„Wie die Luft zum Atmen“

Leseprobe aus SPF 19, Artikel von Petra Balai

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Der braun-weiße Mischlingswelpe King Kong wird freudig von seiner neuen Spielkameradin Rodica empfangen. Zusammen machen sie wild spielend das Zimmer unsicher und kommen dann zum Kuscheln zu Stefan und Ionut. Nach dem Abendessen geht es noch einmal kurz nach draußen, danach schläft die kleine Rodica, inzwischen todmüde, auf der Couch, während King Kong entspannt unterm Weihnachtsbaum noch ein wenig den Jungs beim Herumalbern zuschaut.

Diese heimelige Szene spielt sich nicht etwa in einem deutschen Durchschnittshaushalt ab, und wie das weitere Leben der beiden Junghunde verlaufen wird, ist recht ungewiss. Dennoch sieht ihre Zukunft vielleicht noch rosiger aus als das Leben, das auf Stefan, Ionut und die anderen Teenager hier wartet. Es ist Weihnachten 2014, am Rande von Europa, in Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens. Die Jungs, die sich hier so rührend um die Hunde kümmern, sie füttern, mit ihnen spielen und sie nachts auch auf ihren Lagern schlafen lassen, sind Straßenkinder. Ob als Kleinkind ausgesetzt, vor brutalen Familienverhältnissen geflüchtet, aus einem Kinderheim weggelaufen oder bereits in zweiter Generation auf der Straße: Diese Kinder – verlässliche Angaben über ihre Zahl existieren nicht, doch es dürften allein in Bukarest mehrere Tausend sein – haben niemanden, der sich um sie kümmert oder den es kümmert, was aus ihnen wird.

In den staatlichen Heimen, die Jugendliche unter 18 Jahren aufnehmen würden, geht es auch heute noch streng zu, und den Kindern, die ihr Leben lang auf sich allein gestellt waren, fällt es schwer, sich in diese starre Strukturen einzufügen, sodass sie es dort nicht lange aushalten. Ein Schulbesuch ist für die Straßenkinder utopisch, und so können viele von ihnen weder lesen noch schreiben. Von der eigenen Regierung werden sie lieber ignoriert, und deren zynische Hoffnung, dass sich das „Problem“ von selbst lösen wird, ist nicht unberechtigt: Praktisch alle diese Kinder beginnen früher oder später Drogen zu nehmen, leiden an Krankheiten wie Tbc, Hepatitis oder sind HIV positiv. Einstiegsdroge ist das silberne Farbverdünnungsmittel Aurolac, das in kleine Plastiktüten gefüllt und inhaliert wird. Die Spätfolgen, die diese Substanz auf Lunge, Gehirn und andere Organe hat, interessiert diese Kinder ohne Dach über dem Kopf und ohne Chance auf ein besseres Leben weniger. Die allseits präsente Billigdroge lässt sie ihre traurige Realität vergessen, unterdrückt das Gefühl von Hunger und Kälte und hilft, ein Leben zu bewältigen, das nach unseren Maßstäben niemandem zuzumuten ist.

Inmitten dieser Hoffnungslosigkeit gibt es allerdings eine Anlaufstelle für die Kinder, jungen Erwachsenen und Obdachlosen, die ansonsten durch alle Raster fallen: die Asociatia Homeless. Vor ca. zwölf Jahren fing alles recht harmlos an, als die Sozialarbeiterin Raluca Pahomi, deren damaliger Mann ein Restaurant betrieb, immer wieder von Straßenkindern um Essen für sich und ihre Tiere gebeten wurde. Bald bat man sie auch um Hilfe, wenn ein Tier medizinisch versorgt werden musste. Aus der sporadischen Hilfe erwuchs schnell eine regelmäßige Tätigkeit und schließlich eine Aufgabe, die sie heute rund um die Uhr vereinnahmt. Dabei lernte sie auch die Menschen auf der Straße näher kennen und schließlich jene Menschen, die in Bukarests unterirdischen Kanälen hausen.[1] Aus dem Tierschutz wurde eine private Hilfsorganisation für Mensch und Tier, die inzwischen mehr zu leisten versucht, als es möglich ist, eine Lebensaufgabe zwischen Sisyphosarbeit und dem Kampf gegen Windmühlen.

