Seminarplatz gewonnen!
Robert Falconer-Taylor und Peter Neville, die Autoren der SitzPlatzFuss Edition „Emotionen einschätzen, Hunde verstehen“ des englischen COAPE-Instituts kommen an Pfingsten (07./08. Juni) für ein Seminar nach Deutschland. SitzPlatzFuss hat in einem Gewinnspiel gleich zwei Seminarplätze verlost – dank unserem Glückshund „Panda“, die gleich zwei Gewinner aus den Teilnehmern gezogen hat. Herzlichen Glückwunsch an Mandy Eichenstaedt und Maike Neuschulz!! Und hier gibt’s ein Video zur Gewinn-Ziehung: EMRA
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Informationen und Anmeldeformular zum Seminar finden Sie hier: Blauerhund
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Das EMRA™-System zur ganzheitlichen Einschätzung von Verhaltensproblemen
Von Robert Falconer-Taylor, Peter Neville, Val Strong, Billie Machelle und Hannah Lyon
Übersetzung: Maren Müller
In den vergangenen Jahren wurde am englischen COAPE-Institut (Centre of Applied Pet Ethology) hinsichtlich der Einschätzung und Therapie von Verhaltensproblemen bei Haustieren ein grundlegend anderer, zunächst umstrittener, jedoch sehr sinnvoller Ansatz entwickelt. Dazu gehörte auch ein grundsätzliches Überdenken der weltweit verbreiteten, pseudodiagnostischen „guten alten“ Begriffe wie Dominanzaggression und Trennungsangst. Diese Konzepte sind im Lauf der Jahre sehr populär geworden, sind sie doch häufig leicht zu erfassen. Allerdings ist Verhalten, wie jedermann bestätigen wird, ob normal oder anormal, problematisch oder akzeptabel, selten eine einfache Sache!
Die altmodischen Begrifflichkeiten für Verhaltensprobleme und die damit einhergehenden Versuche, die Probleme auf Grundlage dieser Bezeichnungen einzuordnen, führten bei Verhaltensexperten und Tierärzten zu standardisierten Ansätzen in der Verhaltenstherapie. Die Folge war, dass Tierärzte im Bemühen, Probleme innerhalb des eingeschränkten Zeitrahmens einer normalen Sprechstunde zu behandeln, zunehmend automatisch Medikamente verschrieben. Die strikte und unbedachte Anwendung dieser Ansätze bestand hauptsächlich darin, die für die Diagnose eines Verhaltensproblems „ausreichenden und notwendigen“ Symptome zu sammeln. So kam es dazu, dass Verhaltensprobleme bei Hunden mehr und mehr als Folge irgendeiner klinischen Anomalie betrachtet wurden, das heißt, man ging davon aus, dass Haustiere mit Verhaltensproblemen krankhaft anormal sind. Die Mehrheit der Haustiere mit Verhaltensproblemen ist jedoch klinisch gesund. Verhaltensprobleme sind keine Krankheiten, auch wenn sie Anzeichen und Symptome klinischer Erkrankungen hervorrufen können.
Das Ergebnis all dieser Entwicklungen war, dass zahlreiche erfahrene sowie unerfahrene Verhaltensexperten in letzter Zeit danach strebten, alle Verhaltensprobleme mit klinischen Erkrankungen erklären zu können, wobei den Wurzeln der Haustierverhaltensforschung keine Beachtung mehr geschenkt wurde. Sie scheinen vergessen zu haben, dass Hunde und Katzen in aller Regel außerordentlich anpassungsfähig sind und sich an ein Zusammenleben mit Menschen angepasst haben. In den weitaus meisten Fällen treten Verhaltensprobleme nicht aufgrund einer klinisch diagnostizierbaren Anomalie auf, sondern weil die betroffenen Tiere einfach Schwierigkeiten haben, mit irgendeinem Aspekt ihres alltäglichen Lebens zurechtzukommen – mit uns Menschen oder mit Artgenossen – und ihre Art des Umgangs mit dieser Situation von unserer Vorstellung von akzeptablem Verhalten abweicht. In der sehr geringen Zahl der Fälle, in denen Haustiere mit Verhaltensproblemen klinisch krank sind, zeigen sie eher keine kontextspezifischen Probleme, sondern in der Regel andere physische oder allgemeine neurologische Symptome/Verhaltensauffälligkeiten. Deshalb haben sich namhafte Verhaltensexperten schon immer an den Grundsatz gehalten, Tiere mit Verhaltensproblemen nur dann zu behandeln, wenn sie von Tierärzten überwiesen wurden, die qualifiziert und dazu berechtigt sind, in diesem Zusammenhang ernst zu nehmende Diagnosen zu stellen und den Gesundheitszustand eines Tieres zu beurteilen.
