Gewaltfreier Umgang mit Mensch und Tier

Von Michael Uhlig

(In diesem Artikel wird zur besseren Lesbarkeit die jeweils männliche Form gewählt. Angesprochen sind alle weiblichen, männlichen und diversen Personen.)

+++ LESEPROBE aus der SPF 39 +++

 

Gewaltfreier Umgang bedeutet nicht nur das Fehlen von Gewalt. Vielmehr geht es darum, Interesse an meinem Gegenüber zu haben und ihm mit Achtsamkeit und Wertschätzung zu begegnen.  Dabei spielt es keine Rolle, ob mein Gegenüber ein Mensch oder ein Tier ist.

Foto: Daniel Hardge

Wie alles begann

In meiner Ausbildung zum Hundetrainer habe ich viel über das Lernen gelernt. Ebenso wurde mir vermittelt, den Hund zuerst nur zu beobachten. Meine Bewertung klar von der Beobachtung zu trennen. Auch lernte ich, mich in den Hund einzufühlen und auf das zu achten, was der Hund braucht.
Ich habe es genossen, mit Tieren zu trainieren und war begeistert, dass die Hunde und später auch andere Tierarten freudig mit mir gearbeitet haben.

Die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg war mir damals schon ein Begriff. Aus den Büchern, die ich gelesen hatte, konnte ich sie jedoch nicht in meinen Alltag übernehmen. Irgendwann besuchte ich dann mein erstes Seminar in gewaltfreier Kommunikation. Ich wurde stutzig, als ich auch hier hörte: „Trennt die Beobachtung der Menschen/Situation von eurer eigenen Bewertung.“ Je tiefer ich einstieg, umso klarer wurde mir, dass die gewaltfreie Kommunikation ein Weg für mich ist, mit den Menschen respektvoll, aufrichtig und wertschätzend umzugehen. Ganz so, wie ich es vor Jahren als Hundetrainer gelernt hatte.

Die Erkenntnisse, die ich aus der gewaltfreien Kommunikation gewonnen habe, haben auch meinen Blick auf das Hundetraining verändert und um einige Aspekte ergänzt.

Hundeschule als Praxisbetrieb

In der Hundeschule kam ich in Kontakt mit zukünftigen Kollegen, die ich auf ihrem Weg zum Hundetrainer begleiten durfte. Sie kamen zu mir, um etwas über Trainingsmethoden, Unterrichtsaufbau und allgemeine Hundeschulabläufe zu erfahren. Es kam mehrfach vor, dass einer sagte „Ich bin so froh, dass ich mich jetzt ausgiebig mit Hunden beschäftigen kann. Der Umgang mit Menschen ist so schwierig.“ Das hat mich irritiert. Heute ist es doch üblich, dass der Hundetrainer dem Hundehalter erklärt, wie dieser seinen Hund trainieren kann. Ein intensiver Kontakt mit dem Hundehalter ist unausweichlich und gute Kommunikation besonders wichtig.

Für mich ist ein Hundetrainer seit je her ein Kommunikationstrainer, der einerseits dem Menschen vermittelt, was der Hund gerade ausdrückt. Auf der anderen Seite zeigt der Hundetrainer dem Hundehalter, wie er seinem Hund begreiflich machen kann, was er von ihm möchte.

Lernen

Die grundlegenden Lerngesetze gelten glücklicherweise für den Menschen genauso, wie für den Hund. Lernen kann über vier verschiedene Emotionen geschehen. Aus Angst vor einer erwarteten Strafe. Aus Erleichterung, dass etwas Unangenehmes endet. Aus Frust, weil etwas Angenehmes vorenthalten wird. Aus Freude auf etwas Angenehmes. Wenn Sie Ihrem Hund etwas beibringen möchten, achten Sie einmal darauf, mit welchen Emotionen Sie mit Ihrem Hund arbeiten. Das Schöne ist, wir haben die Wahl! Wir können entscheiden, auf welche Art und Weise wir unserem Hund etwas beibringen.

Daneben haben wir gelernt, auf die Bedürfnisse des Hundes beim Training zu achten, wie z.B. Temperatur, entspannte Lernatmosphäre, Dauer der Trainingseinheiten. Das alles tun wir, weil wir mit unserem Familienmitglied Hund „gut“ umgehen wollen. Wir haben ethische Grundsätze, die wir gerne einhalten möchten.

Gelten diese Grundsätze auch im Umgang mit unseren menschlichen Familienmitgliedern, Nachbarn oder Fremden? Ich persönlich lerne lieber durch Lob, als durch Strafe. Das geht wohl den meisten von uns so. Wirklich erstaunlich ist es, dass viele denken, der andere, unabhängig ob Mensch oder Tier, bräuchte Zurechtweisung oder Strafe, um das zu verstehen, was wir von ihm wollen.

 

Ein Beispiel sind die vier Rechenaufgaben in dem Kasten nebenan.

Kasten

  1.  3 + 4 * 1                    = 7
  2.  (3 * 3) + 4                  = 13
  3.  (8 + 12) * 3                = 80
  4.  (7 + 15) + 22              = 44

 

Was fällt Ihnen auf?

Da ist doch tatsächlich eine falsch! Ja, Stimmt. Gleichzeitig sind auch drei Aufgaben richtig gelöst. Das sind 75 % richtige Antworten. Leider sind wir dazu erzogen, dass wir als Erstes auf Fehler und Abweichungen achten, anstatt auf gute Leistung oder Gemeinsamkeiten.

