Assistenzhunde-Ausbildung
Was ist PTBS?
Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sind so individuell wie das traumatische Erlebnis, das zu dieser psychischen Erkrankung geführt hat. Viele Patienten leiden an Angstzuständen, Flashbacks (Rückblenden), Panikattacken, Dissoziationen, Depressionen, Suizidgedanken, Amnesie, Albträumen …
Auslösende Ereignisse können zum Beispiel traumatische Kriegserlebnisse, sexuelle und physische Gewalt, Terrorangriffe, Flucht, Vertreibung, technische oder Naturkatastrophen, schwere Unfälle oder Krankheiten sein. Um traumatisiert zu sein, muss die Person nicht direkt von dem Ereignis betroffen sein, auch Zeugen von schweren Unfällen, Gewaltakten, Kriegsszenen, sogar Polizisten oder Rettungskräfte können an PTBS erkranken.
Außerhalb des Militärs trifft diese Erkrankung auch „zivile“ Berufsgruppen. Die posttraumatischen Belastungsstörungen machen sich meist erst mit einer Zeitverschiebung von Wochen oder Monaten bemerkbar.
Es scheint nur so, als wäre PTBS eine Erkrankung der Neuzeit, denn heute wird darüber berichtet. Man kann jedoch davon ausgehen, dass posttraumatische Belastungsstörungen so alt sind wie die Menschheit. Menschen waren seit jeher und sind in ihrem Leben Extremsituationen ausgesetzt, die zu PTBS führen können. Früher wurden die Krankheitsanzeichen jedoch nicht akzeptiert und als Schwäche oder Simulation abgetan.
Die Angst vor der Angst
Viele an PTBS erkrankte Personen sind nicht mehr in der Lage, am gesellschaftlichen Leben uneingeschränkt teilzunehmen. Jeder Schritt vor die Tür kostet große Überwindung. Die einfachsten Aufgaben des täglichen Lebens, wie einkaufen zu gehen oder angstfrei einen bevölkerten Platz zu überqueren, sind für die Patienten nahezu unmöglich. Manche PTBS-Patienten verlassen aus Angst vor Panikattacken mehrere Jahre lang nicht ihre Wohnung. Sie ziehen sich völlig zurück – aus der Öffentlichkeit, aus dem Freundeskreis und von der Familie.
„Lauert ein Angreifer hinter der nächsten Hausecke oder ein Heckenschütze hinter dem Baum?“ – „Versteckt sich ein Eindringling in meiner Wohnung, wenn ich vom Spaziergang zurückkomme?“ – „Besser, ich bleibe hier, dann kann mir nichts passieren.“
Diese Menschen mit einem Assistenzhund zusammenzubringen, um die Aufgaben des Lebens mit ihm im Team wieder zu meistern, kann einen Ausweg aus der Angstspirale bedeuten.
Eine ziemlich kurze Geschichte
Der Trend, an PTBS erkrankten Personen einen Assistenzhund zur Seite zu stellen, kommt aus den USA. Dort bildeten seit 1998 Betroffene – meist traumatisierte Kriegsveteranen – ihre Hunde selbst aus. Offiziellen Schätzungen zufolge leiden rund 20 Prozent der aus dem Irak und aus Afghanistan zurückgekehrten US-Soldaten an dieser Krankheit (engl. PTSD, Posttraumatic Stress Disorder). Erst in den letzten Jahren erfolgt in den USA die Ausbildung von Labradors und Retrievern zu „PTSD Service Dogs“ in Institutionen.
Bis die positiven Erkenntnisse Europa erreichten, vergingen zehn Jahre. Das Deutsche Assistenzhunde-Zentrum begann – erstmalig in Europa – 2008 mit der organisierten Ausbildung von PTBS-Assistenzhunden.
In einer Studie der „Psychiatric Service Dog Society“ berichteten 82 % der befragten PTBS-Patienten von einer Reduktion ihrer Symptome, 40 % konnten mithilfe ihres Assistenzhundes die Einnahme von Medikamenten reduzieren.
Im Mensch-Assistenzhund-Team ersetzt der Hund weder die psychotherapeutische Behandlung noch Medikamente. Wenn der Patient bereit ist, seinem Hund zu vertrauen und sich auf die Hilfe einzulassen, kann er einen Weg zurück in ein halbwegs geregeltes Leben finden. Der Vierbeiner erlernt Kommandos, mit denen er die für den Menschen negativen Situationen unterbricht – zum Beispiel weckt der Hund seinen Partner auf, wenn er einen Albtraum hat, und schaltet im Zimmer das Licht an. Der Patient reagiert darauf mit den in der Psychotherapie erlernten Techniken, lobt den Hund und lässt sich von ihm trösten.
