Die Hunde der Schriftsteller

Leseprobe aus SPF 15 – April, Mai, Juni 2014
Von Dr. Utz Anhalt

„Alles Wissen, die Gesamtheit aller Fragen und alle Antworten sind im Hund enthalten.“ (Franz Kafka, 1883–1924)

Die besondere Beziehung zwischen Mensch und Hund ging in die Mythen der Welt ein und inspirierte die Schriftsteller. Die alten Ägypter schätzten den Hund; die antiken Griechen philosophierten über seine Intelligenz; die Kelten und Germanen bewunderten ihre Jagd- und Kriegshunde. Juden, Christen und Muslime verachteten den Hund zwar im Generellen, doch beeindruckt auch ihre Autoren gelegentlich die Loyalität des Tiers. Literarische Hunde sind bisweilen der Hauptcharakter, häufiger indessen die Begleiter des Helden oder Schurken. Erzählungen, die von Mensch und Hund berichten, gehen über in moralische Botschaften, die Hunde als Sinnbild nutzen.

SchriftstellerWeb1Odysseus und Argos

Aristoteles und Xenophon setzten sich in der griechischen Antike in Sachbüchern mit Kaniden auseinander. Homer würdigte den Hund indessen in der Fiktion: Als Odysseus von seiner langen Reise in die Heimat Ithaka kommt, erkennt sein Jagdhund Argos ihn als Einziger wieder. Der Treue wartete 20 Jahre lang auf die Wiederkehr seines Herrn. Jetzt ist er zu alt, um sich zu erheben, und Ungeziefer kriecht auf seinem ausgezehrten Körper herum. Er wedelt und senkt die Ohren – und wenig später stirbt der treue Gefährte. Argos ist nach einem hundertäugigen Ungeheuer der griechischen Mythologie benannt und steht für Wachsamkeit. Die Wache über Haus und Hof war tatsächlich die wichtigste Aufgabe des Hundes im alten Griechenland. Auch der Hadeshund Kerberos mit seinen drei Köpfen, der den Eingang zur Totenwelt bewachte, war ein Wachhund.

Der Hund als Symbol
Fabeln vermitteln eine „Moral von der Geschichte“; Tiere dienen dabei als Sinnbilder für menschliches Verhalten. In Europa erscheint der Fuchs in der Regel als gerissener Gauner, der Wolf als starker, aber dummer Wolf Isegrim – und der Hund als loyaler Kumpan. Hunde treten in der Literatur als Symbol für Treue auf, als Sinnbild für Wachsamkeit, aber auch für Unterwürfigkeit. Ein Beispiel gibt „Der Hund, der Hahn und der Fuchs“. In dieser Fabel von Äsop erscheint der Hund als Bodyguard. Ein Hahn und ein Hund reisen zusammen. Am Abend setzt sich der Hahn auf einen Ast, um zu schlafen, der Hund schläft auf dem Boden. Früh am Morgen kräht der Gockel und lockt damit einen Fuchs an. Der sieht seine Chance und säuselt dem Hahn zu, herunterzukommen, weil er ihn für seinen Gesang küssen möchte. Der Hahn antwortet, der Fuchs müsse sich zuerst an den Pförtner wenden. Der Fuchs spricht den Hund an – und der zerreißt ihn. „Wenn du bedrängt wirst, dann schick den Bedränger zu starken Freunden“, lautet die Botschaft.

Werkzeug der Rache
Guy de Maupassant starb 1893 im Alter von 43 Jahren. Er gehörte zur Schule des Realismus, wandte sich aber in seinen letzten Jahren der Fantastik zu. Seine Geschichte „Vendetta“ handelt von Rache. Nicolas Ravolati ersticht Antoine Saverini, den Sohn der alten Witwe Saverini. Er flieht nach Sardinien – die Hinterbliebene ist zu schwach, um zu folgen. In der Zeit darauf bildet sie jedoch ihre Hündin aus. Die lernt, Blutwurst vom Hals einer Strohpuppe zu reißen. Bald reagiert sie schon auf die Anwesenheit der Strohpuppe mit einem Kehlenbiss. Die Alte verkleidet sich als Bettler und setzt mit einem Boot in das Dorf Longosardo über, wo der Mörder lebt. „Das vor Hunger halb verrückte Tier stürzte vor, sprang an dem Manne hoch und packte ihn an der Gurgel. (…) Die alte Frau kehrte am gleichen Abend nach Hause zurück. In dieser Nacht schlief sie tief und fest.“