Am COAPE-Institut haben wir seit Langem der Versuchung widerstanden, bei den von uns behandelten Tieren zuerst nach praktisch verpackten „Diagnosen“ für Verhaltensprobleme zu suchen. Einerseits legen wir größten Wert auf Wissen über die neuesten Erkenntnisse bezüglich physiologischer und neurologischer Vorgänge im Gehirn, die erklären können, wie und warum Tiere das tun, was sie tun, und wir berücksichtigen auch die aktuellen Forschungspublikationen zu genetischen und auf Erfahrung basierenden Faktoren, die Verhalten beeinflussen. Andererseits behalten wir bei all dem immer im Hinterkopf, dass der weitaus größte Teil der Haustiere mit Verhaltensproblemen klinisch absolut gesund ist!
Am COAPE-Institut haben wir einen einfühlsameren und individuelleren Lösungsansatz für Verhaltensprobleme entwickelt, den wir anwenden, lehren und nun auch umfassend empfehlen. Er basiert auf dem EMRA-System.
Die drei Grundpfeiler von EMRA sind:
1. Emotionseinschätzung: Wie ist der Gefühlszustand des Tieres zu dem Zeitpunkt, wenn das Problem auftritt?
2. Lebensgefühleinschätzung: Wie ist die generelle Grundstimmung des Tieres und wie verhält es sich im Alltag?
3. Verstärkereinschätzung: Welche äußeren und inneren Faktoren sind es genau, die das problematische Verhalten aufrechterhalten, oft trotz verschiedenster Versuche, es abzustellen?
Im Mittelpunkt dieses neuen Ansatzes stehen das gesteigerte Bewusstsein für die Individualität und die emotionale Verfassung des Tieres sowie die Schulung des Therapeuten dahingehend, diesen Gefühlszustand auch richtig einschätzen zu können. Da es keine exakten wissenschaftlichen Verfahren zur Messung von Emotionen gibt, mag dieses Konzept einigen als gefährlich, zweifelhaft und vermenschlichend erscheinen. Aber vor dem Hintergrund, dass alle Säugetiere stark und entscheidend von Gefühlen geprägt sind, ist es eine logische Entwicklung. Denn tatsächlich ist diese Herangehensweise die „Kunst“, die einen guten, empathischen Verhaltenstherapeuten ausmacht und ihn von demjenigen unterscheidet, der seinen Kunden Vorträge darüber hält, was ihr Tier „hat“, dabei einfache Dinge mit komplizierten Begriffen umschreibt und standardisierte Behandlungsansätze bietet.
Diese „Kunst“ hat nun eine ernst zu nehmende wissenschaftliche Grundlage. Seit einigen Jahren hat die physische und physiologische Beziehung zwischen den Strukturen des Gehirns, die unsere Momente der Angst, des Ärgers, der Freude und der Begeisterung bestimmen, einen wichtigen Stellenwert in der neurobiologischen Forschung im Bereich der Humanpsychiatrie. In den Augen vieler bestimmt beispielsweise emotionale Intelligenz, uralt, impulsiv und sehr einflussreich, unsere Erfolgsaussichten als Art – ganz im Gegensatz zu unserer neueren, leichter messbaren kognitiven Intelligenz, die sich dadurch auszeichnet, dass wir Dinge bewusst in Betracht ziehen und überdenken können und in der Lage sind, instinktive emotionale Reaktionen zu unterdrücken.
Andere sind der Meinung, dass diese beiden Arten von Intelligenz untrennbar miteinander verknüpft sind und es maßgeblich auf unsere Fähigkeit ankommt, unsere Emotionen zwar zu erkennen, sie aber mittels kognitiver Analyse zu regulieren. Anscheinend jedoch ermöglicht die Struktur des menschlichen Gehirns zu bestimmten Zeiten auf ganz natürliche Weise, dass kognitive Prozesse und kontrollierte Reaktionen von emotional gesteuerten Instinktreaktionen überlagert werden. Sind Entscheidungen und Handeln gefragt, ist das Gefühl ebenso wichtig wie das rationale Denken – und manchmal sogar noch wichtiger. Wie ein Neurobiologe einmal schrieb: Intelligenz kriegt keinen Fuß auf den Boden, solange die Emotionen herrschen.
