Kluger Hund oder Kluger Hans? – Über Hunde, die sprechen können. Oder nicht.
###LESEPROBE aus der SPF 41 ####
Von Petra Balai
Seit Jahrtausenden beschäftigen zwei große Wünsche die Menschheit: der Traum vom Fliegen und der Wunsch, mit Tieren sprechen zu können. Die Fähigkeit, per Sprache zu kommunizieren, gilt seit der Antike als ein Merkmal, das das Tier vom Menschen trennt, und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – wird seither versucht, mit Tieren zu sprechen. Über die Tatsache, dass Tiere, und insbesondere Hunde, Elemente unserer Sprache lernen können, dürften sich Hundehalter und Forscher einig sein. Die legendäre, inzwischen verstorbene Border-Collie-Hündin Chaser konnte 1000 Wörter verstehen und einfachen syntaktischen Kombinationen folgen (vgl. „Die Macht der Worte“, SitzPlatzFuss Ausgabe 31) und das auch unter wissenschaftlichen Bedingungen unter Beweis stellen. Aber wie verhält es sich umgekehrt, können Tiere vielleicht sogar die menschliche Sprache nutzen, um mit uns zu kommunizieren? Im Sommer 2019 tauchten in den sozialen Medien die ersten Videos der kalifornischen Sprachtherapeutin Christina Hunger auf, in denen ihre Mischlingshündin Stella mithilfe eines Sprachboards gesprochene Worte zur Verständigung einsetzte. Diese sensationelle neue Dimension der Kommunikation Hund–Mensch möchte ich im folgenden Beitrag etwas näher unter die Lupe nehmen.
Einige Papageien oder Vögel wie der Beo sind in der Lage, die Laute unserer Sprache nahezu perfekt zu imitieren. Sie wissen dabei aber nicht, was sie sagen, auch wenn sie durch Aussagen im passenden Kontext durchaus verblüffen können. Von Menschen aufgezogene Primaten wie die Schimpansin Washoe oder die Gorilladame Koko wurden von Beginn an in ASL (American Sign Language) unterrichtet und Koko brachte es dabei auf angeblich 1000 Zeichen aktiven und 2000 Zeichen passiven Wortschatzes. Allerdings wurden Kokos Fähigkeiten fast ausschließlich von ihrer Betreuerin Francine Patterson dokumentiert. Ihren Angaben zufolge war Koko nicht nur zur Kombination von mehreren Wörtern zu einfachen Sätzen fähig, sondern konnte auch kreativ neue Wörter bilden, falls ihr eines fehlte. Doch einen Haken hat die Geschichte: Andere Forscher, die ihrerseits Menschenaffen in Zeichensprache ausbildeten, kamen zu abweichenden Ergebnissen: Francine Patterson verlieh durch ihre kommentierenden „Übersetzungen“ Kokos Zeichen oft zusätzlichen Sinn, auf die ein neutraler Beobachter nicht unbedingt gekommen wäre. Zudem waren Kokos Antworten meist Reaktionen auf (man möchte sagen suggestive) Fragen und von spontanen Äußerungen oder gar einer ausgewogenen Konversation weit entfernt. In einer Studie über den ebenfalls gut ausgebildeten Bonobo Kanzi kam man zu dem Ergebnis, dass nur 4 % seiner Äußerungen kommentierenden Charakter hatten, dagegen waren 96 % funktionaler Natur, also Bitten um Essen, Spielzeug etc.
Jedem Hundetrainer dürfte auch die Geschichte des Pferdes „Kluger Hans“ bekannt sein, ein Orlow-Traber, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seinen mathematischen und weiteren kognitiven Fähigkeiten verblüffte. Sein Besitzer, der Mathematiklehrer Wilhelm von Osten, hatte ihm beigebracht, durch Hufklopfen oder Kopfnicken bzw. -schütteln Rechenaufgaben zu lösen, Gegenstände zu zählen, zu buchstabieren oder die Uhrzeit zu „lesen“, indem er mit dem Kopf auf entsprechende Schilder deutete. Zunächst war man begeistert, dann skeptisch, ob es sich um eine Art Zirkustrick handelte, doch Hans konnte die Aufgaben auch lösen, wenn eine andere Person als Wilhelm von Osten die Aufgabe stellte. 1904 entzauberte eine Forschungskommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften sein Geheimnis: Hans erkannte vermutlich an der veränderten Körperhaltung seines Gegenübers, wann das „entscheidende“ letzte Hufklopfen zu kommen hatte, vorausgesetzt, dem Gegenüber war die Antwort bekannt. Die Anspannung kurz vor Erreichen der richtigen Antwort und die Entspannung konnte er perfekt erkennen – eigentlich an sich eine geniale Leistung. Doch sein Besitzer zeigte sich enttäuscht und zog es vor, die Ergebnisse zu ignorieren und keine weiteren Forschungen zuzulassen. Er hielt lieber weiter an seiner Vorstellung fest, seinem Pferd unglaubliche Leistungen beigebracht zu haben. Der Psychologe Oskar Pfungst hätte von Osten nicht besser charakterisieren können: „Scharfsinnig in der Unterrichtsmethode und doch wieder ohne Verständnis für die elementarsten Formen wissenschaftlicher Untersuchung.“
Für die Wissenschaft war der „Kluger-Hans-Effekt“ jedoch eine wichtige Erkenntnis, denn in der Psychologie und Sozialforschung musste man daraufhin Wege entwickeln, in seriösen Studien diese Reaktion des Befragten auf Verhalten und Erwartungshaltung des Befragers auszuschalten. Auch Hundesportlern dürfte dieses Phänomen schon in die Quere gekommen sein, insbesondere wenn es um Nasenarbeit geht: Ein Mantrailer, der weiß, wo die gesuchte Person entlanggelaufen ist, kann seinen Hund auch von hinten „lenken“, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Wenn es also darum geht, Hunde zu trainieren oder ihre Fähigkeiten korrekt einzuschätzen, sollten wir immer den Kluger-Hans-Effekt im Hinterkopf behalten.
Nun also zu Christina Hungers Videos und ihrer ungewöhnlichen Trainingsmethode. (…)