In der Hundeschule

Wenn ich meine Kunden in der Hundeschule fragte: „Was hat dein Hund letzte Woche gemacht?“ Kamen oft Antworten, wie: „Er hat immer noch ins Zimmer gepinkelt.“ „Er zieht so feste an der Leine.“ Als Hausaufgabe habe ich dann immer wieder mal gegeben: „Erzähle mir nächste Woche mindestens 3 Dinge, die dein Hund so richtig toll gemacht hat.“ Dann kamen auf einmal Antworten wie: „Er hat schon 2 Minuten Sitz gemacht.“ „Wir sind am Nachbarshund vorbei gegangen, ohne dass er gebellt hat.“ Gerne möchte ich Sie dazu anregen, regelmäßig zu überlegen, was Ihr Hund richtig toll gemacht hat. Ganz mutige unter Ihnen können diese Übung auch auf Kollegen, Chefs, Freunde, Partner oder sich selbst ausdehnen. Lassen Sie sich überraschen, was nach einiger Zeit passiert. Es wird Ihnen immer leichter fallen, etwas Positives zu finden. Sie können sich selbst einen Automatismus dazu antrainieren. Dann wird plötzlich eine erfolglose Trainingssession zu einem Hinweis, dass dieser Trainingsweg so nicht zu Ziel führt und vielleicht ein anderer Weg eingeschlagen werden sollte.

Ich bin doch gewaltfrei

Ich schlage weder meinen Hund noch meinen Partner. Ich werde ganz selten laut und bin immer höflich und nett. Also kann ich doch gewaltfrei kommunizieren.
Ich trainiere nur mit dem Klicker und positiver Verstärkung. Also trainiere ich doch gewaltfrei.
Das muss nicht unbedingt so stimmen, denn in der Gewaltfreien Kommunikation geht es um Beziehungen und Verbindungen untereinander. Es geht darum, auf Augenhöhe miteinander umzugehen und sich nicht über den anderen zu stellen. Auch wenn es nur ein kleiner versteckter Haken oder Unterton in dem höflichen Satz ist. Wir sprechen hier von verbindender oder trennender Sprache.
Wir haben oft viel Verständnis für das Verhalten von Hunden. „Der andere hat ja schon aggressiv geschaut“.  „Es ist ihm zu heiß.“ „Das macht ihm Angst.“
Wir können aber hervorragend im gleichen Atemzug über Menschen herziehen. „Der kann ja gar nicht mit seinem Hund umgehen.“ „So kann das ja nichts werden.“ „Der arme Hund.“
Es wäre schön, wenn wir auch für unsere Mitmenschen Verständnis aufbringen könnten.

In der gewaltfreien Kommunikation geht man davon aus, dass wir alles was wir tun, nur tun, um unsere eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Wir tun es nicht, um anderen zu schaden oder sie zu ärgern. Versuchen Sie mal zu erahnen, welches Bedürfnis sich der Mensch sich gerade erfüllt, der Sie gerade so aufregt.

Nicht alle anderen Menschen sind Idioten und nicht alle Hunde sind nett.

Vermenschlichen

Wir sind uns darüber im Klaren, dass Hunde Gefühle haben. Ebenso sicher ist, dass Hunde Bedürfnisse haben, die über den Lebenserhalt hinausgehen, wie z.B. Zugehörigkeit, Autonomie u.v.m. Gleichzeitig müssen wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir von einer anderen Spezies reden. Autonomie hat sicherlich einen -artübergreifenden Grundgedanken. Autonomie wird dennoch für Menschen und Hunde eine unterschiedliche Bedeutung haben. Die Strategien, mit denen Menschen und Hunde versuchen sich ihr Bedürfnis nach Autonomie zu erfüllen, wird verschieden sein. Wir werden unseren Tieren nicht gerecht, wenn wir annehmen, sie sind genau wie wir. Wir verlieren so den Blick für die wunderbare Einzigartigkeit jeder Tierart.

Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass hundliche Gefühle und Bedürfnisse existieren und sie unseren ähnlich jedoch nicht genau gleich sind, haben wir eine gute Chance mit dem Hund artgerecht umzugehen.

Verhundlichen

Es gibt immer wieder Ideen, den Hund nachzuahmen, um mit ihm Hund besser kommunizieren zu können. Den Hund anknurren, wenn ich eine Grenze setzen will, zum Beispiel. Ich habe dabei wirklich die Befürchtung, dass meine „hundliche Aussprache“ nicht so ist, wie ich das möchte. Das heißt, ich bin mir unsicher, ob ich dem Hund wirklich sage, was ich sagen möchte. Versteht er mich dann wirklich? Selbst wenn der Hund vermeintlich richtig reagiert, was passiert auf der Beziehungs-Ebene?

Wir gestehen uns zu, inkonsequent unserem Hund gegenüber zu sein. Ist das Inkonsequenz oder kommt ihnen auch manchmal der Gedanke, dass der Hund den Menschen in diesen Situationen ganz gut erzogen hat? Der Hund wendet die Lerngesetze knallhart an und gibt uns Aufmerksamkeit, Zuwendung, wenn wir etwas für ihn getan haben. Er guckt süß, um ein Leckerchen zu bekommen. Der Hund achtet ganz genau auf unsere Reaktionen. Er erkennt, wie er uns dazu bringen kann, etwas für ihn zu tun. Daran ist nichts Verwerfliches.
Nun mal ganz im Ernst: Ein Lebewesen, das mich derart gut lesen kann, braucht meine Versuche mich „hundlich“ auszudrücken nicht. Es liest ausgezeichnet „menschlich“.

 

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