Hundeliebe
„Kauf einen jungen Hund, und du wirst für dein Geld wild entschlossene Liebe bekommen“, schrieb Rudyard Kipling. Nicht nur mit „Mowgli“, dem Jungen, der unter Wölfen aufwächst, setzte er sich literarisch mit Kaniden auseinander. Hätte er ohne Fachwissen über und ohne Empathie für Hunde wie Wölfe Mowglis Kindheit zwischen seinen tierischen Geschwistern erdenken können? Das ist zu bezweifeln.
In „Garm, a hostage“ (Garm als Geißel) verarbeitete Kipling 1899 Erfahrungen, die er mit Bullterriern bei der britischen Armee sammelte. Er kennzeichnet hier das widersprüchliche Verhältnis des Menschen zum Hund. Zum einen schreibt Kipling: „Hunde sind nicht viel mehr als Rumtreiber, Flohsäcke, Allesfresser …“ Zum anderen erläutert er: „Ein freies Wesen, durch Liebe eng mit uns verbunden. Wann werden wir es endlich aufgeben, einen Hund lieb zu gewinnen? Wir, Hundeliebhaber, kennen die Antwort.“
Der betrunkene Soldat Stanley Ortheris kommt verwirrt zum Erzähler. Der nimmt ihn auf und schickt ihn morgens mit einem Entschuldigungsbrief zu seinem Offizier zurück. Drei Tage später bringt Ortheris dem Erzähler als Dank für die Rettung seinen Bullterrier. Der Terrier rettet seinerseits den kleinen Hund des Erzählers vor einem Angriff wilder Straßenköter. Der Erzähler begeistert sich für die außergewöhnliche Intelligenz und den ausgezeichneten Charakter des Hundes. Doch Garm hängt an Stanley, der ihn zweimal die Woche besucht. Im Sommer wird das alte Herrchen jedoch in die Berge versetzt, und der Hund stirbt fast vor Kummer. Zum Glück kann der Erzähler ihm wenige Wochen später folgen und bringt Herr und Hund wieder zusammen. Trotz Happy End wirkt die Erzählung niemals kitschig, sondern skizziert eindrucksvoll einen von jenen, die heute als „Kampfhunde“ denunziert werden.

Krambambuli

Marie von Ebner-Eschenbachs „Krambambuli“ von 1883 handelt vom Ringen zwischen Förster und Wilderer. Der Berufsjäger Hopp kauft einen Jagdhund von einem Alkoholiker, der als Forstgehilfe arbeitet – für einige Flaschen „Krambambuli“-Schnaps. Der Hund hängt an seinem saufenden Herrchen und Hopp muss ihn wegtragen.

Danach foltert er das Tier mit Stachelhalsband und Schlägen, um seine Persönlichkeit zu brechen. Das gelingt ihm scheinbar, und der vergewaltigte Hund folgt ihm. Eine Gräfin möchte Krambambuli ihrem Gatten zum Geburtstag schenken. Hopp schlägt ihr vor, dass sie ihn behalten könne, wenn der Hund nicht die Ketten zerreißt, um zu ihm zurückzukommen. Dann sei er sowieso nichts wert. Der Hund frisst bei der Gräfin nichts und beißt jeden, der sich ihm nähert – und Hopp nimmt ihn wieder auf.

Hopps Oberförster schlägt eine Frau zusammen, die ein Verhältnis mit dem „Gelben“ haben soll – einem unbekannten Wilddieb. Eine Woche später findet Hopp die Leiche des Schlägers, dem Erschossenen hat der mutmaßliche Mörder hämisch eine billige Flinte in die Hand gesteckt. Krambambuli wird nervös, schnüffelt herum und nimmt das Gewehr ins Maul. Hopp begreift, dass es das Gewehr von seinem ersten Herrn ist. Das ist also der Wilderer.

Kurz darauf stellt er den Wildschütz und fordert ihn auf, sich zu ergeben. Doch der versucht, auf ihn zu schießen. Das Gewehr versagt und Hopp hetzt Krambambuli auf dessen alten Besitzer. Der Hund ist irritiert und kriecht zu dem „Gelben“. Er springt freudig an ihm hoch, dessen Schuss verfehlt deshalb Hopp. Hopp jedoch trifft und tötet den Forstgehilfen. Er will den Hund zuerst auch erschießen, lässt ihn dann aber allein. Krambambuli bleibt bei der Leiche und jault. Wenige Tage später liegt der Jagdhund tot vor Hopps Haustür.

