Verhaltenstherapie aus dem Futternapf?
Auch der Hund ist, was er is(s)t
Die Auswahl an verschiedenen Futtermitteln für Hunde ist riesig. Manch ein Hundehalter hat inzwischen den Überblick verloren. Während noch vor circa 30 Jahren der Hund das gefressen hat, was man übrig hatte, sind heute die Regale der Supermärkte und Tierfachhandlungen voll mit unzähligen Produkten an Fertigfutter.
Es gibt Futter für Golden Retriever, Futter für Yorkies, sogar Futter für Indoor-Minihunde. Und es gibt erbitterte Grabenkämpfe darüber, welche Art zu füttern denn nun die richtige ist. Soll man seinem Hund Fertigfutter geben oder ist die Rohfütterung doch das Nonplusultra? Essensreste? Gar Getreide? An allen Futterfronten streitet man sich wie die Kesselflicker. Kaum Beachtung findet jedoch die Frage, inwiefern das, was wir in unsere Hunde hineinfüttern, ihr Verhalten beeinflusst.
Der Einfluss der Ernährung auf das Verhalten des Hundes
Eigentlich sonderbar: Es ist doch logisch, dass das, was ich einem Hund füttere, auch beeinflusst, was daraus an Hormonen und Botenstoffen zusammengebaut wird – oder eben nicht. In welcher Form man die Inhaltsstoffe füttert, ist für diese Frage eher sekundär.
Schauen wir uns zunächst den Proteingehalt eines Futtermittels an. Für viele Hundehalter ist ein hoher Gehalt an Protein gleichbedeutend mit einem qualitativ hochwertigen Futter. Doch ist das so? Wofür braucht es überhaupt Protein?
Eiweiß, oder eben Protein, ist in jeder Körperzelle vorhanden und dadurch eine lebenswichtige Komponente von Nahrung. Man beziehungsweise Hund benötigt es für den Erhalt der Körpersubstanz. Darum haben auch Hunde, die körperlich sehr beansprucht werden, oder Welpen im Wachstum, einen höheren Bedarf an Protein. Je hochwertiger das Eiweiß ist, desto weniger braucht der Hund davon. Je mehr ein Hund körperlich ausgelastet ist, desto höher ist sein Proteinbedarf. Und damit sind nicht Hunde gemeint, die zweimal die Woche Agility machen, sondern Hunde, die, wie zum Beispiel Hütehunde, täglich 50 Kilometer an der Herde laufen und arbeiten.
Roger Mugford untersuchte den Einfluss von Eiweiß auf das Verhalten von Hunden erstmals wissenschaftlich. Er wies nach, dass eine Reduktion des Proteingehalts der Gesamtration auf 15 bis 18 Prozent zu weniger aggressivem Verhalten bei Hunden führt. Andersrum berichten viele Hundehalter, dass eine Steigerung des Proteingehalts bei ihren Hunden eine verstärkte Aggressivität und auch Aktivität nach sich zieht. Mugfords Untersuchungen bestätigten die Vermutung, dass vor allem bei territorialer Aggression eine Besserung des Verhaltens durch Futterumstellung erzielt werden kann (Mugford 1987).
Umso unverständlicher ist es, dass an vielen Fronten Kohlenhydrate im Hundefutter verteufelt werden und nur ein Hundefutter, das einen hohen Proteingehalt aufweist, als qualitativ hochwertig gilt. Der Hund ist entgegen anderslautender Gerüchte kein Carnivore, sondern vielmehr ein Carni-Omnivore, also ein Fleisch- und Allesfresser! Erst kürzlich wurde in einer aktuellen Studie gezeigt, dass der Hund im Gegensatz zum Wolf sehr wohl in der Lage ist, Kohlenhydrate zu verdauen, ja sogar eine andere Zusammensetzung der Verdauungsenzyme wurde nachgewiesen. Drei Enzyme, die für die Spaltung und Umwandlung von Stärke benötigt werden, kommen beim Hund in deutlich größeren Mengen vor als beim Wolf und weisen eine höhere Aktivität auf. Dies deutet darauf hin, dass die Anpassung der Fleischfresser an eine stärkehaltige Nahrung ein entscheidender Schritt in der frühen Domestikation der Hunde gewesen sein könnte. Die Evolution ist nicht spurlos am Hund, der seit seiner Existenz als Müllkippenräumer der Menschen lebt, vorbeigegangen, sondern hat Spuren hinterlassen. Es gehört also in die Schublade der Irrtümer und Mythen, dass Hunde keine Kohlenhydrate verwerten können oder bekommen sollen.
Die Aminosäure Tryptophan
Inzwischen findet der Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Verhalten immer größere Beachtung, es folgten weitere Studien.
