Social Walks

+++ LESEPROBE aus der SPF 45 +++

Von Katrien Lismont

 

Eine unspektakuläre und leise Möglichkeit, um eine harmonische soziale Interaktion zwischen unseren Hunden stressfrei zu ermöglichen und zu vertiefen

Vor vielen Jahren hat Sheila Harper, eine Hundetrainerin aus UK, diese Idee und dieses Trainingsangebot entwickelt und bekannt gemacht. „Social Walk“ hört sich nach einem ganz normalen Spaziergang an, und ja, eigentlich ist es das auch. Wenn es darum geht, Hunden mehr soziale Kompetenzen zu vermitteln und die Hundehalter in der hundegerechten Handhabung von solchen Begegnungen fitter zu machen, gibt es in meiner Erfahrung nicht viele Lernsituationen, die diese übertreffen. Wenn sorgfältig und professionell gestaltet, sind Social Walks eine effektive, stressfreie und leise Möglichkeit, Menschen mit Hunden zusammenzubringen. Die Social Walks sind ein hervorragendes Instrument bei der Reduktion der Leinenreaktivität.

Sie sind ursprünglich als Leinenspaziergänge gedacht, und das finde ich so gut daran, denn so muss sich keiner der teilnehmenden Klienten vor dem Stressmoment des Ableinens fürchten. Von Anfang bis Ende besteht die Absprache, die Hunde an der Leine zu führen und zwar am besten so, dass sie keinen nahen Kontakt miteinander aufnehmen können. Die Distanzen zwischen den Hunden werden so gehalten, dass es für jeden individuellen Hund stressfrei und zu bewältigen bleibt. So führe ich Social Walks in meiner Hundeschule durch. Bei meiner langjährigen Arbeit mit reaktiven Hunden habe ich beobachtet, dass ein sehr großer Teil der Hunde leinenreaktiv werden aufgrund von schlechten Erfahrungen im Freilauf oder Nahkontakt mit anderen Hunden. Das ist für Hundehalter/-innen und bestimmt auch für viele Hundetrainer/-innen nicht wirklich nachvollziehbar, aber aufgrund meiner Praxiserfahrung und der Verhaltensanalyse macht es für mich mittlerweile absolut Sinn.

 

Die Rolle der Trainer

Social Walks sind für Trainer/innen nicht unbedingt ein Spaziergang. Je nach Größe und Zusammensetzung der Gruppe sollten sie die Bedürfnisse aller teilnehmenden Hunde und Personen im Auge behalten. Distanzen, individuelle Herausforderungen und Unsicherheiten sollten bekannt sein und entsprechend begleitet werden. Das fordert alle Beteiligte.

Die Stärken und Schwächen der Teams sollten bei der Zusammenstellung der Gruppe berücksichtigt werden oder der Spaziergang sollte entsprechend angepasst werden.

Sicherheit steht an erster Stelle, nichts ist kontraproduktiver als Vorfälle zwischen den Hunden während eines Spaziergangs. Ich sehe eine Teilnahme am Spaziergang als eine Art Versprechen den Hunden gegenüber, dass sie sich zwar in einer Gruppe mit anderen Hunden bewegen, wir aber dafür sorgen, dass ihnen nichts passiert. Und das sollte dann auch so bleiben.

Vor dem Aussteigen der Hunde aus dem Auto sollten die Absprachen über Reihenfolge, Distanz und Laufrichtung getroffen werden. Bei Bedarf verteile ich Walkie-Talkies, denn auch wenn ich mich permanent von vorn über die Mitte bis zum Ende der Gruppe bewege, ist es schön, bestimmte Hinweise und Warnungen kommunizieren zu können, sobald einem etwas auffällt.

Auch für eine gute und angemessene Ausrüstung der Teams sollte die begleitende Person ein Auge haben: ein gut sitzendes Geschirr, eine Leckerchentasche mit leckeren Belohnungen. Als Leine empfehle ich auch für die Social Walks gern die 5-m-Leine, auch wenn diese öfter etwas kürzer gehalten werden sollte.

Während des ganzen Spaziergangs ist es die Aufgabe des Trainers/der Trainerin, die Länge der Leinen im Auge zu behalten und auch zu beobachten, ob Distanzen, Ausrichtungen und Blickrichtungen nicht belastend sind für die Hunde untereinander.