„Krambambuli“ gibt aus heutiger Sicht (und von Ebner-Eschenbach vermutlich nicht intendiert) einen Einblick in die traditionelle autoritäre Hundeerziehung. Zwar inszeniert die Autorin Hopp als positiven Protagonisten. Für seine Hundefolter würde er heute aber hoffentlich wegen Tierquälerei bestraft – allerdings sind derlei barbarische Methoden immer noch verbreitet. Krambambuli ist das Opfer von beiden Hauptfiguren: Von einem verantwortungslosen Säufer kommt er zu einem faschistoiden Herrenmenschen und stirbt, weil er beiden gegenüber versucht, loyal zu sein.

Der Hund von Baskerville
„Ein Hund spiegelt die Familie. Wer sah jemals einen munteren Hund in einer verdrießlichen Familie oder einen traurigen in einer glücklichen? Mürrische Leute haben mürrische Hunde, gefährliche Leute gefährliche.“
(Arthur Conan Doyle)

Arthur Conan Doyle wurde als Schöpfer von Sherlock Holmes bekannt, verfasste aber nicht nur Detektivgeschichten, sondern spielte auch mit dem Übersinnlichen. Mal löste er vermeintlich Übernatürliches rational auf, mal glitt ihm ein kriminalistischer Plot in Geisterhaftes über. Der „Hund von Baskerville“ erschien 1902 erstmals auf Deutsch. In diesem dritten Sherlock-Holmes-Roman verwob Doyle Mystery mit Kriminalgeschichte.

Sir Charles Baskerville, ein Adliger aus Devonshire, starb – und ein Schatten der dunklen Überlieferung liegt über seinem Tod. Denn ein geisterartiger schwarzer Hund sucht in der Legende die Baskervilles heim. Die Familie zog angeblich diesen Fluch auf sich, nachdem einer der Ihren ein unschuldiges Mädchen umbrachte. Der Dämonenhund jagte, so munkelt man, Sir Charles durch das Moor, bis sein Herz vor Todesangst stillstand.

Sir Henry, der letzte Baskerville, kommt aus Amerika, um sein Erbe anzutreten. Ein Freund der Familie sucht Sherlock Holmes auf, weil er fürchtet, Henry könnte Charles’ Schicksal teilen. Tatsächlich wird Henry in England bedroht: Zwei Schuhe werden ihm gestohlen, und ein unbekannter Verfolger gibt sich selbst als Holmes aus.
Watson, nicht Holmes, nimmt sich des Falles an. Er begleitet Sir Henry nach Devonshire. Doyle bediente sich damit eines Kunstgriffs. Die Geschichte löst sich nämlich nicht nur rational auf, sondern wäre für den Meisterdetektiv auch leicht zu durchschauen. In den Kurzgeschichten um Sherlock Holmes fesselte Doyle die Leser gerade mit Holmes Analysen. Der „Hund von Baskerville“ lebt hingegen von der düsteren Romantik. Schnelle Aufklärung ist jedoch der Erzfeind der schaurigen Atmosphäre. Watson ist indessen blauäugiger als Holmes und steht den Geschehnissen ebenso naiv, oder gar naiver, gegenüber wie der Leser.
Doyle inspirierte der Historiker Sabine Baring-Gould, der das „Buch der Werwölfe“ schrieb. Michael Drewniok merkt an: „Baskerville Hall ist ein verwunschener Ort, einsam inmitten des tückischen Grimpenmoors gelegen. Ein falscher Schritt lässt den unvorsichtigen Wanderer sogleich versinken. Gar nicht weit entfernt steht das berüchtigte Zuchthaus Dartmoor. Gerade ist dort der verrückte Serienmörder Seldon ausgebrochen und hält sich im Sumpf verborgen. Watson überrascht das Dienerpaar Barrymore, das des Nachts heimliche Signale ins Moor schickt. Er schließt Bekanntschaft mit dem Naturforscher Stapleton und seiner schwermütigen Schwester. Dann entdeckt er, dass der Brief einer unbekannten Frau Sir Charles ins Moor gelockt hat … Die Kette der Entdeckungen und Verwirrungen reißt nicht mehr ab. Watson raucht bald der Schädel.“
Michael Drewniok kommentiert: „Noch heute ist seine Schilderung des Moors der Stempel, der einer eigentlich recht prosaischen, kargen Landschaft aufgeprägt wurde, die dadurch ein dramatisches, symbolträchtiges Image gewann: das wilde Moor als Spiegelbild der primitiven Seiten der menschlichen Seele, bewohnt von dunklen Gestalten aus dem Schattenreich.“
Ein allzu scharfsinniger Ermittler darf dem „Hund von Baskerville“ auch nicht auf der Spur sein: Die Bösewichte setzen einen mit Phosphor bemalten Hund ein; mit diesem „Geist“ drangsalieren sie Henry, um an sein Erbe heranzukommen. Einen solchen Plan hätten Zwölfjährige entwickeln können. Zwar fehlt Watson die Raffinesse eines Meisterdetektivs, doch dafür beweist er im düsteren Moor seine Tapferkeit. Doyle lässt Holmes erst am Ende in Erscheinung treten. Wie nicht anders zu erwarten, löst er das Rätsel schnell. Der „Hund von Baskerville“ ist nicht in erster Linie eine Detektiv-, sondern eine unheimliche Geschichte.

