Wölfe in Deutschland

Statement von Dr. Utz Anhalt zur „Rückkehr des Wolfes”

Die Rückkehr des Wolfes löst heftige Emotionen aus – dabei interessiert die Wiederkehr des Elches oder die Ausbreitung des Bibers kaum jemand. Die einen fürchten um ihre Kinder oder zumindest um ihre Schafe, die anderen begeistern sich für einen Botschafter der Wildnis.
„Der Wolf ist ein Tier, das unserer Vergangenheit angehört“, schrieb der Wolfsforscher Erik Ziemen. Er starb 2003, fast hundert Jahre nach dem Tod des letzten Wolfes in Deutschland, und er konnte nicht wissen, dass heute wieder über sechzig Wölfe bei uns ihre Heimat haben. Die Vergangenheit wird lebendig: Die Bilder vom Wolf sind nämlich in der Kulturgeschichte überliefert – ältere Menschen wuchsen auf mit dem Wolf als Bestie. Das Gegenbild ist eher bei Jüngeren verbreitet: Statt Angst vor dem Waldräuber zeigt sich Begeisterung. Diese „Wolfsfreunde“ sehen im Wolf die Heilung der geschändeten Natur. Wirkliche Erfahrung mit frei lebenden Wölfen hat kaum jemand und trotzdem ist der Wolf niemand gleich gültig. Das kulturelle Gedächtnis schlummert im kollektiven Unbewussten. Geschichte wird Gegenwart; der Wolf kehrt zurück und mit ihm die Irrungen und Wirrungen des europäischen Verhältnisses zur Natur. Die Bilder vom Wolf verraten die Gesellschaft, die diese Bilder produziert. Das Gemälde von Meister Isegrimm droht atavistisch als Ungeheuer im dunklen Wald, es glänzt heroisch als Herrscher über die Beute oder es schillert romantisch als edler Wilder. Realistisch ist es hierzulande jedoch fast nie.

Foto: Shutterstock
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Der „Wolf in uns“ verrät, wie wir die Welt außerhalb und innerhalb des Menschen handhaben; er verrät unsere Furcht, unsere Wünsche und unsere Abgründe. Warum löst aber gerade die Wiederkehr des Wolfes diese Gefühle aus, nicht jedoch die des Seeadlers oder des Schwarzstorchs? Kein Tier steht dem Menschen näher als der Wolf in seiner domestizierten Form Hund. So schreibt Barbara Ehrenreich: „Unsere wichtigsten Jagdlehrer waren wahrscheinlich (…) die in Rudeln vorgehenden Wölfe und wilden Hunde.“ Im Unterschied zu den großen Katzen, den Bären und den anderen großen Beutegreifern schlossen sich die Wölfe zudem den Menschen an. Zugleich blieben sie Gefahr und Konkurrenz für die frühen Jäger. Wie die frühen Menschen jagen auch Wölfe im Sozialverband, und auch im wilden Wolf ist der domestizierte Hund erkennbar – der Hund, den wir als einziges Tier in die menschliche Familie aufgenommen haben. Der Hund und damit der Wolf bricht als einziger die Grenze zwischen uns und den anderen Tieren auf.

Der Waldhund, so nannten Bauern den Wolf im Mittelalter, beschäftigte die Fantasie seit jeher, im gleichen Land ist er mal Bösewicht, mal Wohltäter, bei den Germanen verschlingt er die Welt an ihrem Ende und bei den Römern begründete eine Wölfin ihr Weltreich. Dschingis Khan (1162-1227) behauptete, vom Himmelswolf Bört-a-Tchai abzustammen. Die Ägypter weihten ihre Stadt Lykopolis dem Wolf und ihr Wolfsgott Upukaut führte die Krieger in das Land des Feindes. In Griechenland strafte ein „guter“ Wolf einen Räuber, der den Apollotempel in Delphi plünderte. Lykaon, der „böse“ König von Arkadien, musste jedoch als Wolf umgehen, weil er dem Gott Zeus Menschenfleisch anbot.

In unserer Angst vor dem bösen Wolf zeigt sich das Raubtier mit den Händen und dem großen Gehirn, nämlich die Bestie, vor der wir uns in uns selbst fürchten. Der böse Wolf ist das Symbol für den Abgrund in uns. Der Wolf repräsentiert wie kein anderes Tier die Durchlässigkeit der Grenze zwischen Kultur und Wildnis, einen Konflikt, den der Mensch in sich trägt – der Mensch, der nicht nur Vernunft, sondern auch Trieb, nicht nur Geist, sondern auch Fleisch ist und mit all seiner Intelligenz ebenso sterblich wie alle anderen Lebewesen. Die Mythen über den Wolf ermöglichen es, die Gesellschaften zu verstehen, die diese Mythen schufen. Auch unsere eigene! Das gilt es heute zu bedenken, wo der Wolf zurückkehrte, und zwar bevor wir wirkliche Konflikte mit dem Wolf lösen. Wolf, sei willkommen zu Hause, denn du bist ein Teil von uns. Rotkäppchen werde erwachsen!

Zu meiner Person: Wie ich zum Thema Wolf und Mensch komme?

