Der Hund als Wirtschaftsfaktor – von Bedarfsanalysen zur Produktentwicklung

Konsument1Leseprobe aus SPF 17, von Sylke Schulte

 

Nach Angaben des Industrieverbands Heimtierbedarf leben in Deutschland über fünf Millionen Hunde, und so ist es schon lange kein Geheimnis mehr, dass auch die hiesige Industrie bereits „auf den Hund gekommen“ ist und die bellenden Zeitgenossen und ihre Besitzer als bedeutenden Wirtschaftsfaktor und Konsumenten anvisiert. Dabei reicht die Angebotspalette von speziellen Futtermischungen über Equipments wie Leinen, Futternäpfe, Körbchen etc. bis hin zu mal mehr oder mal weniger nützlichen Gadgets, wie Hundekleidung, Spielzeug oder diversen Traningsaccessoires. Der Markt hat erkannt, dass vielen Hundebesitzern das Wohlbefinden ihrer Vierbeiner lieb und teuer ist, und so werden fast am laufenden Band Neuheiten für Hundehalter präsentiert und die Produktpalette ständig erweitert. Doch wie sieht eigentlich der Prozess hinter diesen Neuentwicklungen aus? Woher wissen Produzenten, in welchen Bereichen des Hundelebens Bedarf herrscht, und woher nehmen sie ihre Ideen?

 

Marktforschung hautnah

Die Antwort auf diese Fragen liegt in Studien, die zum Beispiel von Herstellern und Produzenten an Marktforschungsunternehmen oder Universitäten in Auftrag gegeben werden. Diese Studien können sehr unterschiedlich geartet sein und durchgeführt werden – je nach Ziel der Studie können sie zum Beispiel das Potenzial und die Schwächen eines Produkts untersuchen, Zielgruppen definieren oder die Suche der Hersteller nach neuen Ideen und Anwendungen unterstützen. Ilka Kuhagen, von IKM und dem Marktforscher-Verbund Think Global Qualitative, erklärt: „Die Hersteller treten meist mit konkreten Studienideen an ein Marktforschungsunternehmen wie uns heran, und wir führen die Studie dann durch, wobei sämtliche Ergebnisse dem Auftraggeber gehören und natürlich nicht weitergegeben oder gar für andere Zwecke verwendet werden dürfen.“ Im Jahr 2013 führte die weltweit agierende Forschungsgruppe von Think Global Qualitative eine hochinteressante, selbst finanzierte Studie mit dem Titel „Mobile Unleashed: Dogs Go Mobile and Connect Online“ durch. Hauptziel der Studie war das Testen neuer Methoden zur Durchführung internationaler Studien, und so wurde in elf Ländern, darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Kanada, die USA, Mexiko, Südafrika und Indien, die Rolle des Hundes einmal näher beleuchtet. Neben dem Testen neuer Methoden, wie dem Gebrauch von Apps und der Nutzung von Onlineforen, in denen sich die Studienteilnehmer austauschen konnten, sollte es vor allem auch um das Aufdecken der Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Rolle des Hundes in den verschiedenen Ländern gehen. Dafür wurden in jedem Teilnehmerland 15 bis 20 Probanden ausgewählt, die im ersten Schritt ihren Hundealltag in einer Tagebuch-App auf ihrem Smartphone oder Tablet festhielten. Sowohl bei den Probanden als auch bei den Hunden handelte es sich um eine bunte Mischung jedweden Geschlechts oder (Hunde-)Rasse. Mit den gewonnenen Daten sollten neue Möglichkeiten für die Produktentwicklung rund um das Thema „Hund“ gewonnen werden.

 