Gegenstand vieler Forschungen ist die Aminosäure Tryptophan, der Grundbaustein für den stimmungsaufhellenden Neurotransmitter, also Botenstoff Serotonin. Serotonin wird häufig auch als „Glücksdroge“ bezeichnet, weil es zu ausgeglichenerem Verhalten und einer positiveren Stimmung führt. Es hemmt die Impulsivität und Aggression und ist ein wichtiger hormoneller Gegenspieler der Stresshormone. Andersrum ist bekannt, dass ein Serotoninmangel zu Depressionen und aggressivem Verhalten führen kann.
Serotonin kann man nicht direkt füttern, auch wenn zum Beispiel Bananen, Cashewkerne, Schokolade oder Tomaten einen relativ hohen Gehalt an Serotonin aufweisen. Trotzdem reichen die Mengen nicht aus, um das Verhalten von Hunden zu beeinflussen. Ganz abgesehen davon, dass Tomaten und Schokolade nicht als Hundefutter geeignet sind.
Trotzdem kann man über die Fütterung den Serotoninspiegel beeinflussen, und zwar über die Grundsubstanz des Serotonins, die aromatische Aminosäure Tryptophan, die unter bestimmten Bedingungen im Gehirn zu Serotonin umgebaut wird. Tryptophan gehört zu den sogenannten essenziellen Aminosäuren, kann also vom Körper nicht hergestellt werden, sondern muss über die Nahrung zugeführt werden.
Studien haben nachgewiesen, dass nicht der absolute Gehalt an Tryptophan entscheidend ist, sondern der relative. Es kommt also darauf an, wie hoch der Gehalt an Tryptophan im Vergleich zum Gesamteiweiß ist. Wenn man also einfach den Proteingehalt der Ration erhöht, hat man unter allen anderen Aminosäuren auch einen höheren Gehalt an Tryptophan, wird aber keinen positiven Effekt auf das Verhalten erzielen können, weil man ja dadurch automatisch auch den Spiegel an allen anderen Aminosäuren erhöht.
Konkrete Studien (DeNapoli 2000) haben aber nachgewiesen, dass eine Eiweißreduktion in Verbindung mit einer Erhöhung des Tryptophans positive Wirkungen vor allem bei der territorialen Aggression zeigt.
Anders waren die Ergebnisse bei der Statusaggression. Hier hat sich eine Zugabe von Tryptophan zu einer proteinreichen Ernährung oder aber die alleinige Reduktion des Proteingehalts als hilfreich erwiesen.
Wenn man sich die Wirkung des Tryptophans respektive des Serotonins zunutze machen möchte, kann man entweder auf bestimmte Fleischquellen, die sich durch einen relativ hohen Gehalt an Tryptophan auszeichnen, umstellen oder zu einem Nahrungsergänzungsmittel greifen. Nahrungsergänzungsmittel, die auf Tryptophan basieren, bietet der Fachhandel inzwischen in großer Zahl.
Zu beachten ist, dass das Tryptophan nur unter bestimmten Bedingungen ins Gehirn gelangt und dort zu Serotonin umgewandelt werden kann: Wichtig ist, dass man parallel Kohlenhydrate füttert, was man durch eine Reduktion des Proteinanteils automatisch erreicht, und dass man sicherstellt, dass der Hund ausreichend Magnesium, Vitamin B6 und Folsäure zur Verfügung hat, da diese Substanzen zur Serotoninbildung benötigt werden.
Mais im Hundefutter?
Immer wieder findet man in Hundeforen einen wahren Feldzug gegen Mais im Hundefutter. Aber ist Mais wirklich so schlecht wie sein Ruf? Ein klares Jein ist die Antwort. Mais hat zwei entscheidende Eigenschaften, die im Zusammenhang mit der Verhaltensbeeinflussung durch die Nahrung zu beachten sind. Zum einen hat er in der Tat einen extrem niedrigen Gehalt an Tryptophan, was bei instabilen, gestressten oder ängstlichen Hunden problematisch ist, weil – wie wir eben gehört haben – der relative Gehalt an Tryptophan unter allen anderen Aminosäuren entscheidend ist. Wenn man sich nun für ein Trockenfutter entscheidet, bei dem Mais einen großen prozentualen Anteil ausmacht, ist klar, dass der Hund, der den Gegenspieler zum Stresshormon Cortisol so dringend benötigen würde, von so einem Futter keinesfalls profitiert. Dasselbe gilt übrigens auch für die Senioren unter den Hunden, die in der Regel auch ein leichter erregbares Cortisolsystem besitzen. Für diese Hunde ist also Mais im Futter tatsächlich kontraindiziert.