A Dog’s Tale
„Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beißen. Das ist der Unterschied zwischen Mensch und Hund“, schrieb Mark Twain. Er war einer der besten Journalisten im Amerika seiner Zeit und lässt 1903 in „A Dog’s Tale“ einen Hund selbst aus seinem Leben berichten. Mark Twain war jedoch nicht Walt Disney, und statt eine reaktionäre heile Welt vorzugaukeln, übte er Sozialkritik. Mit hintergründigem Sarkasmus zeigt er, wie ein Hund mit einer fast humanen Intelligenz inhuman behandelt wird, und liefert so unterschwellig ein Plädoyer gegen medizinische Versuche am lebenden Tier: Die hündische Heldin rettet das Baby ihres Besitzers, als das Haus brennt, und bringt sich dabei selbst in Lebensgefahr. Zuerst wird ihre Tat verkannt, und die Menschen schlagen sie brutal. Als sie die Wahrheit erkennen, lobpreisen sie die Hündin jedoch in den höchsten Tönen. Das hält ihren Besitzer aber nicht davon ab, ihren Welpen für Tierversuche einzusetzen, an denen das Hundebaby stirbt. Ein Diener erkennt den makabren „Dank“ für die hündische Lebensrettung: „Poor little doggie, you saved HIS child.“
Mark Twain war ein vehementer Gegner des Rassismus gegenüber Schwarzen. In „A Dog’s Tale“ dehnt er seinen Abscheu vor Ungerechtigkeit auf nicht menschliche Lebewesen aus. Diese Kritik am ewigen Faschismus von Menschen gegenüber denen, die nicht den Charakter, die Macht und Mittel haben, mit gleicher Münze heimzuzahlen, kommt nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger, sondern in einer realitätsnahen Story daher.

schriftstellerWeb2Wolfsblut und Buck, der Bernhardiner
Jack London kam 1876 in San Francisco zur Welt und schlug sich als Landstreicher, Seemann und Hilfsarbeiter durch. Er studierte später, zog jedoch in der Zeit des Goldrausches nach Alaska. In seinen realistischen Erzählungen verarbeitete er eigene Erfahrungen. Zudem sind sie tief humanistisch geprägt. Kaum ein Schriftsteller stellte so häufig Hunde in den Mittelpunkt wie der amerikanische Anarchist: So schrieb Jack London zwar mit „Wolfsblut“ und „Ruf der Wildnis“ realitätsnahe Romane mit einem Wolfshybriden und einem Bernhardiner als Protagonisten, London behandelt darin aber zugleich den Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit.