Leben mit einem PTBS-Assistenzhund: Für und Wider
• Fördern von Integration, Unabhängigkeit und Aktivität: Die Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu übernehmen, hilft Zukunftsperspektiven aufzubauen. Der Hund ist aktiv und zwingt seinen Besitzer mehrmals täglich, die Wohnung zu verlassen, mit ihm zu spielen, ihn mit anderen Hunden zusammenzubringen und regelmäßig zu trainieren. Die Betreuung und Pflege des Hundes bringt Routine in das Leben zurück.
• Unterdrücken von Hypervigilanz: Das bei PTBS weitverbreitete Symptom „erhöhter Wachsamkeit“ schafft konstant Spannung und Paranoia. Die betroffenen Patienten benötigen überdurchschnittlich viel Platz – vor allem ausreichend Abstand zu anderen Personen. Der Assistenzhund wird darauf trainiert, in der Öffentlichkeit eine physische Barriere zu schaffen, die andere Personen auf Abstand hält.
• Herstellen eines Realitätsbezugs und Neuausrichtung: Der Hund wird darauf trainiert, Angstzustände seines Partners zu erkennen und ihn physisch zu einer positiven Aktivität zu leiten – ihm zum Beispiel die Hundebürste oder Leine bringen, um ihn abzulenken. Der Assistenzhund kann geschult werden, Flashbacks, Albträume, Dissoziationen zu erkennen und zu unterbrechen. Dafür wird der Hund ein erlerntes Signal – zum Beispiel Anstupsen oder die Pfote auf das Bein seines Partners legen – beharrlich fortführen, den Menschen beruhigen und an einen sicheren Ort führen.
• Sicherheit und Vertrauen vermitteln: Verhält sich der Hund an einem öffentlichen Ort unauffällig, kann sich sein Mensch auf ihn verlassen und sich sicher fühlen.
• Steigerung der Lebensqualität: Die Arbeit im Mensch-Assistenzhund-Team führt zu einer deutlichen Steigerung der Lebensqualität und zum Aufbau neuer sozialer Kontakte.
• Kein Therapieersatz und Gefahr der Abhängigkeit: Dem PTBS-Patienten muss klar sein, dass der Hund zwar ein treuer Begleiter ist, die erforderliche Psychotherapie aber nicht ersetzen kann.
Die Abhängigkeit vom Hund verhindert, sich den Herausforderungen auch ohne Begleitung seines Vierbeiners zu stellen.
So kann ein PTBS-Assistenzhund das Leben „seines Menschen“ verändern:
• Steigern des Wohlbefindens
• Beenden der gesellschaftlichen Isolation
• Strukturieren des Alltags in gesunder Umgebung
• Steigern des Sicherheitsempfindens
• Verbessern des Selbstbewusstseins
• Vermittlung des Gefühls, gebraucht zu werden
• Verbesserung der Stimmung und mehr Optimismus
• Verlässliche Zuneigung ohne Beurteilungsverhalten
• Motivation zum regelmäßigen Training
• Reduktion schwächender Symptome
• Betreuung rund um die Uhr
Was macht einen PTBS-Assistenzhund aus?
Der ideale Assistenzhund ist wesensfest. Er zeigt weder Angst, Aggression oder Unsicherheit. Um seinen Partner bei Panikattacken in der Öffentlichkeit sicher führen zu können oder Distanz zu anderen Personen zu schaffen, sollte er mindestens 50 cm groß sein. Auch wenn er andere Personen anbellt, um auf sich aufmerksam zu machen oder deren Abstand zu seinem Menschen zu vergrößern, wird ein Assistenzhund grundsätzlich immer freundlich sein und nicht angreifen. Allerdings soll der Hund auch nicht zu sensibel sein, denn er darf sich von Depressionen, bei Flashbacks oder Panikattacken nicht verunsichern lassen. Gerade in diesen Situationen muss er seinem Partner eine Stütze sein.
Die Aufgaben eines PTBS-Assistenzhundes
Zur allgemein üblichen Grundausbildung wird der Assistenzhund auf seine speziellen Aufgaben vorbereitet. Individuell auf die Bedürfnisse seines Menschen abgestimmt, erlernt der Hund meist drei bis fünf spezielle Aufgaben – davon einige Beispiele aus der Praxis:
• Führen des desorientierten Partners: Dissoziationen können Verwirrtheit bewirken. Bei Irritationen seines Partners in fremder Umgebung kann der Hund – der eigenen Fährte folgend – den Weg zurückgehen.