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Frau Pahomis Tagesgeschäft ist groß: Eine ganze Reihe von Jungs finden in den Büroräumen der Asociatia einen Zufluchtsort, an dem sie angstfrei ausruhen, warme Mahlzeiten erhalten und duschen können, zudem werden die Obdachlosen rund um den Nordbahnhof mit Essen und Kleidung versorgt. Auch bei Behördengängen, Arztbesuchen und Konflikten mit der Polizei hilft Frau Pahomi den von vielen Rumänen verachteten „Kanalmenschen“. Nicht zuletzt muss sie immer wieder Beerdigungen organisieren und oft auch finanzieren: Wer das 30. Lebensjahr erreicht, stellt hier bereits eine Ausnahme dar.

Daneben hat Frau Pahomi am Stadtrand Bukarests zwei Grundstücke gepachtet, auf denen sie derzeit ca. 70 Hunde betreut. Die Jungs helfen ihr beim Zubereiten der Mahlzeiten und abends beim Füttern. Die Hunde und auch einige Katzen kommen auf unterschiedlichen Wegen zu ihr: Einige kommen von den Menschen aus dem Kanal, andere aus Tierheimen, wie z. B. der aufgrund von Diabetes erblindete Lucky, der eingeschläfert werden sollte. Auch hat sie Tiere aufgenommen, die direkt von der Straße kommen, und sie versorgt zudem zahlreiche Streuner, die schon vor dem Grundstück warten, weil sie wissen, dass hier abends Futter geliefert wird. Sogar Tiere auf Nachbargrundstücken, die angekettet ihr Leben fristen und oft nicht einmal Wasser von ihren Besitzern bekommen, werden mitgefüttert.

Finanziert wird das alles aus Frau Pahomis eigener Tasche und wenigen Spendengeldern. Ein kleiner Kreis an Unterstützern beteiligt sich regelmäßig finanziell mit Spenden und zweimal wöchentlich liefert eine Hilfsorganisation Essen, das dann im Kanal unterhalb des Nordbahnhofs verteilt wird. Es gibt Vereinbarungen mit einem Laden und verschiedenen Metzgern, die ihr für ca. 250 € im Monat Fleisch- und Wurstreste überlassen. Diese werden sorgfältig sortiert, was überwiegend von den Jugendlichen erledigt wird: Ist etwas noch für den Menschen genießbar, wird es zur Zubereitung der Mahlzeiten verwendet, die Reste werden für die Hunde gekocht und auf Behälter und Tüten verteilt. Die großen Behälter sind für die Hunde auf den Grundstücken, während der Inhalt der Tüten rasch an die Streuner und Katzen draußen verteilt werden kann. Für die Katzen im Center wird aber auch schon mal besonders schönes Fleisch zubereitet; rumänische Katzen lassen sich offenbar nicht weniger gern verwöhnen als deutsche.

Auch das Katzenstreu und die nicht unerheblichen Kosten der medizinischen Versorgung übernimmt Frau Pahomi: Bevor sie die Hunde aufnehmen kann, müssen diese geimpft werden, es sei denn, man erkennt an der vorhandenen Ohrmarke, dass sie bereits einmal die medizinische Grundversorgung (Impfen und Kastration) durchlaufen haben. Behandlungen gegen Parasiten, akute Erkrankungen und Medizin müssen natürlich ebenfalls bezahlt werden. Ca. 90 % der Hunde sind bereits kastriert, für die Junghunde steht die Operation noch aus. Junge, kranke, alte und behinderte Tiere dürfen in den Räumlichkeiten der Asociatia übernachten, um sie besser pflegen zu können.