Ich wuchs als Sohn eines Tierarztes und einer Lehrerin auf -in Freiheit- und war von Haustieren umgeben. Vor der Tür begannen die Felder, der Wald, das Moor – und da waren die Wildtiere. Dieser Wald und dieses Moor sind bis heute meine Kraftorte. Meine Eltern ließen mich meine Fantasie frei entfalten, mein Vater rückte sie wissenschaftlich zurecht, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Auf dem Dorf gab es damals keine TÜV-geprüften Spielplätze, und wo heute Einfamilienhäuser stehen, erstreckte sich Brachland – und wenn die Sonne unterging, eine schaurig-schöne Romantik. Ich begeisterte mich für unheimliche Geschichten über Mensch und Tier, Blackwood, Bierce, aber auch Poe und Lovecraft. Ich spielte die Geschichten durch, die ich verschlang: Native Americans, europäische Entdecker, Weltenbummler – Alexander von Humboldt und Crazy Horse. Von meinem Großvater erbten wir Brehms Tierleben. Diese Mischung aus Zoologie und Geschichte, Fakten und Fantasie begeisterte mich – in den Naturwissenschaften fehlte mir das mythische Moment, und ich fühlte mich einem indianischen Zugang zur Welt verbunden. Unser Hund begleitete mich dabei, zuerst hatten wie einen Schnauzer-Pudel-Mischling, dann unseren ersten Golden Retriever. Durch die begriff ich, dass zwischen Mensch und Hund ein kommunikativer Raum entsteht. Der wilde Hund, der Wolf, reiste geistig dabei immer mit. Ohne das damals artikulieren zu können, lehnte ich die abendländische Trennung zwischen Mensch und Tier ab und erfuhr schmerzlich, dass das Lernen von Tieren und die Arbeit mit dem Unbewussten als Spinnerei galt. Mensch-Tier-Verhältnisse sind in den Geisteswissenschaften ein Pionierthema, denn westliche Ideologien basieren darauf, dass der Geist den Menschen dimensional von den Tieren trennt, während vielen Zoologen ein interkultureller Zugang fremd ist. Was ich leidvoll als „zwischen allen Stühlen sitzend“ erfuhr, erweist sich als wissenschaftliches Neuland – und in meiner Doktorarbeit brachte ich das auf den Begriff. In meinem Buch „Die gemeinsame Geschichte von Wolf und Mensch“, das im Herbst bei Cadmos erscheint, konnte ich mich endlich „austoben“ – also das schreiben, was hinein gehört und so wie es hinein gehört. Bis heute arbeite ich notwendig interdisziplinär – Erkenntnisse zu Mensch-Tier-Verhältnissen sind nicht von Wissenschaftsspießern zu erwarten, die ihre Scholle verteidigen. Kulturelle Offenheit gehört dazu, und die Bereitschaft, sich selbst zu verändern – und da stehen wir, akademisch ausgedrückt, mitten in einem Paradigmenwechsel. Herzlich ausgedrückt, wird Forschung wieder ein Abenteuer, denn Artenschutz und soziale Emanzipation schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander.

 

Dr. Utz Anhalt:

wolf_und_menschHistoriker / historischer Anthropologe mit Schwerpunkt Mensch-Tier-Verhältnisse, 1999 Magister über den Werwolfmythos, seit 2001 Aufklärung über unsere Bilder vom Wolf in Seminaren, Workshops, Artikelln, Fernseh- und Radiodokus. 2007 Dr. phil über „Tier und Menschen als Exoten in der Gründungs- und Entwicklungsphase der Zoos“. Geb.19.3.1971 in Hannover, Studium Geschichte / Politikwissenschaft (historische und soziale Anthropologie) mit Schwerpunkt indianische Kulturen Nordamerikas, soziale Bewegungen, politische Soziologie der Gewalt, Schamanismusforschung, Geschichte von Mensch und Wildtier, Anthropologie von Wolf und Mensch. Seit 2001 Aufklärung über die Rückkehr des Wolfes, Wolfsbotschafter des NABU, Referent über Wolf und Mensch bei der NABU Akademie Sunder, Mitglied der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz.

Wissenschaftliche Mitarbeit in Dokumentationen zu Wolf und Mensch für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1. Wissenschaftliche Beratung der Dokumententation „Pupenjungs“ über Fritz Haarmann, dazu Stadtführungen und Lesungen. Freiberufliche Tätigkeit für das Überseemuseum Bremen, als Dozent inner- und außerhalb der Uni, Redakteur der Nautilus – Magazin für Abenteuer & Phantastik für Mystery, Dark fantasy und Horror, verantwortlicher Redakteur und Mitherausgeber der Sopos (www.sopos.org), Ausstellungspädagogik in der NS Gedenkstätte Israelitische Gartenbauschule Ahlem, freie Tätigkeit für GEO, Psychologie heute, Junge Welt, FAS, Karfunkel – Magazin für erlebbare Geschichte, Miroque, Museum aktuell, Zillo Medieval, Taz, Freitag, Neues Deutschland, Psychologie heute, Die Vögel, Sitz-Platz-Fuß – Das Hundebookazin, WUFF. Publikationen bis 2012 unter www.utzanhalt.de.

Außereuropäische Forschungsreisen zum Mensch-Wildtier-Verhältnis, Schamanismusforschung nach Venezuela, Ostafrika, zu Komantschen, Apatschen und Navajos nach USA / Mexiko, Indien, Thailand und Iran.

Das Buch „Die gemeinsame Geschichte von Wolf und Mensch“ kann versandkostenfrei im Cadmos-Shop bestellt werden: www.cadmos.de/die-gemeinsame-geschichte-von-wolf-und-mensch.html

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