Generalisierte Angstprobleme in der Beratungspraxis

von Rolf C. Franck.
… eine Leseprobe  aus SitzPlatzFuss-Ausgabe 31

Am letzten Mittwoch in der Welpenstunde: Begegnungstraining mit unserer „Panda“, einer neunjährigen Border-Collie-Hündin. Gerade als die anwesenden Welpen ihre ersten Lektionen fürs freundliche und zurückhaltende Begrüßen von Hunden gelernt haben, prasselt plötzlich ein Hagelschauer auf uns herab. Wir alle flüchten schnell unter den Unterstand, auf dessen Blechdach die Hagelkörner hämmern, dass man sein eigenes Wort kaum versteht. Eine typische Schlüsselsituation für den Anstoß eines Angstproblems. Je nachdem, wie ich als Trainer und die jeweiligen Welpenbesitzer in dieser Situation reagieren, kann dies der Start in ein von Ängsten beeinträchtigtes Hundeleben sein.

Wenn es ganz schlecht läuft, beginnt die Reise in den Alptraum eines generalisierten Angstproblems. Als professioneller Berater tritt man leider oft erst viel später auf den Plan. Dann hat sich die Situation bereits gefestigt, den Alltag von Hund und Halter stark eingeschränkt und den hinreichenden Leidensdruck erzeugt, um Zeit, Geld und Mut aufzubringen, sich Hilfe vom Profi zu holen. Bis dahin wurden meist verschiedenste Versuche unternommen, die Probleme in den Griff zu kriegen. Anregungen dazu gibt’s schließlich von allen Seiten. Auf dem Gassi-Weg wimmelt es nur so von vermeintlichen Experten, die gerne und ungefragt ihre Tipps verteilen.

Auch im Internet, bei Facebook oder in anderen Foren, kann man sich Hilfe holen. In zahlreichen Sendungen im Fernsehen geht es um Hundeprobleme, hin und wieder auch um Ängste.  Dass sich all diese Informationen oft sehr widersprechen, zum Teil alles schlimmer machen, ist nicht nur wenig hilfreich. Es führt auf Seiten des Hundehalters, der Hundehalterin, zu noch mehr Hilflosigkeit. Tatschlich leiden sie oft genauso wie der Hund. Kurz gesagt, finde ich in der Beratung oft zwei verzweifelte Wesen und einen Scherbenhaufen vor.

(Foto: shutterstock.com/Kalamurzing)

Entstehung von Angstproblemen

Der Weg in die Angst beginnt in der Regel entweder mit einem stark beängstigenden Erlebnis des Hundes oder aber es handelt sich um einen schleichenden Prozess. Im ersten Fall könnte die Angst vor Knallern und Schüssen zum Beispiel damit anfangen, dass dem Hund ein explodierender Böller vor die Füße geworfen wird (Sie würden nicht glauben, wie viele unbedarfte Hundehalter ihren Vierbeiner bei Feuerwerk mit auf die Straße nehmen…). Dieser Schreckmoment ist mit sofortiger, hoher Erregung verbunden und der Hund fühlt sich vermutlich in seinem Leben bedroht. Dadurch tritt der Effekt des „Blitzlichtlernens“ ein und das Ereignis wird aufgrund nur eines Erlebnisses fest im Gehirn abgespeichert. Es ist kaum bis gar nicht zu löschen. Dies macht biologisch auch Sinn, denn lebensbedrohliche Situationen müssen später unbedingt vermieden werden. Noch stärker ist dieser Effekt, wenn das beängstigende Erlebnis mit Schmerzen verbunden ist. Diese könnten bei einem Knallkörper schon durch die Lautstärke im Gehör ausgelöst werden.
Denkbar wäre auch eine Situation, bei der der Hund von Wespen gestochen wird. Die Flugbewegungen und Geräusche dieser Tiere werden ebenfalls nahezu löschresistent als Angstauslöser gespeichert. Tatsächlich ist die so erknüpfte Angst vor Insekten darum kaum zu therapieren.
Bei Zuchthunden gilt es zu bedenken, dass solche traumatischen Erlebnisse und deren Verknüpfungen vermutlich epigenetisch an die Nachkommen weitergegeben werden. Auf der anderen Seite ist der schrittweise Weg in die Angst deshalb tückisch, weil die Besitzer oft erst etwas bemerken, wenn sie weit fortgeschritten ist. Typisch ist, dass der junge Hund z. B. am ersten Silvesterabend von der Knallerei ganz unbeeindruckt zu sein scheint. Seine Familie ist glücklich, da sie glaubt, das „Silvester-Problem“ sei an ihrem Hund vorbeigegangen. Ein aufmerksamer und/oder geschulter Beobachter hätte vermutlich gesehen, dass der halbwüchsige Vierbeiner durchaus leicht gestresst ist, ohne jedoch schon Angst zu empfinden. Dieses Erlebnis wird von seinem Gehirn gespeichert. Sobald ähnliche Dinge passieren, etwa bei einem Sommergewitter oder auch erst beim nächsten Jahreswechsel, wird die Erinnerung wach und verbindet sich mit den neuerlichen Erlebnissen. Spätestens mit dem dritten Silvesterkrach werden sich die Stressempfindungen in der Erinnerung so angehäuft haben, dass jeder sehen kann: Dieser Hund hat ein echtes Angstproblem.

 

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