Hilfe gibt es noch von einer weiteren ungewöhnlichen Seite: Vor vielen Jahren lernte Frau Pahomi über den Tierschutz Bruce Lee, wie er sich selbst nennt, kennen. Durch ihn wurde sie auf das Schicksal der Menschen, die unterhalb Bukarests Straßen leben, aufmerksam, und seitdem fungieren beide als Mittler zwischen den Welten. Dabei kümmert sich Bruce Lee nicht nur um eine Gruppe von ca. 60 Menschen, die mit ihm in den Kanälen wohnen, sondern um eine schwankende, aber wachsende Zahl an Hunden und Katzen. Es sieht schon beeindruckend aus, wenn er, umgeben von zehn oder mehr frei laufenden Hunden, durch die Straßen Bukarests zieht, ganz ohne sie zu erziehen, aber auch fern jeglicher Pseudoautorität. Sein einziges Geheimnis ist, dass er diese Hunde füttert, ihnen ein Zuhause gibt und sie einfach so akzeptiert, wie sie sind. Dafür vergöttern ihn die Hunde und folgen ihm auf Schritt und Tritt. Mitunter attackieren sie dabei schon mal die Nummernschilder der Autos, wenn er die Straße überquert, und auch fremde Hunde lassen sie nicht an ihn heran.

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Bruce Lee, der aufgrund seines souveränen Auftretens und seiner auffälligen Erscheinung von in- und ausländischen Medien auch gern zum „König der Kanäle“ stilisiert wird, verbrachte seine Kindheit in den furchtbaren Waisenhäusern zur Zeit Ceauşescus und später sein gesamtes Leben als Erwachsener auf der Straße. Dass er dabei kein Heiliger ist, steht auf einem anderen Blatt. Wie er sich aber um die Hunde kümmert, die von den Obdachlosen seiner Meinung nach gebraucht werden „wie die Luft zum Atmen“, könnte vielen gut situierten Einheimischen ein Vorbild sein: Bruce sorgt nicht nur dafür, dass seine Tiere regelmäßig gefüttert werden, er kümmert sich auch darum, dass sie geimpft, kastriert und bei akuten Problemen medizinisch versorgt werden – wie der eingangs genannte King Kong, der seinen Durchfall in den Räumen der Asociatia Homeless auskuriert. Ohne hier falsche Romantik in eine vom Elend geprägte Situation hineinzuinterpretieren, kann man es nicht anders sagen, als dass es diesen Hunden gut geht: Sie verbringen den ganzen Tag mit ihren Bezugspersonen und den ihnen vertrauten Hunden, werden gut versorgt, kennen kein Eingesperrtsein und keine Zwänge. Intuitiv werden sie wie Familienmitglieder und mit Respekt behandelt, ganz ohne Macht- oder Rudelführergehabe. Im Gegenzug schließen sich die Tiere freudig und vertrauensvoll ihren Menschen an und haben im Vergleich zu vielen ihrer Artgenossen im Land beinahe das große Los gezogen.

Den Menschen, die in den Kanälen ein Zuhause am Rande der Menschenwürde finden, geht es weniger gut: Hier sind auch harte Drogen im Umlauf, die hygienischen Verhältnisse sind erbärmlich, auch wenn Bruce Lee die unterirdischen Gänge sogar mit Strom versorgt hat. Ein Fernseher, der etwas Abwechslung bietet, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier keine Waschgelegenheit und keine Toiletten gibt und dass hier Dutzende von Menschen zusammengepfercht sind, die erst von ihren Eltern, später von der Gesellschaft aufgegeben und vergessen wurden. Ein wichtiges Ziel der Asociatia Homeless ist daher, die Jugendlichen möglichst von den Kanälen und ihren Drogen fernzuhalten, auch wenn der Kampf gegen das Aurolac praktisch aussichtslos ist.