• Eine Menschenansammlung passieren: Wenn ein Patient vor größeren Menschenansammlungen Angst hat (zum Beispiel auf einem Marktplatz), spürt sein Vierbeiner die Nervosität. Er wird die Aufmerksamkeit seines Partners auf sich lenken, während sie sich gemeinsam einen Weg durch die Menschenmenge bahnen.
• Einen Raum durchsuchen: An Hypervigilanz leidende Personen können unfähig sein, ihre eigene Wohnung zu betreten. Sie vermuten einen aggressiven Eindringling in ihrem Haus. Der Hund ist darauf trainiert, alle Räume systematisch zu durchsuchen und einen Fremden zu melden. Nach der Suche kann sein Partner beruhigt den Raum betreten.
Diese Aufgabe kann auch in Hotelzimmern, Büros, den Wohnungen von Bekannten … durchgeführt werden und so das Sicherheitsgefühl erheblich steigern.
• Hilfe bringen: Eine Person befindet sich in einem Flashback. Sie ist der Meinung, dass Eindringlinge die Wohnung nach ihr durchsuchen, und versteckt sich vor ihren vermeintlichen Angreifern in einem Wandschrank. Der darauf trainierte Hund kann mit einem präparierten Telefon eine Notruftaste betätigen. Dem Rettungsdienst sollte bekannt sein, dass möglicherweise ein Assistenzhund den Notruf betätigt hat. Notfalltelefone bieten die Möglichkeit, schon im Vorfeld eine Nachricht aufzunehmen, die das Rettungspersonal informiert. Sobald die Helfer eintreffen, wird der Hund sie zu seinem Partner führen.
• An Medikamente erinnern: Wenn die Medikamenteneinnahme immer an eine Tätigkeit gekoppelt ist – zum Beispiel an das Frühstücken –, kann der Hund trainiert werden, täglich zum Frühstück die vorbereiteten Medikamente zu bringen.
• Menschen anzeigen, die sich von hinten nähern: Viele PTBS-Betroffene haben Angst, wenn Personen von hinten näher kommen. Der Hund soll sich nach der Person umdrehen und gemeinsam mit seinem Partner ausweichen.
• Distanz zu anderen Personen schaffen: Personen mit PTBS benötigen meist mehr Raum, der Hund bildet eine Art Barriere. Entsprechend der antrainierten Verhaltensweise stellt sich der Hund vor seinen Partner oder springt ihn von vorn an, um die Distanz zu anderen Leuten zu vergrößern.
Leseprobe aus der #SitzPlatzFuss 16.
Ein Artikel unserer Autorin Barbara P. Meister
Vom Welpen zum Assistenzhund
In einem aufschlussreichen Gespräch gewährt Frau Loth uns Einblicke in die Ausbildung, Erwartungen und erste Erfahrungen.
SPF: Frau Loth, Sie leiten das Hundezentrum Siegerland und bilden dort Begleit-, Therapie- und Assistenzhunde für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche aus. Die Geschichte der PTBS-Assistenzhundeausbildung in Europa ist noch nicht sehr alt – welche Erfahrungen haben Sie in den letzten Jahren auf diesem Spezialgebiet gemacht?
Uschi Loth: Ich leite das Hundezentrum Siegerland seit zehn Jahren und habe mich seit fünf Jahren auf die Ausbildung von Assistenzhunden im Bereich Diabetikerwarnhunde spezialisiert.
Darüber hinaus wächst die Zahl derer, die sich einen Hund anschaffen, um ihre Depressionen zu bewältigen. Ich helfe diesen Menschen, mit ihrem Hund zu einem gesunden Team zusammenzuwachsen.
Während meiner Tätigkeit als Studiendirektorin am Gymnasium habe ich eine zweijährige Spezialausbildung für die Betreuung traumatisierter Jugendlicher – hier besonders im Bereich von sexuellen Übergriffen – gemacht. Die während dieser Zeit erworbenen Kenntnisse helfen mir heute beim Umgang mit traumatisierten Menschen, die einen Hund ausgebildet haben möchten.
SPF: Worin liegen die besonderen Herausforderungen für Sie als Trainerin?