In „The Call of the Wild“ (Ruf der Wildnis) von 1903 führt der Bernhardiner Buck ein beschauliches Leben auf einem Herrensitz im Süden Kaliforniens. Doch der Hilfsgärtner Manuel verkauft den gutmütigen Kraftprotz. Es ist die Zeit des Goldrausches am Klondike – und jeder starke Hund wird als Schlittenhund gebraucht. Der liebe Buck ist dieses brutale Dasein nicht gewohnt, passt sich aber schnell an und muss sich im Gesetz des Stärkeren beweisen. Er setzt sich in blutigen Hundekämpfen durch. Der Goldsucher Charles quält seine Hunde aus Unwissenheit, und fast bricht Buck mit den anderen im Eis ein. Der versierte Hundeführer John Thornton nimmt den Bernhardiner jedoch auf, und Buck schließt sich ihm an. Zahm wird er aber nicht mehr, denn auch Thornton ist ein „Wilder“ – ein Mensch, der sich eng an die Natur bindet.
Buck wird immer „wilder“ und streift jagend durch die Wälder. Eines Tages kommt er in das Lager zurück, und Yeehat-Indianer haben Thornton getötet. Sein letztes Band zur Welt der Menschen ist zerschnitten. Er rächt seinen Freund und zerreißt dessen Mörder. Jetzt ist er „frei“. Er begegnet in der Wildnis einem Rudel Wölfe und kämpft sich nach oben. Bald erzählen die Indianer von einem riesigen Geisterwolf und fürchten ihn.

In „White Fang“ (Wolfsblut) von 1906 beleuchtet London das Thema von der anderen Seite. Buck ist ein zahmer Hund, der seine Wildheit entdeckt. Wolfsblut ist ein wilder Hybrid zwischen Hund und Wolf, der in die Kultur der Menschen eintritt. Es beginnt mit einem Konflikt zwischen Wölfen, Schlittenhunden und Menschen. Wolfsbluts Mutter ist selbst ein Hybrid und führt die Wölfe auf ihren Streifzügen. Sie paart sich mit einem Vollwolf und Wolfsblut kommt auf die Welt.
Mutter und Sohn leben bei einem Indianerstamm und Wolfsblut wird der beste der Schlittenhunde. Er gerät aber gegen einige Flaschen Schnaps an einen Besitzer, der sein Geld mit Hundekämpfen verdient. Wolfsblut wird zum Töten gezwungen, um zu überleben; er kämpft gegen andere Hunde und gegen ein Luchsweibchen. Im Kampf gegen eine Bulldogge stirbt er fast – doch Weedon Scott befreit ihn.
Er erweist sich als einfühlsamer Besitzer und gibt Wolfsblut das Vertrauen in die Menschen zurück. Scott nimmt ihn mit zu seiner Familie nach Kalifornien. Anfangs beweist sich Wolfsblut als Kind der Wildnis: Scotts Familie misstraut dem Ungestümen, und seine Colliehündin mag den Hybriden nicht. Doch dann rettet Wolfsblut Scott, als der einen schweren Reitunfall erleidet. Seine Kampfkraft kommt der Familie letztlich zugute. Ein Krimineller, den Scotts Vater verurteilte, kommt, um sich an der Familie zu rächen. Wolfsblut stürzt sich auf ihn, stirbt fast im Kampf und rettet die Familie. Am Ende ziehen die Colliehündin und Wolfsblut gemeinsam ihre Welpen groß.

„White Fang“ wurde eine der erfolgreichsten Tiergeschichten überhaupt. Das liegt an Londons Brillanz, elementare Konflikte in eine spannende und dabei glaubwürdige Handlung einzubauen. Das Leben von Wolfsblut hätte es nämlich so geben können – aber zugleich erzählt „White Fang“ vom Widerspruch zwischen Freiheit und Geborgenheit, Kultur und Natur.
Vom Leben eines Autors auf sein Werk zu schließen, geht oft ins Leere. Die Parallelen zwischen „Wolfsblut“ und Jack London selbst sind jedoch eindeutig: Er schlug sich als Abenteurer in der Wildnis durch, als Obdachloser und als Glücksritter. Am Ende seines Lebens etablierte er sich aber mit seinen Romanen in genau der bürgerlichen Gesellschaft, die er (und die ihn) verachtete. Der Hybrid Wolfsblut steht zwischen Wolf und Hund, Mensch und Natur, Unabhängigkeit und Anpassung. Am Ende integriert er seine widerstreitenden Impulse: Ohne die Wildheit des Wolfsbluts wäre die menschliche Familie des zahmen Hundes verloren gewesen.

Unheimliche Hunde
Der Hund, der Verborgenes riecht und der auch Aas frisst, galt schon in der Antike als Hüter des Totenreichs und ihm wurde eine dunkle Seite zugesprochen. Doch Hunde erscheinen in der unheimlichen Erzählung nicht nur als Bösewichte, sondern auch als Rächer ihrer Herren, als Begleiter in die andere Welt oder als gute Geister, die vor Unheil warnen.