Gerade von diesen Kindern, die selbst nie in ihrem Leben Zuneigung erfahren haben, würde man wohl am allerwenigsten erwarten, dass sie auch Empathie für andere Geschöpfe entwickeln. Doch Frau Pahomi schafft es, den Jugendlichen durch die Mithilfe bei der Versorgung der Tiere eine Aufgabe zu geben, was einen durchaus therapeutischen Ansatz beinhaltet, auch wenn niemand hier dieses Etikett verwenden würde. Sie hat uns erklärt, warum die Tiere für die Obdachlosen und insbesondere die Jugendlichen so wichtig sind: Zum einen haben die Kinder am eigenen Leib erfahren, wie es ist, ohne Sicherheit und Familie auf der Straße zu leben und zu hungern, und können sich daher gut in die Tiere hineinversetzen. Umgekehrt erfahren sie von den Tieren ganz selbstverständlich die Akzeptanz, die ihnen von den meisten Menschen verwehrt wird. Egal, welche Geschichte sie mitbringen, in welchem bedauernswerten Zustand sie sich gerade befinden: Die Hunde lieben sie bedingungslos, stellen sie nicht zur Rede und haben an sie keine Erwartungen, die sie nicht erfüllen können. Unausgesprochen bleibt der vielleicht wichtigste Aspekt: Sie müssen sich nicht vor ihnen schämen und nicht für ihre bloße Existenz rechtfertigen. Die Tiere geben den Kindern die Chance, sich um jemanden zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen, auch einmal wichtig zu sein und jemandem eine Freude zu machen, und sei es nur durch ein bisschen Essen. Daher sollen die Hunde unbedingt weiterhin ein wichtiger Bestandteil des Hilfsprojekts bleiben!

Neben den täglichen Aufgaben, die Zeit und Geld verschlingen, wäre es ein langfristiges Ziel, das größere Grundstück in Teren entsprechend auszubauen, die Unterbringungsmöglichkeiten für die Hunde, die dort überwiegend in Zwingern leben, zu verbessern und vor allem eine offizielle Unterkunft für die Jugendlichen zu errichten, in der sie, geschützt vor Anfeindungen aus der Bevölkerung und fern den Kanälen, übernachten können. Dort könnte auch medizinische Hilfe und Aufklärung durch Fachpersonal sowie dringend nötige pädagogische und psychologische Unterstützung geleistet werden, um den Kindern eine Perspektive zu ermöglichen. Ein wichtiger Schritt dahin wäre es, eine Stiftung zu gründen, die auch staatliche Fördermittel beantragen könnte. Hierzu ist allerdings ein Grundkapital von ca. 15 000 Euro notwendig, eine Summe, die nicht ohne Weiteres angespart werden kann, da die laufenden Kosten mit den wenigen vorhandenen Mitteln gedeckt werden müssen. Auch eine seriöse Tierschutzorganisation, die junge, noch anpassungsfähige Hunde ins Ausland vermittelt, könnte vielleicht helfen, damit Platz bleibt für die nicht mehr zu vermittelnden Straßenhunde, die sich in fremder Umgebung nicht mehr zurechtfinden würden. Derzeit finden allenfalls Katzen ein neues Zuhause bei Einheimischen, das Interesse an Hunden ist dagegen gering.

Was nun die Jugendlichen anbelangt, so sollte man die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch ihr Leben zum Positiven gewendet werden kann. Es sind Kinder, die das Pech hatten, in schlimme Verhältnisse hineingeboren zu werden und die versuchen, ihr bisschen Leben so gut zu nutzen, wie es geht. Kinder, die Zuneigung empfinden können und verzweifelt versuchen, einen Halt zu finden, auch wenn ihre Aussichten, jemals ein „normales“ Leben zu führen, sehr gering sind. Obwohl sie wie alle Teenager auch einmal fröhlich und ausgelassen sein können, ist ihnen doch sehr bewusst, was sie alles in ihrem Leben entbehren müssen und wie wenig Kontrolle sie über ihre Zukunft haben. Dieser Artikel soll kein falsches Mitleid wecken, denn keines dieser Kinder empfindet sein Leben als nicht lebenswert. Er soll aber durchaus darauf aufmerksam machen, dass wir den Blick nicht immer abwenden können und dass diese Jugendlichen unser Mitgefühl und unsere Hilfe verdienen, soweit wir sie leisten können.