Was sind Emotionen?
Emotionen lassen sich zunächst einmal als Handlungsimpulse beschreiben und als von verstärkenden Reizen für ganz bestimmte Zwecke hervorgerufene Geisteszustände. Darunter solche, die das Tier veranlassen, sich selbst zu verteidigen, nach Futter oder anderen lebensnotwendigen Dingen zu suchen, in Gruppen Kooperationen mit anderen einzugehen und aufrechtzuerhalten (bei obligatorisch sozialen Tieren wie Hunden), anderen gegenüber Emotionen auszudrücken, auf Neuerungen zu reagieren sowie sich Signale und Geschehnisse zu merken, die im Zusammenhang mit sozialen oder auf das Umfeld bezogenen Ereignissen stehen, und zu lernen, in Zukunft auf diese Signale zu reagieren, besonders wenn sie mit Gefahr verknüpft sind. Tatsächlich können die verschiedenen Emotionen danach klassifiziert werden, ob der Verstärker positiv oder negativ ist. So entstehen Skalen, die Verstärkungskontingenzen, bezogen auf den Grad der Emotionalität, darstellen, beispielsweise Freude, die sich zur Begeisterung und Ekstase steigert, Frustration, aus der Zorn und Wut werden, Besorgnis, die sich zu Angst und Entsetzen auswächst, und so weiter (siehe Abbildung 1).
Der entscheidende erste Schritt bei der Arbeit mit dem EMRA-System ist also die emotionale Einschätzung (keine Diagnose) eines Hundes, der sich beispielsweise anderen gegenüber aggressiv verhält oder Dinge zerstört, wenn er allein gelassen wird. Es ist äußerst wichtig, sich eine Meinung darüber zu bilden, wie sich der Hund zu dem Zeitpunkt, wenn das Problem auftritt, tatsächlich fühlt. Ist er ängstlich, frustriert, zornig, traurig, fröhlich und so weiter? All diese Emotionen unterscheiden sich voneinander, und eine genaue Einschätzung ist richtungsweisend für die Behandlung, wobei der Fokus zunächst darauf liegt, zu entscheiden, wie sich der Hund in der betreffenden Situation fühlen soll. Selbstverständlich möchten wir, dass sich ein ängstlicher Hund sicherer fühlt, ein zorniger Hund zufriedener usw. Die Aufgabe des Verhaltensexperten ist es, ihn auf dem Weg zu diesem anderen Gefühl zu unterstützen.
Im nächsten Schritt kommen wir dann zur Lebensgefühleinschätzung. Wie fühlt und verhält sich der Hund in allen anderen alltäglichen Situationen, in denen das problematische Verhalten nicht auftritt? Ein depressiver Hund ist bei der Behandlung eindeutig schwerer zu motivieren als ein zufriedener Hund. Ein manisch fröhlicher Hund, der alles und jeden liebt, kann sich jedoch in einem ebenso schwierigen Gefühlszustand befinden, wenn wir beispielsweise möchten, dass er lernt, sich bei der Begegnung mit einem anderen Hund ruhig zu verhalten, anstatt diesen zu überrennen und zu verängstigen. Es ist die Grundstimmung, die wir zuerst betrachten müssen, und nicht die zum Zeitpunkt des Konflikts mit einem anderen Hund stattfindende emotionale Reaktion. Um diese kümmern wir uns dann, wenn wir die Grundstimmung auf einem Niveau stabilisiert haben, auf dem der Hund besser ansprechbar ist.
Der dritte Schritt des EMRA-Ansatzes ist die Verstärkereinschätzung, zu der auch eine Einschätzung des Gewinns gehört, den der Hund aus dem gezeigten problematischen Verhalten zieht. Gäbe es diesen emotionalen Gewinn nicht, wäre das Verhalten niemals aufgetreten, hätte sich nicht verfestigt und wäre auch nicht, trotz aller Bemühungen, es abzustellen, wieder aufgetreten. Das ist ein entscheidender Punkt, weil die Frage nach dem Verstärker auch auf neurochemischer Ebene zu betrachten ist und jede Behandlung zuerst das Gefühl von Erfolg oder Erleichterung, das dieses Verhalten ausgelöst hat, wieder davon entkoppeln muss. Nur dann können wir es dem Hund in der Therapie ermöglichen, alternative, aber ebenso erfolgreiche oder Erleichterung verschaffende Verhaltensweisen zu zeigen, die dann wiederum in der betreffenden Problemsituation verstärkt und etabliert werden.