Ich gebe den Teams beim Loslaufen gern viel Distanz, in der Mitte des Spaziergangs – jedoch je nach Gelände – kann sich das etwas reduzieren, und beim Ende des Spaziergangs, wenn schon mal Ermüdung eintreten kann, empfehle ich, die Distanzen wieder zu vergrößern. Im Grunde genommen ist es unsere Aufgabe, dass vom Aussteigen bis zum Einsteigen die Gruppe harmonisch und leise spazieren kann, ohne irgendwelche Vorkommnisse. Vor allem sollten die Hunde kurz vor dem Einsteigen keine Auseinandersetzung haben müssen. Das Ziel ist, dass sie nach einer Runde in der Gruppe ohne Stress und ohne Gefühl der Überforderung wieder ins Auto einsteigen können. Genau das bildet die Vorlage für den nächsten entspannten Spaziergang.

 

Die Lerneffekte der Social Walks – Was lernt die Person?

 

Planung, Rücksichtnahme, Hilfestellung

Da die Interaktion mit den anderen teilnehmenden Hunden von Anfang bis Ende sorgfältig gestaltet werden sollte, lernt der Hundehalter, hier zu planen und zu berücksichtigen: Von der Vorbereitung vor dem Aussteigen aus dem Auto – über den Spaziergang – bis zum Einsteigen ins Auto sollten alle Handlungen sinnvoll und rücksichtsvoll sein. Rücksichtsvoll gegenüber dem eigenen Hund und auch gegenüber den anderen teilnehmenden Teams. Das ist eine Fertigkeit, die jeder Hundeperson mit einem besonderen Hund im Alltag hilfreich wird.

Es wird vorab durchgesprochen, wie die Reihenfolge der Teams sein wird und wie es für die jeweiligen Hunde am einfachsten wird: vorn, in der Mitte, hinten oder mit größerer Distanz.

Diese Reihenfolge muss nicht für den ganzen Spaziergang festgelegt werden, aber der Anfang sollte leicht werden. So kann mit der Zeit und im eigenen Tempo jeder Hund lernen, sowohl vorn, zwischen zwei Teams als auch hinten zu laufen und dennoch zuversichtlich und entspannt zu bleiben. Das Wechseln der Reihenfolge kann man im Laufe des Spaziergangs als sinnvolle Übung einbauen.

Hierdurch und auch durch weitere Maßnahmen gibt es Zeit und Raum genug, um den eigenen Hund aus brenzligen Situationen herauszuhalten oder ihn herauszuretten. Ein subtiles Leinenhandling, leise Umorientierungssignale oder einfach nur ein wenig warten und beruhigen sind hilfreiche Mittel, um von Anfang bis Ende das Erregungslevel des kompletten Teams so niedrig wie möglich zu halten. Social Walks sind eben keine „Action“-Veranstaltungen. Wie in allem, was wir mit unseren Hunden unternehmen, gilt auch hier, die Antezedenzien, also die „Vorlage“, so zu arrangieren, dass die Hunde möglichst wenig oder keine Fehler machen können. Die Aufgabe der begleitenden Trainer/-innen ist, dies ebenso für die Personen zu ermöglichen. So kann jede/-r vierbeinige und zweibeinige Teilnehmer/-in eine Stunde lang in Anwesenheit von anderen Hunden und Personen gute Erfahrungen sammeln.

 

Körpersprache beobachten und neu entdecken – beim eigenen Hund und bei den anderen

Wenn man dann so in Ruhe und auf sicherem Abstand leise vor sich hin spaziert, gibt es Zeit genug, die körpersprachlichen Manöver der Hunde zu erkennen und zu beobachten. Nichts, was Hunde machen, erst recht nicht, wenn mehrere Reize präsent sind, ist Zufall oder sinnlos. So empfehle ich meinen teilnehmenden Klienten, darauf zu achten, was gerade im Umfeld passiert oder sich verändert hat, wenn der Hund stehen bleibt, plötzlich schnüffelt oder die Richtung wechseln möchte. Nach und nach wird dies zur zweiten Natur und man kann noch mal genauer auf die Bedürfnisse des eigenen Hundes eingehen. Zu diesem Thema gibt es in meinem Gassibuch für besondere Hunde im Cadmos Verlag ein Kapitel: „Selbstwirksamkeit und Mikrosignale“ ab Seite 93.

Wie ich bereits in meinem Buch Hund trifft Hund beschrieben habe: Wir stellen in einer Begegnung immer nur 50 Prozent des Geschehens dar, und wenn wir es schaffen, durch die Lenkung unseres Hundes die Begegnung für den anderen Hund leichter zu machen, erhöht dies die Chance auf eine leise Interaktion anstelle einer Reaktion. Distanz, Tempo und Ausrichtung bzw. Blickrichtung des eigenen Hundes können so gelenkt werden, dass von unserem Hund keine Provokation ausgeht. Das ist proaktives Mitgestalten von harmonischen Spaziergängen.