Der Amerikaner Ambrose Bierce gilt als ein Großmeister der „tale of terror“. In „Staley Fleming’s Hallucination“ mischt er Psychisches mit Metaphysischem. Staly Fleming berichtet seinem Arzt, dass er Nacht für Nacht einen schwarzen Neufundländer mit einer weißen Vorderpfote am Bett stehen sieht. Der Arzt erkennt, dass diese „Halluzination“ dem Hund des verstorbenen Atwell Barton gleicht. Den aber kannte Staly Fleming. Die Todesursache blieb ungeklärt. Der treue Hund verhungerte auf dem Grab. Der Arzt findet in den „Meditationen von Bennecker einen Hinweis: „So besitzet auch der Geist seine Kraft im Fleische und kann als ein eigen Ding leben und wirken, was durch mancherley Unthat bewiesen“, und „dass sich dieses nicht nur auf den Menschen beziehe, sondern dass auch das Tier gleichermaßen unter den Einfluss des Bösen geraten …“ Der Arzt stürmt in Flemings Zimmer. Fleming windet sich am Boden mit einer Wunde an der Kehle. „Als der Tod eingetreten war, untersuchte er die Wunde genauer und fand die deutlichen Spuren von Zähnen eines Tieres, die sich tief in die Halsschlagader eingegraben hatten. Aber das war kein Tier.“ Der Leser kann schließen, dass Fleming Barton ermordete und der Geist seines Hundes den Getöteten rächte.

Howard Phillips Lovecraft begründete in den 1920er-Jahren eine neue Ära der Horrorliteratur. Alte Wesen, mächtiger als die Menschen, setzen die bekannten Naturgesetze außer Kraft. In „Der Bluthund“ von 1922 kündigt ein Bellen dieses uralte Grauen an: „Und als aus diesem grinsenden Munde ein tiefes, sardonisches Bellen kam, wie von einem riesigen Hunde, da schrie ich auf und entfloh wie ein Wahnsinniger, und meine Schreie gingen alsbald in hysterisches Lachen über.“ Zwei reiche Tunichtgute, St. John und der Erzähler, zerstreuen sich ihre Langeweile mit Tabubrüchen. Sie brechen in einen holländischen Friedhof ein, öffnen einen Sarg und finden ein Amulett, mit dem sie ihre Sammlung von Perversitäten bereichern. Doch das Fundstück ist nicht ohne Wächter …

Iwan Turgenjew setzte einen Hund in „Der Hund“ ebenfalls übernatürlich in Szene. Ein Gutsbesitzer aus Kaluga widerspricht dem Staatsrat Anton Stepanowitsch, der ausführt, dass es das Übernatürliche nicht gibt. Der Gutsbesitzer erzählt, wie eines Abends ein fremder Hund unter seinem Bett gesessen, er seinen Diener gerufen und der nichts gefunden habe. „Der Hund ist wahrscheinlich hervorgekrochen und weggerannt, als du die Tür aufmachtest. Denkst du vielleicht, ich bin besoffen?“ Das Gleiche habe sich wiederholt. Stepanowitsch spottet anfangs, hört dem Gutsbesitzer dann aber zu. Der erzählt, wie er einen Greis namens Prochorowitsch aufsuchte. Der wies ihn an, sich vor der Ikone der Bischöfe von Soloetzk zu verneigen und sich einen jungen Hund anzuschaffen. Der Gutsbesitzer erzählte, er habe sich einen Jagdhundwelpen gekauft, ihn immer um sich gehabt, sogar mit ins Bad genommen – der Schrecken habe geendet. Doch eines Tages habe er seine Nachbarin aufgesucht; da stürzte sich angeblich ein riesiger roter Hund auf ihn, um ihm die Kehle zu zerreißen. Doch sein Hund habe ihm das Leben gerettet, sei dabei aber von dem Tollwütigen übel gebissen worden. Die Dörfler fürchten, sein Hund habe auch die Tollwut; er versorgt den Verletzten und möchte ihn am nächsten Tag zu einem Wunderheiler bringen. Doch dann erscheint „ein Raubzeug, ein Fuchs oder ein Wolf … und da wusste ich auch schon, was es war – ein Tier, ein großes, mit einer Riesenschnauze.“ Doch statt die Menschen anzugreifen, verschwindet das Ding im Heuschober. Tresoruschka, der Hund des Gutsbesitzers, liegt dort mit durchbissener Kehle. Soldaten erschießen am nächsten Tag den tollwütigen Hund. Stepanowitsch wiederholt am Ende seinen Satz, mit dem Turgenjew die Geschichte einleitete: „Aber angenommen, man gibt zu, dass das Übernatürliche existiert – welche Rolle spielt dann noch der gesunde Menschenverstand?“