Lernen verändert die Art und Weise, wie ein Tier sein physisches und soziales Umfeld wahrnimmt, und es verändert den emotionalen Zustand eines Tieres während seiner Reaktion auf Signale, die mit Gefahren oder Belohnungen verknüpft sind. Deshalb ist es einem Hund beispielweise nicht möglich, Emotionalität von dem komplexen System des Erlernens und Aufrechterhaltens von sozialem Verhalten und sozialen Strukturen zu trennen. Ebenso verhält es sich bei offensichtlich belohnenden Ereignissen wie der Reaktion auf Signale, die mit dem Auffinden von Futter in Verbindung gebracht werden und traditionell als eher unemotionale konditionierte Reaktionen beschrieben wurden (z. B. Pawlows Experimente mit Hunden zur klassischen Konditionierung). Der Zweck von Emotionen ist in diesen Fällen, den Körper dazu zu befähigen, in irgendeiner Form mit den Ereignissen in seinem Umfeld und den damit in Verbindung stehenden Signalen umzugehen, sowie die zu Belohnungen führenden Verhaltensweisen zu formen, zu intensivieren, zu verfeinern und schließlich zu perfektionieren. Das gilt insbesondere für primäre Belohnungen wie Futter, Sex, Sozialkontakt und Sicherheit, obwohl die damit in Verbindung stehenden Verhaltensweisen von Natur aus selbstbelohnend sind. Der Erfolg der Säugetiere ist tatsächlich auf ihre emotionale Sensibilität zurückzuführen und auf ihre Fähigkeit, den „Wert“ jedes sensorischen Inputs sehr schnell einzuschätzen: Ist er für ihr Wohlbefinden gut, schlecht oder ohne Bedeutung? Es ist auch richtig festzustellen, dass es kein Lernen ohne emotionale Veränderung gibt, egal, ob es um neue Lerninhalte in unbekannten Situationen geht oder um das Verfeinern des Ausdrucks angeborener motorischer Verhaltensmuster.
Letztendlich ist eine positive emotionale Veränderung auf neurophysiologischer Ebene – ob von ängstlich zu erleichtert oder von neutral zu glücklich – die Belohnung für jegliches Verhalten.
Es ist deshalb falsch, bei jedem Tier, das sich durch ständiges Putzen und Belecken selbst verletzt, automatisch eine krankhafte „Zwangsstörung“ zu diagnostizieren, außer man möchte dieses seltsam anmutende Verhalten unbedingt kompliziert beschreiben. Es kann sich vielmehr um die Reaktion eines absolut gesunden Hundes (oder einer Katze) handeln, der unter beträchtlichem Stress steht, weil er beispielsweise soziale Isolation erlebt oder ihm die Möglichkeit verwehrt ist, normale und für das Aufrechterhalten seines Wohlbefindens notwendige Verhaltensweisen zu zeigen. Bleiben dem Tier derart wichtige Möglichkeiten zum Erhalt seines art- oder typspezifischen Wohlbefindens verwehrt, zeigt es, um sein Wohlgefühl dennoch aufrechtzuerhalten, vielleicht das einzige ihm zur Verfügung stehende Verhalten, das eine positive emotionale Veränderung bewirkt. Das Sich-Pflegen ist eine der Verhaltensweisen, die bewirken, dass ein Hund, oder auch ein Mensch, sich besser fühlt. Einigen Hunden verschafft es Erleichterung, wenn sie ein bisschen an einem Spielzeug herumnagen, für andere ist ausgiebiges Nagen, vielleicht an sich selbst, die einzige Option. Stellen wir das generelle Wohlbefinden des Hundes wieder her, indem wir ihm die Möglichkeit geben, andere selbstbelohnende Verhaltensweisen zu zeigen, wird er auch besser mit emotionalen Herausforderungen, wie beispielsweise Isolation, umgehen können. Das Ventil, sich selbst anstelle eines Kuscheltuchs zu belecken oder zu benagen, braucht er dann nicht mehr. Eigentlich ist alles so logisch … Es gibt keinen Grund, eine krankhafte Zwangsstörung zu diagnostizieren, als wäre Lecken oder Nagen eine Krankheit. Und in vielen Fällen gibt es auch keinen Grund, dem Tier Medikamente zu verabreichen, besonders dann nicht, wenn die Therapie erfolgt, bevor das Verhalten zur Sucht und damit auch dann wegen des emotionalen Gewinns ausgeführt wird, wenn der Hund nicht einsam oder anderweitig gestresst ist.