Internationale Studie – Durchführung und Logistik

Nachdem das Konzept stand, galt es zunächst einmal, passende Probanden für die Studie zu ermitteln. Da man bei dieser Studie die Probanden über einen längeren Zeitraum digital begleiten wollte, um bei Fragen rund um die Themen Hundeerziehung, Gesundheit und Training wirklich hautnah dabei sein zu können, war ein kompetenter Umgang mit neuen Technologien in diesem Fall eine Grundvoraussetzung. Neben traditionellen Rekrutierungsmethoden in Deutschland, zum Beispiel durch Datenbanken professioneller Rekrutierter, wurden in der vorliegenden Studie beispielsweise in den USA auch soziale Netzwerke herangezogen. Durch die Tagebuch-App war es den Teilnehmern möglich, nicht nur ihre Erlebnisse sofort zu schildern, sondern auch Bilder und Videos hochzuladen. Im Gegensatz zu klassischen Befragungsmethoden eröffnete diese Art der Datenerfassung dabei ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven. Kuhagen, Leiterin der Studie in Deutschland, erklärt: „Wir bekommen viele Emotionen und Erlebnisbeschreibungen in Echtzeit, nicht nur im Rückblick und verschleiert durch Erinnerung. Auch bekommen wir viele Fotos und Videos und sehen darauf Situationen zum Weiterdiskutieren und Vertiefen. Oft entdeckt man da Dinge, die den Probanden viel zu banal erscheinen, um sie zu erwähnen, die aber für die Studie hochinteressant sind.“

 

Nachdem die Teilnehmer eine Woche lang per App ihren Hundealltag dokumentiert hatten, begann die zweite Studienphase, in der die Hundehalter die Möglichkeit bekamen, sich in einem Onlineforum über ihre Vierbeiner auszutauschen. Hier wurden Geschichten, Probleme, Tipps und Tricks rund um den Hund diskutiert und durch das Forscherteam Problembereiche identifiziert, für die es auf dem Markt bisher wenig oder gar keine Lösungen gibt. Obwohl die Studie sehr breit ausgelegt war und mehr als nur einen Bereich für die Produktentwicklung oder das Anbieten von Services rund um das Thema Hund untersuchte, ist die Herangehensweise in der Marktforschung nicht unüblich. Mehr und mehr wird bei Produktentwicklungen in den letzten Jahren der Konsument direkt miteinbezogen. Bei der Methode der sogenannten Co-Creation werden Zielgruppen direkt angesprochen und haben so die Möglichkeit, die Produktentwicklung maßgeblich mit zu beeinflussen. Der Vorteil für die Hersteller liegt auf der Hand: Mithilfe des Endnutzers lässt sich ein Produkt entscheidend optimieren und an die Bedürfnisse des Markts anpassen.

 

Die Rolle des Hundes

Besonders interessante Ergebnisse lieferte diese Studie im Hinblick auf die Rollen, die der Hund in den verschiedenen Ländern einnimmt. So wurde der Hund von den Studienteilnehmern in den USA zum Beispiel noch weit mehr als in Deutschland üblich als Kindersatz gehalten. Kuhagen: „In den USA gibt es sogar eine ganze Bewegung, die sich auch selbst als ,Hundeeltern‘ tituliert. Für diese Menschen ist der Hund weit mehr als nur ein beliebiges Familienmitglied, und so boomen dort drüben Accessoires wie Faschingskostüme oder Weihnachtsgeschenke für die Vierbeiner.“ In anderen Ländern, wie beispielsweise Südafrika, wurde der Hund von den Studienteilnehmern in erster Linie als Wachhund angesehen, dessen Aufgabe klar in der Verteidigung der Familie zu finden ist. In wieder anderen Ländern, wie zum Beispiel Indien, ist die Rolle des Hundes sehr ambivalent: Die vielen Straßenhunde werden einfach hingenommen und vielleicht mal von der ein oder anderen barmherzigen Hand gefüttert. Wer sich jedoch einen Haushund leisten kann, der sieht diesen oft vermehrt als Vorzeigeobjekt und Statussymbol, das – ein bisschen wie ein neuer, teurer Wagen – gehegt und gepflegt wird. Andersherum überraschte auch die Rolle der deutschen Hunde in anderen Ländern: Der Hund als Freund und Partner, wie er von den meisten Teilnehmern der Studie hierzulande beschrieben wurde, der sein Herrchen oder Frauchen möglichst überallhin begleitet, sorgte in anderen Ländern für Verwirrung, aber auch zur Anregung neuer Ideen. Diese Erkenntnisse können bei der Produktentwicklung und Vermarktung von entscheidender Bedeutung sein. Zu wissen, welche Rolle der Hund im anvisierten Zielland einnimmt, kann über den Erfolg oder Misserfolg eines Produkts oder Service für Hundebesitzer entscheiden.