Aber Mais besitzt eine weitere Eigenschaft, die man sich durchaus zunutze machen kann: Er enthält ein Enzym, das bei der Bildung der sogenannten Katecholamine geschwindigkeitsbestimmend ist. Die Gruppe der Katecholamine sind Hormone aus dem Nebennierenmark. Dazu gehören das sogenannte Fluchthormon Adrenalin, das sogenannte Kampfhormon Noradrenalin und die „Selbstbelohnungsdroge“ Dopamin. Die Katecholamine wirken anregend und bewirken aktives Verhalten. Durch dieses im Mais enthaltene Enzym wird also die Bildung der Katecholamine verlangsamt, was zu einem ruhigeren Verhalten führt. Bei beispielsweise hyperaktiven Hunden oder Balljunkies, die durch Dopamin gesteuert sind, kann Mais somit durchaus nützlich sein. Bei Hunden, die gleichzeitig instabil sind, ist aber unbedingt sicherzustellen, dass die Versorgung mit ausreichend Tryptophan trotzdem gewährleistet ist.
Auch über die Grundsubstanz der Katecholamine, die Aminosäure Phenylalanin, lässt sich das Verhalten beeinflussen. Denn je mehr von dieser Aminosäure vorhanden ist, desto mehr Katecholamine können daraus synthetisiert werden. Viel Phenylalanin findet man zum Beispiel in Rind, Wild oder auch in Innereien. Diese haben dementsprechend in der Ernährung der oben genannten Hunde nichts verloren.
Viele weitere Möglichkeiten der Verhaltensbeeinflussung
Bereits der kurze Ausflug in die Welt der Aminosäuren zeigt, wie komplex Verhalten und Fütterung miteinander verzahnt sind. Es gibt aber viele weitere Möglichkeiten, das Verhalten durch die Inhaltsstoffe der Nahrung zu beeinflussen.
So gibt es zum Beispiel ein Peptid, ein „Miniprotein“, bei dem beruhigende und angstlösende Effekte nachgewiesen wurden. Dieses Alpha-Casozepin verstärkt die Wirkung des beruhigenden Botenstoffes GABA (Gamma-Aminobuttersäure), der angst- und stresslösend wirkt. Es wurde von Wissenschaftlern aus Kuhmilch isoliert, und seit jeher gibt man kleinen Kindern ein Glas warmer Milch, um sie besser einschlafen zu lassen. In einer Studie konnte Alpha-Casozepin sogar mit Beruhigungsmitteln wie Valium mithalten, ohne dessen Nebenwirkungen aufzuweisen (Miclo 2001, Violle 2006, Nakamura 2008 und 2010, Cakir-Kiefer).
Auch Fettsäuren haben einen Einfluss auf das Verhalten, zumindest gibt es Hinweise darauf. So fand man an der Universität in Pavia heraus, dass man bei Schäferhunden mit gesteigertem Aggressionsverhalten einen niedrigeren Spiegel an Omega-6-Fettsäuren und demnach auch ein erhöhtes Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren findet als in einer unauffälligen Vergleichsgruppe.
Auch gibt es Untersuchungen, die bestätigen, dass Hunde, die durch Aggression auffällig wurden, einen niedrigeren Cholesterinspiegel aufweisen als Hunde ohne Aggressionsprobleme. Was hier Henne und was Ei ist, muss aber noch erforscht werden.
Verhaltensprobleme wegfüttern?
Sicher nicht, das wäre zu schön. Aber eine Einflussnahme auf das Verhalten eines Hundes, ein Öffnen des Hundes für weitere Trainingsschritte ist durch eine Umstellung der Ernährung auf die individuellen Bedürfnisse des Hundes durchaus möglich.
In unserer Beratung haben wir viele Hunde, bei denen eine typgerechte Fütterung den Durchbruch zu weiteren Fortschritten im Training brachte und dadurch das Leben für Hund und Halter etwas einfacher machte.
Allerdings ist es im Rahmen eines Artikels nicht möglich, konkrete Ernährungstipps zu geben, weil das eine genaue Kenntnis des Persönlichkeitstyps, des Problemverhaltens und der diesem Verhalten zugrunde liegenden Hormone und Botenstoffe des Hundes voraussetzt. Wenn man sich aber damit auseinandersetzt, ist die typadäquate Fütterung des Hundes sicherlich ein weiteres Mosaiksteinchen in der ganzheitlichen Therapie von Hunden mit Verhaltensproblemen.
LESEPROBE aus der SPF Ausgabe 14.
Sophie Strodtbeck…
… ist Tierärztin und in der Tierernährungsberatung tätig. Außerdem schreibt sie Artikel für diverse Hundezeitschriften und arbeitet seit 2006 als tiermedizinische Beraterin in einer Hundeschule. 2010 entwickelte sie gemeinsam mit Udo Gansloßer die Idee, Hundehaltern in Kooperation mit den behandelnden Tierärzten und Hundeschulen in Verhaltensfragen beratend zur Seite zu stehen, da beide der Meinung sind, dass die Kombination von Verhaltensbiologie und Tiermedizin unschlagbar ist.
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