Arbeitsrassen als Familienhunde?
Interview mit Ariane Ullrich
+++ LESEPROBE aus der SPF 30, die den Schwerpunkt „Familienhunde“ hat. Der vollständige Artikel ist im Heft zu finden, das versandkostenfrei im Cadmos-Shop bestellt werden kann +++
Ariane Ullrich lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern, mehreren Border Collies und circa 30 Schafen auf einem kleinen Bauernhof. Die Diplom-Biologin mit Spezialisierung in Verhaltensforschung ist Mitglied des BHV (Berufsverband der Hundeerzieher und Verhaltensberater e. V.) und Vorsitzende des BHV-Ausbildungsrates. Sie betreibt eine Hundeschule, dazu den Buchverlag MenschHund! und ist Redakteurin der Verbandszeitschrift „Der Familienhund“. Zum Thema „Arbeitsrassen als Familienhunde“ kann sie daher verschiedene Sichtweisen einnehmen, weshalb SitzPlatzFuss ihr ein paar Fragen gestellt hat.
SPF: Ariane, welche Rolle spielen deine Border Collies für dich? Sind sie eher Familienhunde oder Arbeitshunde? Welche Aufgaben übernehmen sie?
Unsere Hunde sind natürlich beides. Unser erster Border Collie kam, nachdem wir gelernt hatten, wo wir die Kinder platzieren müssen, um die Schafe in die richtige Richtung zu treiben. Eine unserer Hündinnen war gestorben und es war Platz für ein neues hündisches Experiment. In erster Linie als Familienhund, als Mitläufer in der Hundeschule, Kuschelpartner für die Kinder und in zweiter Linie, um uns die Schafshaltung zu vereinfachen und in das Hüten reinzuschnuppern. Die zweite Border-Collie-Dame war eigentlich als Arbeitshund für meinen Mann gedacht, der plötzlich erkannte, dass Hunde tatsächlich auch für etwas „gut“ sind. Dann wurde aber doch der Bruder unserer Hündin zu unserem Hund, der kurz darauf als Pflegehund bei uns hängen blieb. Heute haben wir drei Border Collies, von denen einer schon in Rente ist. Die anderen beiden werden bei Bedarf eingesetzt. Sie sortieren die Schafe, treiben sie dorthin, wo sie hinsollen, und helfen bei der Pflege der Schafe.
SPF: Letztendlich sind alle Hunde für irgendwelche Aufgaben gezüchtet. Wie würdest du „Arbeitsrassen“ definieren?
Meine Definition von „Arbeitsrasse“ ist etwas enger. Ich packe alle Hunderassen dort hinein, die auch heute noch großen Bedarf nach spezieller Arbeit haben. Die Hüte- und Koppelgebrauchshunde fallen hier hinein, die Herdenschutzhunde und vor allem die Jagdgebrauchshunderassen, aber auch die Retriever aus Arbeitslinien. Hunde eben, bei denen es überdurchschnittlich viele Individuen gibt, die ohne Arbeit unglücklich sind und Probleme haben oder machen. Eigentlich kann man auch Boxer, Rottweiler und Co. dazutun, denn auch sie wollen mit ihren Menschen arbeiten. Aber sie benötigen oftmals keine spezielle Arbeit, sondern sind mit vielen Dingen glücklich. Wer schon mal eine Gelbbacke oder einen Harzer Fuchs hatte, der kennt den Unterschied zwischen ARBEITEN und arbeiten. Bei diesen Hunden reicht normale Hundeschule und ein paar Schnüffelspiele nicht aus. Ohne eine Herde und viel Land bringen viele Hunde dieser Rassen ihre Halter zur Verzweiflung. Natürlich gibt es immer wieder Hunde, die auch so glücklich in der Familie leben, aber ein Großteil schafft das nicht. Auch deshalb werden bzw. sollten sie nicht ohne Arbeit abgegeben werden.
