Haben Schilddrüsenhormone Einfluss auf das Verhalten?

Von Dr. Karin Voigt

 +++ LESEPROBE aus der SPF 43 +++

Diese Frage ist nach wie vor eines der Brennpunktthemen zwischen klinischen Tierärzten, Verhaltensmedizinern und Trainern. Wird doch fast jeder Hund, der verhaltensauffällig ist, zur Erstellung eines Schilddrüsenprofils geschickt. Eines ist unstrittig: Gerade in den frühen Erkrankungsstadien ist eine Schilddrüsenunterfunktion schwierig bis unmöglich eindeutig zu diagnostizieren. Aussagekräftige Studien sind Mangelware, bleibt doch häufig nur der therapeutische Versuch. Der Therapieerfolg wird an der Veränderung des Verhaltens festgemacht. Ist das wirklich ein gutes Kriterium? Wie objektiv kann ein Hundehalter das einschätzen?

 

Symptome einer (subklinischen) Hypothyreose

Fragen wir einen Kliniker nach den Symptomen einer Schilddrüsenunterfunktion, dann wird uns das Bild eines übergewichtigen trägen Hundes präsentiert.

Die Symptome unserer verhaltensauffälligen Hunde zeigen aber das krasse Gegenteil: Sie reichen von Unkonzentriertheit über Gewichtsabnahme bis hin zu einer hohen Erregungslage mit Angst- und Aggressionstendenzen.

Doch eigentlich klingt das eher nach einer Hyperthyreose, also einer Schilddrüsenüberfunktion. Untersucht man bei Hunden, die als einziges Symptom Verhaltensauffälligkeiten zeigen, das Blutbild, finden wir klassischerweise T4- und T3-Werte im unteren Bereich, der TSH ist meist unauffällig. Es ist also kaum zu unterscheiden von einem Schilddrüsen-gesunden Hund.

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist die sogenannte subklinische Hypothyreose der Beginn einer sich entwickelnden Unterfunktion. Das Problem ist: In diesem frühen Stadium sind fast ausschließlich Verhaltensveränderungen beobachtbar, diese sind zweifellos schwer objektiv zu beurteilen und kritisch zu hinterfragen. Zudem fallen nach den oben beschriebenen Verhaltenssymptomen, die auftreten können, ziemlich viele Hunde unter dieses Raster. Haben wir denn wirklich so viele Hunde mit einer Schilddrüsenunterfunktion? Und wie lässt sich erklären, dass die Symptome eher zu einem Hund mit Überfunktion passen würden?

Die anatomischen Folgen einer Unterfunktion

Die Schilddrüse besteht aus Follikeln, in denen die Schilddrüsenhormone T3 und T4 produziert und gespeichert werden. Bei einer Schilddrüsenunterfunktion werden diese Follikel nach und nach zerstört, es kann zur stoßweisen unkontrollierten Freisetzung von Hormon kommen. So lässt sich das Auftreten der zeitweiligen Symptome einer Schilddrüsenüberfunktion erklären, wie z. B. Unruhe und Aggressionsbereitschaft. Diese Hormonschwankungen können zu starken, scheinbar spontanen Verhaltensveränderungen führen. War der Hund gestern noch ganz normal und ausgeglichen, hüpft er am nächsten Tag wegen jeder Kleinigkeit aus dem Fell.

 

Der Zusammenhang zwischen Schilddrüsenhormonen und Stress

Hier müssen wir uns mögliche Ursachen für Schilddrüsenprobleme anschauen:

Zum einen haben wir die primäre Erkrankung der Schilddrüse. Zum anderen kann die Schilddrüse auch sekundär in Mitleidenschaft gezogen werden, z. B. wenn eine organische Erkrankung vorliegt. Aber auch chronischer Stress hat einen Einfluss auf die Schilddrüse. Dauerstress in Form eines über längere Zeit erhöhten Cortisolspiegels kann zum Absinken der Schilddrüsenhormone führen. Schilddrüsenhormone ihrerseits sind aber beim Abbau von Cortisol beteiligt. Tritt nun eine Unterversorgung mit Schilddrüsenhormon auf, kommt es zu Defiziten in der Eliminierung von Cortisol. Die Folge: Das Tier reagiert immer gestresster. Ein Teufelskreis beginnt.

Allerdings führt auch eine primäre Schilddrüsenerkrankung zu einer Intensivierung der Stressreaktion, betroffene Tiere sind stressanfälliger. Nun kommt die Frage der Fragen: Was war nun zuerst da? Das Stressgeschehen oder die Schilddrüsenerkrankung? Häufig können wir das anhand des Blutbildes nicht eindeutig festmachen. Es bleibt eine Einzelfallentscheidung, ob der Verhaltensmediziner den Hund mit Schilddrüsenhormon substituiert.