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Historischer Hintergrund der Straßenkinder in Rumänien

Als 1989 das Regime von Nicolai Ceaușescu und seines korrupten Clans nach 24 Jahren Diktatur gestürzt wurde, hinterließ er ein Land mit enormen Problemen. Um das Land wirtschaftlich voranzubringen, wollte er vor allem die Einwohnerzahl Rumäniens steigern und verfolgte daher das Ziel der 5-Kinder-Familie. Dieses Ziel wurde mit dem rigorosen Verbot von Aufklärung, Verhütungsmitteln und mithilfe einer monatlichen gynäkologischen Untersuchung in den Betrieben durchgesetzt. So sollten Schwangerschaften nicht geheim bleiben können, Abtreibungen wurden mit hohen Haftstrafen belegt. Da ohnehin ein Großteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebte, war es vielen Familien schlichtweg nicht möglich, sich angemessen um ihre Kinder zu kümmern. Neugeborene wurden daher einfach im Krankenhaus zurückgelassen oder im Kinderheim abgegeben.

So saßen 1990 ca. 140 000 Kinder in staatlichen Kinderheimen, deren Zustände teilweise verheerend waren, Hunger und Brutalität bestimmten den Alltag dieser entsorgten Kinder. Etwa 100 000 Kinder fanden sich auf der Straße wieder, und auch heute noch sehen viele Kinder darin oft die einzige Möglichkeit, zerrütteten Familienverhältnissen und Misshandlungen zu entgehen. Inzwischen gibt es zwar hervorragend geführte Heime, wie zum Beispiel Einrichtungen der ausländischen Stiftung Concordia, doch daneben existieren noch immer Institutionen, in denen es diese Kinder schwer haben, da sie es nicht schaffen, sich in feste Strukturen einzufügen. Auch ambulante Einrichtungen und Hilfsstellen knüpfen ihre Hilfe oft an Bedingungen, denen sich die Straßenkinder, die auf vielfältige Art und Weise traumatisiert sind, nicht gewachsen fühlen. Wenn man diesen Kindern eine Perspektive im Leben geben und sie in die Gesellschaft integrieren möchte, muss man entsprechende Hilfsangebote schaffen, die wirklich allen zugänglich sind.

 

Situation der Straßenhunde in Rumänien

Auch die Zahl der streunenden Hunde ist zum Teil der Geschichte des Landes geschuldet: Ceauşescus Absicht war es, aus Bukarest eine moderne Stadt mit wachsender Bevölkerungszahl zu machen. Um Wohnraum für möglichst viele Menschen zu schaffen, mussten die kleinen Höfe an der Peripherie Bukarests riesigen Plattenbauten weichen: Die Kleintierhaltung fand ein Ende, die Hunde wurden sich selbst überlassen und vermehrten sich. Bis zum Jahr 2013 wuchs die Zahl der Streuner allein in Bukarest auf ca. 60 000 an, man schätzt, dass landesweit auf 20 Millionen Rumänen zwei Millionen herrenlose Hunde kommen. Nachdem 2013 ein Vierjähriger tragischerweise von angeblich streunenden[2] Hunden getötet worden war, erließ die Regierung innerhalb von 14 Tagen ein Gesetz, das durch Einfangen und Euthanasieren der Hunde nach Ablauf von zwei Wochen das Problem lösen sollte. Obwohl bekannt ist, dass massenhafte Tötungsaktionen nie dazu führen, die Zahl der herrenlosen Tiere langfristig niedrig zu halten, wurde ein Budget von stattlichen 13 Millionen Euro bereitgestellt, wobei 50 Euro „Kopfgeld“ pro eingefangenem Hund durch Privatfirmen angesetzt waren. Hinzu kamen Rechnungen für Futter, Tierarztkosten, Einschläfern und Beseitigen der Kadaver, die oft das Fünffache der tatsächlichen Kosten betrugen. Die Gewinne für die damit beauftragten Firmen – nicht zufällig (teilweise über Strohmänner) im Besitz von Politikern und deren Verwandten – gingen in die Millionenhöhe.

