunden eingesetzt?

A. M.: Das weiß ich nicht, ich habe immer gedacht, das sei eine sehr gute Idee, weil es viel einfacher ist, auf diese Art und Weise eine Generalisierung zu erreichen. Bei einem Hund, der über Markertraining trainiert wurde, ist es immer ein Problem, wenn er sehr viele spezifische Aufgaben hat, wie einen Aufzug zu rufen. Er hat also irgendwann in seiner Ausbildung gelernt, auf diesen Knopf zu drücken, um den Lift zu rufen, aber wenn man dann dahin kommt, wo er tatsächlich leben und diese Aufgabe ausführen soll, beginnt das Training meist von vorn. Es ist ein anderer Lift, ein anderer Knopf und so weiter. Beim „Do As I Do“ dauert es vielleicht zwei Minuten, eine solche Aufgabe zu vermitteln; man macht es vor, der Hund macht es nach. Dann kann man natürlich mit anderen Methoden das Verhalten verstärken, aber der Hund hat ohne langwieriges Nachdenken durch das menschliche Vorbild herausgefunden, was er tun soll. Deshalb könnte ich mir gut vorstellen, dass dies hier eine alternative Ausbildungsmethode wäre.
R. C. F.: Wie schneidet das „Do As I Do“ im Vergleich mit anderen Trainingsmethoden ab?

A. M.: Es ist sehr schwierig, verschiedene Trainingsmethoden zu vergleichen, vielleicht sogar fast unmöglich, und im Moment haben wir noch nicht genügend Daten, ich glaube aber, dass es ebenso gut ist wie andere Methoden. Natürlich muss man es dann auch gut anwenden, aber ich denke, dass es außerdem wichtig ist, nicht eine Rivalität zwischen der Methode A, B oder C zu sehen. Jeder Trainer oder Hundebesitzer kann auswählen, welche Mischung an Trainingsmethoden für ihn/sie oder den Hund am besten wäre, und das dann in Kombination anwenden. Einige Methoden passen besser zusammen als andere, zum Beispiel lassen sich Methoden, die eine soziale oder auch materielle Belohnung wie Futter bieten, gut mit „Do As I Do“ verbinden.
R. C. F.: Du hast erzählt, dass deine Tochter zwei Hunde hat. Gibt es in eurem Alltag irgendwelche Situationen, wo ihr deine Erkenntnisse in der Praxis umsetzt?

A. M.: Wir leben sozusagen in zwei unterschiedlichen Welten, sie arbeitet sehr viel praktisch mit den Hunden und treibt auch Hundesport. Sie ist sehr geschickt und erfolgreich im Umgang mit ihnen, aber zum Beispiel „Do As I Do“ ist etwas, was sie von mir gelernt hat und was sie jetzt auch im Training benutzt. Meistens hat sie allerdings mit Problemhunden zu tun, so dass es vor allem anfangs um etwas völlig anderes geht und immer auch der Besitzer eine Rolle spielt. Aber ich schätze schon, dass sie dadurch, dass sie meine Tochter ist, größere Möglichkeiten hat, sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen und sicher unbewusst im Umgang mit Hunden beeinflusst wird.

Zur Person:
Dr. Ádám Miklósi …
… ist Leiter der inzwischen weltweit größten Forschungsgruppe zum Thema Hund. Als bekanntester Verhaltensforscher in der Kynologie leitet er am Lehrstuhl für Ethologie der Eötvös Lorand University in Budapest/Ungarn unter anderem Forschungsarbeiten auf den Gebieten des sozialen Lernens, der experimentellen Verhaltensanalyse, Verhaltensgenetik und Neuroethologie und der genetischen Basis von Verhaltensabweichungen. In den letzten Jahren steht die Erforschung der Mensch-Hund-Beziehung im Zentrum seines Interesses.
2011 ist die deutsche Übersetzung seines Buches „Hunde: Evolution, Kognition und Verhalten“ im Franckh-Kosmos-Verlag erschienen; eine Überarbeitung der englischen Originalfassung ist bis Ende des Jahres geplant.
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Dieses Interview ist eine Leseprobe aus der SPF Ausgabe 21

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