 

Studieninterpretation und Bedarfsanalysen

Aus diesen unterschiedlichen Rollen des Hundes ergaben sich innerhalb der verschiedenen Länder außerdem unterschiedliche Problembereiche, in denen die Industrie noch tätig werden könnte. Der Sinn einer solchen Studie liegt nicht zuletzt auch darin, Anbieter von Produkten rund um den Hund zu inspirieren und für das Marktforschungsteam eventuell den ein oder anderen Auftrag an Land zu ziehen im Hinblick auf neuartige Produktentwicklungen. Die vielfältigen Ergebnisse der breit angelegten Studie können dabei auf verschiedenste Weisen verwendet werden. Kuhagen erklärt: „Hierbei helfen uns vor allem die Diskussionen aus dem Forum. Viele der Hundehalter wurden aus Mangel an Alternativen auf dem Markt bereits selbst aktiv und die teils sehr kreativen Lösungen für alltägliche Probleme von Hundebesitzern haben uns selbst überrascht – da steckt für die Industrie noch sehr viel Potenzial drin. Zusätzlich konnten wir einige Probleme zum Beispiel für Hundehalter in Deutschland identifizieren, die in anderen Ländern bereits gelöst sind, bislang aber ihren Weg noch nicht hierhergefunden haben.“ Die Liste der Ansprechpartner für neue Ideen, die sich aus der Studie ergeben, ist dabei sehr umfangreich. Kuhagen: „Gerade in Deutschland fahren sehr viele Menschen beispielsweise gern und viel Rad mit ihren Hunden. Viele Teilnehmer der Studie äußerten allerdings Bedenken, was die Sicherheit angeht. An dieser Stelle könnten wir ansetzen und uns mit unseren Anregungen und Ideen zum Beispiel an Fahrradhersteller oder auch Gemeinden wenden, um das Radfahren mit Hunden sicherer zu gestalten. Ein ähnliches Problem haben wir im Bereich des Autofahrens identifiziert, was uns zu einer Zusammenarbeit mit Automobilherstellern oder Zulieferern inspirieren könnte.“

 

Dass Hundehalter oft um Ecken denken müssen und auch im Alltag mit den Hunden schon sehr häufig Kreativität gefragt ist, ist ja weithin bekannt. Doch erst Studien wie diese machen es oft möglich, aus einfachen Ideen von Hundehaltern ein massenkompatibles Produkt oder einen ausgereiften Service entstehen zu lassen, um auch anderen Hundebesitzern weiterzuhelfen. Besonders hilfreich war in diesem Fall der Austausch im Onlineforum, wo die Hundebesitzer ihre Lösungen für Probleme im Hundealltag präsentierten. So postete ein Teilnehmer seine Idee zum Regenschutz seines Welpen bei Spaziergängen: Er hatte einen Regenschirm umgestülpt und konnte ihn so ganz einfach über seinen jungen Hund halten. Ein anderer Proband hatte einen sehr kleinen Hund und war das ständige Bücken beim Erteilen von Belohnungen leid. Also bestrich er eine handelsübliche Fliegenklatsche mit Leberwurst, die er dem Hündchen zur Belohnung immer wieder hinunterreichen konnte. Andere Probleme schienen bei mehreren Hundehaltern aufzutauchen und stellen so nach Kuhagen sehr gute Ansatzpunkte für Hersteller und Anbieter dar. So beschwerten sich gleich mehrere der teilnehmenden Studienprobanden über instabiles, leicht durch spitze Hundezähne zu zerstörendes Spielzeug. Ein anderes Problem konnten Kuhagen und ihr Team im Bereich der Flugreisen identifizieren: „Keiner der deutschen Studienteilnehmer hat seinen Hund jemals mit auf eine Flugreise genommen. Die angegebenen Gründe sind dabei immer die gleichen: zu viel Stress für den Hund. An dieser Stelle können und sollten Flugreiseanbieter ansetzen, denn auch hier steckt noch sehr viel Potenzial.“ Auch auf einem anderen Marktsegment konnten dank der Studie noch Defizite entdeckt werden: Das Einsetzen moderner Technologien wie GPS etc. zur Überwachung und Ortung des Hundes ist noch lange nicht ausgereizt. Zwar war die Furcht der deutschen Teilnehmer, ihren Hund zu verlieren, im Vergleich zu anderen Ländern vergleichsweise gering, doch der Bedarf und die Bereitschaft, seinen Hund mittels Technologien zu überwachen oder sogar mit ihm zu kommunizieren, ist den Studienergebnissen zufolge definitiv gegeben. Wer würde nicht gern dann und wann einmal vom Büro aus gucken, was der geliebte Hund zu Hause gerade treibt, und ihm mit ein paar tröstenden Worten die Wartezeit verkürzen? Andere anhand der Studie identifizierte Marktsegmente, die angesprochen werden könnten, sind zum Beispiel die Bereiche Equipment, Sport, Urlaub, Sitter, Food, Training usw. Zu all diesen Themen könnte man weitere, tiefer gehende Studien anvisieren – basierend auf dem jeweiligen Informationsbedarf und den Zielen des Auftraggebers und Herstellers.