SPF: Und was macht für dich einen idealen „Familienhund“ aus?
Der ideale Familienhund für mich ist momentan ein unkomplizierter Hund, der sich freut, wenn ich mich mal mit ihm beschäftige, und ansonsten schläft. Ich fürchte, zur Zeit ist es eher der Stoffhund, und ich bin froh um meine große Familie, die sich mit um die Hunde kümmert. Für mich ist ein idealer Familienhund ein gut sozialisierter, freundlicher, schnell lernender Hund, der überall mit hingenommen werden kann, jeden (Kinder-)Lärm verträgt und dabei auch schlafen kann. Idealerweise maximal 40 cm hoch, damit er in jede Tasche und jede Ecke passt. Er jagt nicht und passt immer auf, wo sich seine Menschen befinden. Sucht verlorene Mützen und Kinderhandschuhe und kuschelt jederzeit und an jedem Ort. Eigentlich genau wie zumindest zwei unserer drei Hunde.
SPF: Was ist für dich der Unterschied zwischen Arbeitsrassen und anderen Hunden? Welche Arbeitsrassen sind eher als Familienhunde geeignet, welche weniger?
Arbeitsrassen sind für mich vor allem Hunde, die eine ganz spezielle Arbeit benötigen. Wenn sie dieser Arbeit nachkommen können, sind fast alle Hunde auch als Familienhunde geeignet. Eventuell würde ich die Herdenschutzhunde hier rausnehmen (zumindestens einige Rassen), weil sie im Alltag einer normalen Familie durchaus Probleme machen können. Es kann recht ungemütlich werden, wenn der Owtscharka die Freundin zwar rein-, aber nicht wieder rauslässt. Oder bei jedem Plausch auf dem Spaziergang, der länger als drei Minuten dauert, sein Territorium verteidigt. Wenn also die spezielle Arbeit des Hundes den Alltag nicht beeinträchtigt, ist jede Rasse auch als Familienhund geeignet. Denn einen Partner zu haben, eine Vertrauensperson, Liebe und Geborgenheit wünscht sich jeder Hund.
SPF: Macht es einen Unterschied, ob man innerhalb einer Rasse einen Hund aus einer Arbeitslinie oder Showlinie als Familienhund halten möchte?
Ja, das macht einen großen Unterschied. Bei den Border Collies zum Beispiel haben sich die Linien zum Teil schon so sehr auseinanderentwickelt, dass man fast von zwei unterschiedlichen Rassen sprechen kann. Der „echte“ Showborder sieht mittlerweile sehr viel einheitlicher aus als der Border Collie aus Arbeitslinie, bei denen es mehr um Verhalten als um Aussehen geht. Showborder zeigen meist nicht mehr das typische Hüteverhalten. Oder sie zeigen es sehr undifferenziert, sodass man es manchmal nicht befriedigen kann. Je nach Linie sind sie ähnlich einem gemütlichen, kuscheligen Berner Sennenhund geworden statt zu quirligen Border Collies. Bei den Labrador Retrievern ist der Unterschied ebenso deutlich. Auf der einen Seite die kräftigen, breiten Gemütshunde, auf der anderen Seite die konzentrierten, agilen Arbeitshunde. Und dazwischen die durchgeknallten Hunde mit Zwangsverhaltensweisen und Problemen in der Impulskontrolle. Wenn ich einem Hund Arbeit bieten kann, dann ist die Arbeitslinie momentan noch konsistenter, weil länger selektiert. Wer keine spezielle Arbeit für den Hund hat, sollte sich die Zuchten sehr genau anschauen und viele Tiere kennenlernen, um auszuloten, welche Verhaltensweisen und Charaktere in der jeweiligen Linie hervorkommen. Showhunde sind noch sehr unterschiedlich, da sie erst seit kürzerer Zeit auf vor allem körperliche Merkmale selektiert werden und das Verhalten entsprechend stark variieren kann.