Robert Bloch schrieb die Vorlage zum bekanntesten Psychothriller – nämlich „Psycho“ von Alfred Hitchcock. In „Pedros Hund“ nimmt er den Terror der Konquistadoren an den Indianern zum Anlass für eine Gruselgeschichte um den „Bösen in Menschengestalt“, Pedro Dominguez, und „Das Böse in Tiergestalt“, seinen Hetzhund. Die Spanier führten wirklich Doggen mit sich, die ebenso Indianer zerrissen wie Sklaven einschüchterten; und so liegt „Pedros Hund“ nahe an der Realität: „Ein riesiges schwarzes Tier trabte hinter Pedros Pferd her. Mächtig wie ein Puma, geschmeidig wie ein Panter, schwarz wie der Samt der Mitternacht – das war Pedros Hund. In den tintenschwarzen gespaltenen Pfoten leuchteten gelbe Krallen auf; dunkle Muskeln spielten über dem mächtigen Leib. In dem löwenhaften Haupt glühten die Augen wie Rubine, der große, speichelnde Fang hing offen und zeigte das zahnbesäumte, gierige rote Maul.“ Am Ende rächen sich die Yaquis an ihren beiden Peinigern, dem menschlichen und hündischen, und zahlen es dem Hund mit gleicher Münze heim: Sie graben ihn bis zum Hals in der Erde ein, um ihn zu steinigen. Das sterbende Tier sagt mit menschlicher Stimme: „Gnade. Ein Totengebet für mich – für den Schwarzen Pedro.“
Ray Bradbury wurde mit „Fahrenheit 451“ weltberühmt. Kaum bekannt blieb hingegen sein Frühwerk „Der Zwischengänger“. Hier nimmt der Hund „Dog“ die Mittlerrolle zwischen innen und außen, Sinnlichem und Übersinnlichem ein. Der zehn Jahre alte Martin liegt krank im Bett – und Dog ist sein Kontakt zur Welt: „In den dunklen, uhrfederkrausen Haaren seines Fells trug er Goldraute, Blütenstaub und Sommervergeh, Bucheckerschalen, Eichhörnchenhaare, die Feder eines fortfliegenden Rotkehlchens …“ Dog bringt die Jahreszeiten zu Martin: Im Frühling den Duft von Flieder, im Sommer Eiscreme und Feuerwerk. Die Spuren in Dogs Fell zeigen Martin die Wasserfälle und Stoppelfelder, die Wälder und Kirchhofswege. Dann kündigt sich der Winter an und Dog verschwindet. Der kranke Martin ruft und ruft ihn, und irgendwann steht Dog vor der Tür. Dieses Mal buddelte er in „fremder Erde“. Im Geist sieht Martin „Dog“ über Grabsteine laufen. „Es war ein Geruch, mächtiger als die Nacht.“ Es war Friedhofserde. Am Ende der Geschichte kommt jemand die Treppe herauf. Es ist Winter (des Lebens?), und Dog bringt den Tod zu dem kranken Martin. Bradburys Brillanz liegt darin, dass die Erzählung eine realistische Basis hat und auch von der Beziehung eines Jungen zu seinem Hund handelt. Zugleich ist der Hund aber ein Symbol – ein Mittler zur anderen Welt wie in den antiken Mythen, in denen Hunde die Seelen in das Totenreich begleiten.
Die im Vertrauten schlummernde Bestie ist ein Urmotiv des Schreckens: Ein geliebter Vater entpuppt sich als Serienmörder – oder ein lieber Hund wird zum Ungeheuer. Stephen King, der Konsalik des Horrors, widmete sich diesem Thema 1981 in „Cujo“. Der freundliche Bernhardiner „Cujo“ infiziert sich mit Tollwut, als eine Fledermaus ihn beißt. Er tötet seinen Besitzer und dessen Kumpel Gary. Die Frau von Victor Trenton, Donna, und ihr Sohn Tad sitzen im Auto fest, während der Hund versucht, sie zu zerfleischen. Donna erschlägt den Bernhardiner mit einer Baseballkeule, der Sohn verdurstet aber. Donna ist selbst mit Tollwut infiziert, sie gesundet jedoch am Ende.
King schrieb: „Ich habe jede Nacht einen Kasten Bier getrunken. Abends konnte ich kein Bier im Kühlschrank lassen. Ich musste es in den Abfluss schütten, weil ich sonst wieder aufgestanden wäre, um weiterzutrinken. Allerdings erinnere ich mich nicht mehr daran, meinen Roman Cujo geschrieben zu haben. Aber es gibt ihn, und, ehrlich gesagt, ich mag ihn.“ Die Geschichte ist simpler Tierhorror und wimmelt von logischen Brüchen. Stephen King kam auf die Idee, als sein Motorrad eine Panne hatte und ihn auf dem Hof des Mechanikers ein großer Hund angriff. Ein wenig nüchterne Recherche hätte der Handlung gutgetan.