Es ist ebenso sinnlos, eine Reihe verhaltenstherapeutischer Maßnahmen anzubieten, die das Wohlbefinden des Hundes steigern sollen, wenn diese sich nicht an den äußerst unterschiedlichen Verhaltensbedürfnissen des vorgestellten Hundtyps orientieren. Um sich wohlzufühlen, brauchen Jack Russell Terrier definitiv andere Dinge im Leben als Deutsche Schäferhunde, Border Collies oder Pyrenäenberghunde. Und auf diese rassespezifischen Bedürfnisse muss, bei zusätzlicher Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Persönlichkeit, in jedem Fall individuell eingegangen werden.
EMRA in der ANWENDUNG
Wenn wir das Verhalten eines Tieres verändern möchten, ist es wichtig, dass wir sowohl die Flut von Gefühlen (Emotionen), die das Tier während des unerwünschten Verhaltens erlebt, als auch seine Grundstimmung während des restlichen Tages (Lebensgefühl) in Betracht ziehen und versuchen zu verstehen. Ein Beispiel aus der Welt der Menschen mag erklären, warum:
Stellen Sie sich vor, Ihr zehnjähriger Sohn spielt vor dem Küchenfenster Fußball, und Sie haben ihn bereits erfolglos gebeten, im Garten zu spielen, damit der Ball nicht irgendwann durch das Fenster fliegt. Kurz darauf kracht der Ball tatsächlich durch das Küchenfenster. Ihre erste Emotion ist womöglich Zorn auf Ihren Sohn, weil er nicht getan hat, worum Sie ihn gebeten haben. Stellen Sie sich jetzt noch einmal dieselbe Szene vor, nur dass Sie dieses Mal eine Grippe mit nagenden Kopfschmerzen haben und gereizt sind. Der Ball kracht durch das Küchenfenster. Mit welcher Emotion reagieren Sie nun auf den Vorfall? Sie explodieren wahrscheinlich vor Zorn. Oder vielleicht resignieren Sie auch, weil Sie zu müde oder zu entnervt sind, um sich aufzuregen.
Jeder hat sein persönliches Lebensgefühl, eine Grundstimmung, die im Tagesverlauf ein wenig in jede Richtung tendieren kann. Jemand, der unter Depressionen leidet, wird ein völlig anderes Lebensgefühl haben als jemand, der glücklich und zufrieden mit seinem Leben ist, und diese beiden Menschen werden auf das gleiche Ereignis mit völlig unterschiedlichen Emotionen reagieren. Diese Gefühle können auch vermischt werden: So könnte jemand bei seinem ersten Fallschirmsprung gleichzeitig Freude und Begeisterung, aber auch Besorgnis oder Angst verspüren.
Emotionseinschätzung
Das Schöne am EMRA-System ist, dass sowohl die Art der Emotion, die während eines problematischen Verhaltens erlebt wird, als auch ihre Intensität in einem Diagramm dargestellt werden können. Das hilft dem Verhaltenstherapeuten und dem Tierbesitzer dabei, herauszufinden und zu interpretieren, was genau passiert. Es kann beispielsweise mehrere Gründe dafür geben, warum ein Hund beim Spaziergang im Park Fremde anbellt (siehe Abbildung 3).
Ben, ein Deutscher Schäferhund, hat Angst vor Fremden, und er hat gelernt, dass diese sich zurückziehen, wenn er sie anbellt, oder dass sein Besitzer dann schnell mit ihm in eine andere Richtung weitergeht. Beide Optionen sorgen dafür, dass Bens Angst dem Gefühl der Erleichterung weicht, denn die Distanz zwischen ihm und dem Fremden wird größer. In diesem Fall könnte Bens erste Reaktion bei Erspähen eines Fremden in der Ferne Besorgnis sein (Punkt A, Abbildung 2). Nähert sich der Fremde nun, bekommt der Hund möglicherweise Angst (Punkt B) und beginnt zu bellen. Zieht sich der Fremde zurück, weicht die Angst dem Gefühl der Erleichterung (Punkt C).