 

Schilddrüse und Neurotransmitter

Bekannt ist, dass Schilddrüsenhormone zahlreiche Stoffwechselvorgänge im Organismus beeinflussen. Sie haben regelrecht überall ihre Hände mit im Spiel. Mittlerweile gibt es Hinweise, dass Schilddrüsenhormone auch in Wechselwirkung zu Neurotransmittern stehen. Neurotransmitter sind für die Aktivierung von Emotionen und damit auch für die zu beobachtenden Verhaltensveränderungen verantwortlich. Serotonin z. B. ist ein ausgleichender Neurotransmitter; liegt ein Mangel vor, führt das zu Stressanfälligkeit, offensiver Aggression, Depression und zu impulsivem Verhalten. Dopamin wird z. B. beim Jagdverhalten ausgeschüttet, wenn der Hund auf der Suche nach Beute ist. Auch in der Arbeit mit uns, wenn unser Vierbeiner eine Belohnung erwartet oder wir mit ihm spielen, ist Dopamin am Start. Schilddrüsenhormone regulieren die Synthese sowohl von Dopamin als auch von Serotonin. Veränderungen in der Menge an verfügbaren Neurotransmittern führen, wie bereits am Beispiel von Serotonin aufgezeigt, zwangsläufig auch zu Verhaltensveränderungen.

Und bei noch einem Neurotransmitter haben die Schilddrüsenhormone ein Wörtchen mitzureden, nämlich bei GABA. GABA ist ein wichtiger hemmender Neurotransmitter im ZNS, der beruhigende Wirkungen hervorruft. Sein Gegenspieler ist das Glutamat. Ist nun zu wenig T3 und T4 vorhanden, wird die Aufnahme von GABA aus dem synaptischen Spalt in die Nervenzellendigung verzögert bzw. gehemmt: Das Gleichgewicht zwischen GABA und Glutamat wird gestört, der ausgleichende, beruhigende Neurotransmitter ist Mangelware.

 

Die Bedeutung der Schilddrüsenhormone für das Gehirn

T4 wird zum Teil direkt in den Organen des Körpers zu dem eigentlich wirksamen Hormon T3 umgewandelt. Nur wenig T3 wird daher über das Blut transportiert. Im Gehirn liegt der Anteil des selbst gebildeten T3 mit 70 bis 80 Prozent besonders hoch. Ein eigener Autoregulationsmechanismus sorgt auch bei einer bestehenden Schilddrüsenunterfunktion dafür, dass der T3-Gehalt im Gehirn möglichst lange stabil bleibt. T3 scheint also enorm wichtig für das Gehirn zu sein. Es wird sogar eine eigenständige Rolle als Neurotransmitter vermutet.

Offensichtlich haben die Schilddrüsenhormone auch im Gehirn eine Aufgabe. Der Beweis: Es konnten Rezeptoren für T3 und T4 im Gehirn nachgewiesen werden. Insbesondere das limbische System glänzt durch eine hohe Rezeptorendichte. Das limbische System spielt eine zentrale Rolle bei der Aktivierung von Emotionen. Strukturelle Veränderungen im limbischen System konnten beim Menschen in Zusammenhang mit einer Schilddrüsenunterfunktion gebracht werden. Und wieder haben wir eine Querverbindung zwischen Schilddrüsenhormonen und Verhalten.

 

Was nun? Wann sollte substituiert werden?

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten.

Lassen die Blutwerte einen klaren Verdacht zu und können andere Ursachen ausgeschlossen werden, z. B. eine andere Grunderkrankung oder Schmerzen allgemein, kann versuchsweise eine Substitution mit Thyroxin versucht werden. Insbesondere, wenn sich das Verhalten des Hundes von jetzt auf gleich verändert hat und wenn ohne ersichtlichen Grund unverhältnismäßig starke Reaktionen zutage treten.

Benötigt der Hund das Schilddrüsenhormon, dann ist eine Besserung des Verhaltens schnell beobachtbar, und zwar innerhalb von wenigen Wochen. Das ist allein durch Training nicht machbar. Jetzt kommen wir aber zum Problem des Ganzen: Wir können eine Besserung nur an den beobachtbaren Verhaltensänderungen festmachen, und die sind sehr subjektiv. Zurecht kann man hier von einem Placeboeffekt sprechen. Schaut doch der betroffene Hundehalter jetzt vielleicht anders auf seinen Liebling. Hier braucht es klare Kriterien, an denen wir objektiv festmachen können, ob sich etwas verändert hat, z. B.: Wie oft hat sich der Hund am Tag erschreckt oder wie lange konnte der Hund am Tag Ruheverhalten zeigen?

Wird ein Therapieversuch gestartet und es ist keine messbare Veränderung am Verhalten zu sehen, dann sollte Thyroxin wieder ausgeschlichen werden.

Und noch eines muss klar sein: Wir sprechen von Verhalten. Eine Verbesserung ist sicherlich zu erwarten, aber der Hund hat natürlich auch seine Lernerfahrungen in den letzten Wochen und Monaten gemacht. Und die sind nicht weg durch eine alleinige Hormongabe. Es braucht zusätzlich ein schlaues und zielführendes Training, ohne den Hund zu überfordern.

Kurzum: Es bleibt eine Einzelfallentscheidung, ob eine Substitution mit Schilddrüsenhormon versucht wird. Eine gute Zusammenarbeit zwischen klinischem Tierarzt, Verhaltensmediziner und Trainer kann Hund und Halter helfen, optimal unterstützt zu werden.


+++ LESEPROBE aus der SPF 43, Schwerpunkt Gesundheit und Verhalten

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