Uschi Loth: Fünfundzwanzig Jahre Arbeit in der Schule mit jungen Erwachsenen sind natürlich nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Ich liebe die Arbeit mit Menschen genauso wie die mit Hunden. Das ist sicher eine wichtige Voraussetzung für dieses Training. Man muss quasi immer ein Auge auf den Menschen und ein Auge auf den Hund werfen. Jede Stimmungsveränderung des Menschen sollte man im Ansatz erkennen und annehmen können. Es ist ein sehr sensibles Miteinander zwischen Patient, Hund und Trainer.
SPF: Welche Eigenschaften und Wesenszüge soll/muss ein PTBS-Assistenzhund mitbringen?
Uschi Loth: Es lässt sich so pauschal nur begrenzt beantworten, denn die Ansprüche des einzelnen Patienten müssen ganz stark Berücksichtigung finden. Der Hund sollte eine gute Nervenstärke besitzen, denn er darf in diversen Umweltsituationen nicht aufgeregt oder hysterisch reagieren. Hier setzt natürlich auch ein wichtiger Punkt des Trainings an. Die Veranlagung dafür muss der Hund aber schon mitbringen. Eine gute Vorbereitung durch den Züchter während der so wichtigen Prägungszeit ist unabdingbare Voraussetzung. Darüber hinaus muss der Hund in hohem Maß empathisch sein. Er muss die Stimmungen seines Menschen fühlen und auf ein Abtauchen seines menschlichen Partners in gefühlsmäßige Tiefs mit Nähe reagieren. Ein Hund, der sich nun unter dem Bett verkriechen würde, wäre hier falsch.
SPF: Empfinden Sie es eher sinnvoll, einen Welpen direkt mit seinem Menschen/Partner auszubilden oder einen „fertigen“ PTBS-Assistenzhund zu vermitteln, wie es in den USA oftmals üblich ist?
Uschi Loth: Ich bin grundsätzlich ein Verfechter der gemeinsamen Ausbildung von Mensch und Hund, muss aber eingestehen, dass es in einigen wenigen Fällen tatsächlich Gründe für eine vorübergehende Ausbildung beim Trainer gibt.
SPF: Wie stellen Sie fest, ob ein Welpe für diese Aufgabe geeignet ist, die erforderlichen Wesenszüge bei ihm vorhanden sind?
Uschi Loth: Zunächst einmal muss man sich die Elterntiere genau ansehen, denn sie liefern schließlich die genetische Grundlage. Die erforderliche Prägung und Sozialisierung beim Züchter muss garantiert sein. Mit der sechsten Woche kann man das Wesen der Welpen schon recht gut testen. Hier wird auf die weiter oben bereits genannten Eigenschaften/Wesensmerkmale geprüft. Ein Welpe darf zum Beispiel erschrecken, wenn ich einen Schlüsselbund neben ihm fallen lasse, er sollte sich aber schnell wieder davon erholen und neugierig nachschauen, was denn da neben ihm auf der Erde gelandet ist. Verdrückt sich der Welpe in dieser Situation in der letzten Ecke der Welpenstube und ist nicht mehr zu überreden, herauszukommen, so ist er sicher nicht geeignet. So lassen sich die erwünschten und notwendigen Voraussetzungen prüfen und eine Eignung recht gut abschätzen.
SPF: Welche Ausbildung/Fähigkeit muss ein Hundetrainer mitbringen, der ein Mensch-Hund-Team während der Ausbildung zum PTBS-Assistenzhund begleitet?
Uschi Loth: Es gibt sicher verschiedene persönliche Ausbildungs- und Lebenswege, wie man zu einer solchen Aufgabe kommen kann. In jedem Fall muss die Liebe zum Menschen genauso groß sein wie die zum Hund. Neben dem Wissen über das Know-how im Training mit dem Hund sollte der Trainer sehr empathisch mit dem Menschen umgehen können. Das Training muss für den Patienten klar strukturiert und in Schritte unterteilt sein, die er bewältigen kann.
Anforderungen müssen da sein, aber sie müssen auch zu schaffen sein. Jede Stunde, jede Einheit muss mit Erfolgserlebnissen abschließen.
www.teamwaerts.com
Barbara P. Meister
… MA (Integrierte Kommunikation), wurde über 28 Jahre ihres Lebens von Hunden begleitet. Derzeit lebt und arbeitet sie in Wien als Fachlektorin, u. a. für den Cadmos-Verlag. Das Interesse für Hunde ist geblieben, auch wenn sie sich in der Großstadt bewusst für ein Familienleben ohne Hund entschieden hat.
Barbara Meister ist außerdem für SitzPlatzFuss im Internet tätig und betreut die Website und SPF bei Facebook.
Weitere Infos: www.FachLektor.at