Max ist ein unkastrierter, 18 Monate alter Labradorrüde, und auch er bellt Fremde an. Max bellt jedoch, weil er gelernt hat, dass er damit die Aufmerksamkeit seines Besitzers erlangen kann, auch wenn es sich um eine negative Form von Aufmerksamkeit handelt, nämlich Schimpfen. In diesem Fall empfindet Max vielleicht zunächst Freude (bewegt sich von Punkt X zu Punkt Y, Abbildung 2) über die Aufmerksamkeit seines Besitzers, die dann in Frustration umschlägt (Punkt Z), wenn er in die Gegenrichtung und damit von dem Fremden weggezogen wird.
Lebensgefühleinschätzung
Die physiologische Homöostase (Selbstregulation) von Blutzuckerspiegel, Körpertemperatur, Hunger, Durst, Herzfrequenz und so weiter ist gut erforscht. Weniger bekannt ist aber, dass auch das Lebensgefühl der homöostatischen Regulation unterliegt. So wie andere homöostatische Mechanismen das physiologische Gleichgewicht im Körper aufrechterhalten, erhält der emotionale Teil des Gehirns den sogenannten Hedonic Set Point (kurz HSP, man könnte auch vom „Glücksrichtwert“ sprechen) eines Individuums aufrecht, indem er danach strebt, jegliche emotionale Abweichung in den Normalzustand zurückzubringen.
Abbildung 2 verdeutlicht die Beziehung zwischen dem Lebensgefühl und dem HSP. Den Mittelpunkt des Diagramms bildet die Grundzufriedenheit. Sie ist der Drehpunkt, um den herum Stimmungsschwankungen auftreten können, wobei „gute Gefühle“ oberhalb der Mittellinie verortet sind und „schlechte Gefühle“ unterhalb. Grundzufriedenheit ist definiert als das Nichtvorhandensein spezifischer Gefühle, etwa der Zustand kurz vor dem Einschlafen. Stellen Sie sich vor, dass das Lebensgefühl eines Tieres mit Gummibändern an die Grundzufriedenheitslinie geknüpft ist. Jegliche Stimmungsveränderungen in jede Richtung (positiv oder negativ) werden dann zurück zur Mitte gezogen (Linien A und B, Abbildung 3). Bei einem normalen, zufriedenen Tier liegt der HSP irgendwo kurz über der Grundzufriedenheitslinie und steht für die Gefühle Zufriedenheit und Wohlbefinden. Um diesen HSP aufrechtzuerhalten, wird das Tier normale, alltägliche Verhaltensweisen zeigen, die es individuell als belohnend und angenehm empfindet.
Betrachten wir nun wieder das Beispiel mit den Hunden im Park: Abbildung 3 verdeutlicht im Diagramm die Lebensgefühleinschätzung für Ben und Max. Ben ist ein Einzelhund, und seine Besitzer schenken ihm reichlich Liebe und Aufmerksamkeit in Form von abwechslungsreichem Training und Spielen. Wir nehmen an, sein Lebensgefühl ist da, wo es sein soll: irgendwo kurz über der Grundzufriedenheitslinie.
Max, der 18 Monate alte Labrador, lebt dagegen bei einem Pärchen, das gerade ein Baby bekommen hat, weshalb er nun weniger Spaziergänge und Aufmerksamkeit genießen kann. Er ist ungestümer geworden und wird daher beim Spazierengehen nicht mehr von der Leine gelassen. Kürzlich hat er damit begonnen, Objekte wie Socken und Schuhe zu bewachen. Versuchen seine Besitzer, ihm diese wegzunehmen, knurrt er sie an. Würde ein Verhaltensberaterin seiner Praxis einem Hund wie Max begegnen, wie viele würden wohl als erste Therapiemaßnahme eine Kastration empfehlen? Gehen wir aber noch mal einen Schritt zurück: Wo würden Sie Max’ Lebensgefühl einordnen? Ist Ihnen klar, warum wir es, basierend auf den uns vorliegenden Informationen, wie in Abbildung 3 gezeigt eingeordnet haben? In diesem Beispiel wird Max’ Lebensgefühl wahrscheinlich nach unten gedrückt, weil seine emotionalen Bedürfnisse nicht mehr erfüllt werden, und der Antrieb für sein Verhalten sind seine Frustration und das Streben, sein Lebensgefühl wieder nach oben zu „schieben“. Hilft das zu erklären, warum sich eine Kastration bei Max wahrscheinlich nicht positiv auf sein Verhalten auswirken würde?