Opfer wurden vor allem jene Hunde, die besonders vertrauensvoll und damit leicht einzufangen waren. Dem massiven Protest rumänischer Tierschützer ist es zu verdanken, dass dieses furchtbare Gesetz zunächst wieder ausgesetzt wurde, und die Aussagen des im November gewählten rumänischen Präsidenten Klaus Johannis lassen darauf hoffen, dass er in massenhaften Tötungsaktionen keine geeignete Lösung sieht. Doch die Situation der Hunde hat sich dadurch noch keineswegs verbessert und die rumänische Bevölkerung teilt sich hier in zwei Lager: Es gibt einerseits Leute, die sich von den frei laufenden Hunden belästigt oder gar bedroht fühlen, und andererseits Leute, die die Hunde füttern und helfen, wo es geht, oft in privaten Initiativen, denen ein Konzept oder einfach die Mittel fehlen. Neben umfassenden Kastrationsaktionen frei lebender Hunde wäre daher vor allem die Aufklärung der Bevölkerung und die kostenlose Kastration von Hunden in Privathand die sicherste Lösung, um in einigen Jahren einen deutlichen Rückgang der Zahl der herrenlosen Hunde verzeichnen zu können. Auslandsadoptionen bedeuten zwar für einzelne Tiere die verdiente Rettung, die Hilfe sollte sich aber natürlich auf die Verbesserung der Situation im Land konzentrieren, um langfristig die Population überschaubar zu halten und auch jenen Hunden zu helfen, die nicht vermittelbar sind.

 

[1] Um die Stadt mit Fernwärme zu versorgen, ließ der ehemalige rumänische Diktator Nicolai Ceauşescu ein weitreichendes System an Heizungsrohren unterhalb der Straßen Bukarests verlegen. Dieses Tunnelsystem mit seinen kochend heißen Rohren wird von zahlreichen Obdachlosen als Wohnstätte genutzt, um im Winter zumindest Schutz vor der Kälte und etwas Sicherheit zu finden.

[2] Für den furchtbaren Tod des Kindes ist es zwar unerheblich, allerdings stellte sich später heraus, dass es sich nicht um Streuner, sondern um Wachhunde gehandelt hatte. Dennoch wurde das Gesetz, das gegen die herrenlosen Hunde gerichtet war, zunächst aufrechterhalten.

 

Sie wollen helfen?

Die Asociatia Homeless wurde in Bukarest von Raluca Pahomi gegründet und verfügt derzeit nur über begrenzte Räumlichkeiten und finanzielle Mittel. Auf der neuen Homepage findet man nähere Informationen auf Rumänisch, Englisch und Deutsch.

Spenden sind unter folgender Kontonummer willkommen:

CEC Bank S.A. – Agentia Cotroceni

IBAN: RO52CECEB503C1EUR3650271

Wer weitere Fragen hat oder an einer Zusammenarbeit interessiert ist, kann sich (auch auf Englisch oder Deutsch) an diese Mailadresse wenden: asociatiahomeless@gmail.com

Weitere Informationen:  www.asohomeless.com

 

Leseprobe aus der SPF Ausgabe 19, Schwerpunkt „Tierschutzhunde“. Bestellen Sie das Einzelheft versandkostenfrei im Cadmos-Shop oder vielleicht gleich ein Abo?

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