Trennung und Wiederkehr
Nur wenige fiktive Tiere wurden zum Inbegriff einer Rasse. „Lassie“ aber, der berühmteste Filmhund, ist bis heute gleichbedeutend mit dem Langhaarcollie. Dabei begann dieser Weltruhm unspektakulär. Der Drehbuchautor Eric Knight veröffentlichte 1938 die Short Story „Lassie come home“ in der Saturday Night Evening Post. 1940 brachte er die Erzählung um die treue Colliehündin als Roman heraus.
Ein Junge in Yorkshire wächst mit einer schönen und intelligenten Colliehündin auf. Die Familie muss „Lassie“ aber an einen Adligen verkaufen, weil sie Geldprobleme hat. Dem Jungen und der Hündin zerbricht fast das Herz vor Einsamkeit. Ihr Schmerz steigt noch, als ihr neuer Besitzer in das weitentfernte Schottland zieht. Lassie flieht, um zu ihrem Freund zurückzukehren. Knights Vorbild war seine Hündin Toots, die 14 Jahre bei der Familie lebte.
Die simple Geschichte um Liebe, Trennung und Wiedervereinigung rührte die Herzen so sehr, dass sie in 24 Sprachen übersetzt sowie diverse Male verfilmt wurde und etliche Collies „Lassie“ spielten. Eric Knight erlebte den Ruhm nicht mehr. 1943 verunglückte er tödlich mit einem Flugzeug in Surinam – wenige Monate bevor der erste Lassie-Film in die Kinos der Welt kam.
Collies wurden durch Lassie berühmt. Golden Retriever sind hingegen heute ohne Romanvorlage die Stars unter den Hunden. Das reizt, sie literarisch einzuspannen. Südsee, Karriere, Topmanagement – und ein bewegliches Stofftier? Misch das in rudimentären Sätzen und füll dein Konto mit einem Bestseller, scheinen sich Beate und Robert Schmöller gedacht zu haben, als sie 2009 „Aloha auf vier Pfoten – Ein Golden Retriever erobert die Welt“ herausbrachten. Sie verwursteten Schmusetraum-Stereotypen aus „Sicht eines Golden Retrievers“. Die wird in „Aloha auf vier Pfoten“ gewiss nicht spürbar, sondern das, was Werbekonsumenten mit „süßen Goldies“ assoziieren sollen, um beworbene Produkte zu kaufen. Das Label „Golden Retriever“ schien so profitträchtig zu sein, dass sich am Lektorat sparen ließ – oder wie erklären sich sonst die sprachlichen Fehler, die indessen mit der Handlung harmonieren?

Hundeherz
Die Schwedin Kerstin Ekman schrieb mit „Hundeherz“ einen 2009 erschienenen Roman über einen Welpen in der Wildnis. Er verläuft sich in den weiten Wäldern Nordschwedens, er friert, leidet und steht kurz vor dem Hungertod. Doch der Kleine lernt schnell, und er muss schnell lernen, um zu überleben. Er jagt, er überlebt den Frühling und den Sommer – dann trifft er einen Menschen. Soll er sich ihm anschließen oder in der „Freiheit“ bleiben? Ekman entwirft ein poetisches Panorama über Freiheit, Einsamkeit und das Leben, das in der Todesgefahr zu seiner Reife kommt.

Solange Menschen und Hunde zusammenleben, werden Hunde die literarischen Fantasien inspirieren, und damit legen sie die Pfote in die Wunde unserer Widersprüche mit uns selbst und anderen Lebewesen.

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