Verstärkereinschätzung
Die Berücksichtigung der emotionalen Bedürfnisse eines Individuums (egal, welcher Art es angehört) ist keine abstruse Fantasie eines ambitionierten Sozialarbeiters. Unterschiedliche Hundetypen (zum Beispiel Windhunde, Jagdhunde, Hütehunde, Terrier und Schoßhunde) haben ganz unterschiedliche Talente. Das mag als eine ziemlich offensichtliche Tatsache erscheinen, aber es ist dennoch der Kern vieler frustrierend anhaltender Verhaltensprobleme bei Hunden.
Wenn Max und Ben Menschen im Park anbellen, zeigen sie oberflächlich betrachtet das gleiche Verhalten, die dabei empfundenen Emotionen sind jedoch sehr verschieden, wie die jeweilige Emotionseinschätzung (Abbildung 2) der beiden deutlich zeigt. Das gibt uns einige Hinweise, worauf wir bei der Verstärkereinschätzung für diese Hunde jeweils achten müssen. Beide Hunde werden durch ihr Verhalten belohnt (wäre das nicht so, wäre das Verhalten bereits von selbst verschwunden). Die offensichtliche Belohnung für Ben ist, dass sein Bellen Fremde „dazu bringt“, sich zurückzuziehen. Zudem zeigt uns die Emotionseinschätzung bei Ben, dass er Erleichterung fühlt, was an sich schon ein bedeutender Verstärker sein kann. Und schließlich reagiert Bens Besitzer, indem er ihn instinktiv an der Leine zurückzieht, was eine weitere „versteckte“ Belohnung für das Verhalten darstellt, die dieses zusätzlich verstärkt. Alle diese Verstärker müssen erkannt und systematisch entfernt werden, um Bens Verhaltensproblem zufriedenstellend zu lösen.
Ein weiterer und ebenso wichtiger Teil der Verstärkereinschätzung ist, herauszufinden, welche belohnenden Aktivitäten bei der Arbeit an einer Verhaltensänderung genutzt werden können. Ein unerwünschtes Verhalten lässt sich nicht einfach abstellen, indem man das Tier davon abhält, es zu zeigen. Man muss dem Tier vielmehr ein Alternativverhalten beibringen, das sich ebenso oder sogar noch mehr lohnt. Möglicherweise ist das unerwünschte Verhalten entstanden, weil ein wichtiges angeborenes motorisches Verhaltensmuster unterdrückt wurde und das Tier stattdessen auf ein anderes Verhalten ausgewichen ist, um seinen HSP aufrechtzuerhalten. Genau das ist das Problem bei unserem Beispielhund Max. Seine Emotions- (Abbildung 2) und Lebensgefühleinschätzung (Abbildung 3) zeigen deutlich, dass vor allem emotionale Deprivation die Antriebskraft für sein Verhalten ist. Weder eine „Verhaltenskorrektur“ noch eine Operation werden seine Probleme lösen können.
Zusammenfassend erlaubt EMRA eine Einschätzung jedes Hundes mit seinen individuell verschiedenen Motivationen, Emotionen und Verstärkern, die alle ihren Teil zum Verhalten beitragen. Diese einzuschätzen und zu verstehen, hilft die Bedürfnisse des einzelnen Hundes besser nachvollziehen und ihnen gerecht werden zu können.
COAPE…
… Das Zentrum für angewandte Verhaltenskunde bietet eine große Auswahl an Fern- und Präsenzkursen in Heimtierverhalten und – training, darunter 2012/13 das erste dreijährige kombinierte Theorie- und Praxisprogramm auf Hochschulniveau. COAPE-Kurse werden durch das Open College Network unabhängig akkreditiert und viele davon werden durch die offizielle nationale Bildungsbehörde des Vereinigten Königreichs reguliert. Dadurch sind sie vom European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS) international anerkannt.
Ganz aktuell wurde COAPE zum bevorzugten Fortbildungsanbieter des Britischen Kennel Clubs im Rahmen des „Kennel Club Akkreditierungsprogramm in Hundetraining und –verhalten (KCAI)“ ernannt, welches bei der Crufts Dog Show 2013 eingeführt werden wird.