Die Teilnehmer/-innen an meinen Spaziergängen sind meistens Klient/innen, die bereits einige BAT-Trainings mitgemacht haben. Dadurch haben sie gelernt, elegant, aber auch helfend die eigene Körperhaltung und -positionierung einzusetzen, um mit dem Hund zu kommunizieren – eine leise und hundgerechte Möglichkeit, viele Situationen zu entschärfen und aufzulösen. Im Social Walk kann dies im sicheren Raum vertieft und geübt werden.

 

Bedürfnisse erkennen

Unvermeidlich haben wir durch die stressfreie Durchführung während des ganzen Spaziergangs ausreichend Momente, um zu beobachten, was genau das Wohlbefinden unseres Hundes in der Gruppe verbessert oder reduziert. Wir erkennen seine Bedürfnisse deutlicher und können ihm die Stunde so leicht wie möglich gestalten – mit nur kleinen Anpassungen wie: Distanzvergrößerung, Tempo, kleine ruhegebende Übungen und Pausen und Position in der Reihenfolge. Ebenso bietet dies die Möglichkeit, festzustellen, ob der Hund sich von Mal zu Mal besser und entspannter in der Gruppe zurechtfinden kann und flexibler und resilienter wird. Denn die Absicht von Training sollte immer Fortschritt sein.

 

Neue Gassi-Teams kennenlernen

Ich finde es toll, wenn bei solchen Spaziergängen „Sympathien“ entdeckt werden können und sich die Teams für privater Spaziergänge verabreden. So kann das Gelernte besser vertieft werden, die Hundehalter bekommen eine Routine im Umgang mit Mehrhundespaziergänge, und wer weiß, je nachdem, wie und wo man sich verabredet, lernt man mit Hund mal neue Gassirouten kennen. Auch hier empfehle ich den sich treffenden Teams, bei Leinenspaziergängen zu bleiben, solange es beim Treffen noch eine bestimmte Erregtheit gibt – auch wenn beide Hunde sich aneinander gewöhnt haben, ist es gut, sie die größte Zeit des Spaziergangs an der Leine weiterzuführen. Denn Kontakt ohne Leine kann für viele Hunde sehr viel Unsicheres und Unberechenbares beinhalten, wodurch selbstverständlich die Spannung steigt und dies dem Verhalten im Freilauf nichts Gutes bringt.

 

Spannende Situationen entspannt meistern

Je nachdem, wo man die Social Walks durchführt, wird es mehr oder weniger Reize geben, die es zu „bearbeiten“ gilt. Diese können plötzlich auftreten oder durch die Beschaffung des Areals gut sichtbar sein. Ich persönlich passe die Strecke, die ich mit der jeweiligen Gruppe laufe, so gut, wie es geht, an den Trainingsstand der teilnehmenden Hunde und Personen an. So gibt es tatsächlich Strecken, die sich wunderbar für fortgeschrittene Teams eignen, die nun lernen können, auf plötzlich auftauchende Auslöser richtig und ruhig zu reagieren. Dann wiederum gibt es Strecken, die wenig Hundeverkehr aufzeigen und die man sehr zuversichtlich bestreiten kann, ohne sich ständig auf Außenreize einzustellen. Als Reize stehen die anderen Hunde aus der Gruppe im Vordergrund. So können sich die Teams allmählich und in kleinen Schritten immer mehr Alltagstauglichkeit für die Bewältigung von Begegnungen erwerben.

 

Sinnvolle Ideen für abwechslungsreiche Spaziergänge

Mit teilnehmenden Teams, die schon ein wenig Routine in der Gruppe gewonnen haben, können auch Übungen eingebaut werden: kleinere Dreiecksübungen, Kletter-, Balance- und Suchaufgaben und kleine Tricks. Je nach Zusammenstellung der Gruppe mache ich das gar nicht oder dann wiederum etwas mehr. Dazu sollte sich jedes Team sicher fühlen und sich keine Hundeperson Gedanken machen müssen, ob der eigene Hund sich in der Gruppe auf seine Aufgabe konzentrieren kann, ohne auf die anderen Hunde zu reagieren.

Das können tatsächlich kleine freudige Übungen sein, aber auch praktische Erziehungsübungen wie Blickkontakt, Umorientierung, „Stille im Kopf“ (Erregung reduzieren), „Sitz“ und „Bleib“ und einiges mehr. Man sollte bedenken, dass die Übungen unbedingt in angeleintem Zustand möglich sind, damit es keine Zwischenfälle geben kann.

 

 

Was lernt der Hund?

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