 

Konsument2Von der Idee zum Produkt

Ist ein Problem durch eine Studie erst einmal erkannt oder ein spezieller Bedarf identifiziert, setzen sich die Marktforscher mit den Auftraggebern der Studie zusammen und diskutieren die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten. Die Teams der Marktforscher sind dabei oft an jeder Phase der Produktentwicklung beteiligt und stehen den Produzenten mit Rat und Tat zur Seite. Kuhagen: „Die Auswertung und auch die weiterführenden Verfahren bei Studien sehen immer unterschiedlich aus. Es gibt keine ,typische Studie‘ – die Auftraggeber definieren anhand von Bedarfs- und natürlich auch Budgetfragen, wie es weitergeht.“

 

Wurde anhand der Ergebnisse ein Prototyp (zum Beispiel ein neues Hundespielzeug) entwickelt, können die Marktforscher auch hier wieder ansetzen und Tests durchführen, um herauszufinden, wie Hunde das Produkt annehmen und wie es unter Umständen noch optimiert werden kann. Hierbei bieten sich wiederum verschiedene Wege an. So können die Produkttests innerhalb von Gruppen durchgeführt werden oder auch durch einzelne Halter und ihre Hunde, die ihre Ergebnisse zum Beispiel wieder online festhalten. Die Marktforschung beschreitet in allen Bereichen immer wieder gern neue Wege, und so ist ein hohes Maß an Kreativität, aber auch Intuition und Erfahrung gefragt, um ein Produkt letztendlich zum Erfolg zu führen. Auch das Auffinden von (neuen) Vertriebswegen, die Definition von Preissegmenten und der Bereich der Werbung können durchaus zu den Aufgaben der Marktforscher gehören.

 

Was sich Hunde wünschen

Die Prozesse hinter einer Produktentwicklung oder dem Anbieten von Services sind also sehr vielschichtig und oftmals sehr zeitaufwendig. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Produkt nun für den Menschen oder für ein Tier entwickelt wird, letztendlich erwarten ja auch die Hundebesitzer ein funktionierendes Endergebnis, das sein Geld wert ist und ihnen den Alltag im Leben mit dem Hund erleichtert oder den Hund glücklich macht. Die Bedürfnisse des Hundes sind dabei weitaus einfacher zu erfüllen als die menschlichen, und nach Aussage ihrer Halter muss dafür das Rad gar nicht neu erfunden werden. Kuhagen: „Auf die Fragen: ,Was würde sich Ihr Hund wünschen? Was würde ihn glücklich machen?‘, waren die Antworten fast immer die gleichen:

 

  1. Endlos viel leckeres Futter zur Verfügung zu haben.
  2. Niemals allein sein, sondern immer bei der Familie sein zu dürfen.
  3. Mehr Spielen und Schmusen.
  4. Mehr Eichhörnchen zum Jagen.
  5. Immer bei einem Familienmitglied im Bett schlafen zu dürfen.“

 

Sylke Schulte…

… Jahrgang 1980, studierte Anglistik und Germanistik an der Universität Bremen und verband nach Ihrem Studium Ihre Leidenschaft für Tiere mit Ihrem Beruf. Als freie Journalistin arbeitet Sie seit 2007 für diverse Pferde- und Hundemagazine und möchte so einen Beitrag zum besseren Verständnis zwischen Mensch und Tier schaffen. Aufgewachsen mit Hunden und Pferden, interessiert sie sich für alle Aspekte rund um die Vierbeiner, wobei ihr besonders die Umsetzung einer möglichst artgerechten Haltung und Beschäftigung am Herzen liegt.

 

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