Wenn der Besitzer für den Hund zum Fremden wird

Wie man Altersdemenz erkennt und damit umgeht

Von Dr. Barbara M. Schneider

LESEPROBE aus SPF 16, vorbestellbar unter www.cadmos.de/sitzplatzfuss16.html

Die Lebenserwartung unserer Haushunde ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Dies ist unter anderem der immer besser werdenden tiermedizinischen Versorgung zu verdanken sowie der hochwertigen und individuell angepassten Ernährung der Hunde. Mit dieser steigenden Lebenserwartung sehen wir nicht nur die durch das sogenannte „gesunde Altern“ bedingten Veränderungen in Verhalten und Körperfunktionen immer häufiger, sondern auch das vermehrte Auftreten geriatrischer Erkrankungen. Zu diesen zählt unter anderem auch das kognitive Dysfunktionssyndrom, auch senile Demenz oder im Volksmund oft „Hunde-Alzheimer“ genannt. Diese Erkrankung wird oft spät diagnostiziert und kann eine große Herausforderung für betroffene Besitzer sein.

Das kennen wir von uns Menschen: Mit zunehmendem Alter verändert sich eine Person oft, wird „schrullig“, eigensinniger, schläft tagsüber viel und nachts dafür nur schlecht, und so weiter. Ganz ähnlich ist es auch, wenn unsere Haushunde altern. Eine Reduktion der täglichen Aktivität, vermehrtes Schlafen in 24 Stunden, davon ein Großteil tagsüber, aber auch eine reduzierte Lern- und Erinnerungsfähigkeit sind völlig normal und Teil des gesunden Alterungsprozesses von Hunden. Wenn das Befolgen von Kommandos nicht mehr so gut wie gewohnt funktioniert, kann das also absolut normal sein bei einem alten Hund. Auch wenn Hör- und Sehfähigkeit altersbedingt nachlassen, kann es zu Veränderungen im Gehorsam und Lernvermögen sowie in der Lernwilligkeit kommen. Daher steht am Anfang jeglichen Verdachts auf Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten eine gründliche tierärztliche Untersuchung. Gut bewährt haben sich sowieso die sogenannten geriatrischen Vorsorgeuntersuchungen, die die Besitzer von alten Hunden mindestens einmal im Jahr beim Haustierarzt durchführen lassen sollten.

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Aber ab wann gilt ein Hund nun als „alt“? Immer wieder wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass ein Hund ab sieben Jahren alt ist. Entsprechend ist auch meistens die Angabe für entsprechende Spezialfuttermittel für alte Tiere, dass ihnen ab sieben Jahren gefüttert werden soll. Diese Angabe ist aber definitiv zu pauschal, da die einzelnen Rassen doch sehr unterschiedliche Lebenserwartungen haben. Größere Rassen haben hierbei im Allgemeinen eine kürzere Lebenserwartung als kleine Rassen. Als Faustregel gilt daher: Ein Hund ist dann als alt beziehungsweise geriatrisch einzustufen, wenn zwei Drittel seiner Lebenserwartung vorüber sind. Dies ist beispielsweise bei der Deutschen Dogge bereits mit vier bis fünf Jahren der Fall, da sie eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur sechs bis acht Jahren hat. Malteser wären allerdings erst ab einem Alter von zehn als geriatrisch einzustufen, da sie im Schnitt fünfzehn Jahre alt werden. Also sollte rasseabhängig mit der regelmäßigen Durchführung geriatrischer Untersuchungen begonnen werden. Im Rahmen dieser Untersuchungen ist es dann auch sinnvoll, immer ein Screening auf das kognitive Dysfunktionssyndrom durchzuführen. Das bedeutet, dass die Leitsymptome dieser Erkrankung abgefragt und ihre Anzahl und Ausprägung dokumentiert werden. In Studien wurde die Häufigkeit des Vorkommens des kognitiven Dysfunktionssyndroms beziehungsweise der senilen Demenz rasseunabhängig untersucht, und bei ein bis zwei Drittel der Hunde über sieben Jahren wurden Anzeichen für diese Erkrankung gefunden. Es ist also davon auszugehen, dass es sich um eine relativ häufig vorkommende Krankheit handelt, deren erste Anzeichen bereits mit Beginn des geriatrischen Alters auftreten.

shutterstock_126853676_Altersdemenz1Was ist nun also das kognitive Dysfunktionssyndrom genau? Es handelt sich dabei um eine degenerative Erkrankung des Gehirns, die deutliche Parallelen zur menschlichen Alzheimerkrankheit ausweist. Daher ist der landläufige Ausdruck „Hunde-Alzheimer“ recht treffend. Genau wie bei Alzheimer kommt es nämlich bei betroffenen Hunden aus bislang ungeklärten Gründen zu irreversiblen degenerativen Veränderungen wie Ablagerungen von Lipofuszin oder β-Amyloid-Plaques im Gehirn. Die Erkrankung ist irreversibel und eine Heilung ist nicht möglich. Da es sich um ein progressives Geschehen handelt, wird der Zustand des Hundes im Lauf der Zeit immer schlechter und die kognitiven Fähigkeiten gehen immer weiter verloren. Analog zur menschlichen Alzheimerkrankheit ist davon auszugehen, dass eine mangelnde oder geringe geistige Aktivität und geistige Forderung zu einem früheren Auftreten beziehungsweise zu einem schnelleren Fortschreiten der Erkrankung führt. Ob bestimmte Rassen häufiger betroffen sind als andere, lässt sich nach heutigem Kenntnisstand nicht sagen. Da es bei Menschen Hinweise auf eine genetische Prädisposition gibt, kann das beim Hund aber durchaus auch gegeben sein.

Symptome

Das kognitive Dysfunktionssyndrom kann sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern. Zur einfacheren Diagnosestellung werden die Symptome in mehrere Leitsymptomenkomplexe zusammengefasst. Die innerhalb eines jeden Symptomenkomplexes zusammengefassten Symptome können individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Zudem ändern sie sich mit dem Fortschreiten der Erkrankung in ihrer Ausprägung. Eine monatliche Erhebung der Symptomatik ist daher wichtig, um Schweregrad und Prognose einschätzen zu können.

 

  • Symptomenkomplex Desorientiertheit

Die Desorientiertheit ist der wichtigste und diagnostisch aussagekräftigste Symptomenkomplex. Sie kann sich auf ganz verschiedene Arten äußern. Ein nahezu „klassisches“ Symptom ist es, dass der betroffene Hund hinter Möbeln oder in Ecken „stecken bleibt“ und nicht mehr weiß, wie er sich aus dieser Lage befreien kann (Abb. 1). Oft wandern erkrankte Hunde auch vermehrt ziellos umher, starren an die Wand oder ins Leere. Ein weiteres typisches Symptom ist es, wenn der Hund auf der falschen Seite der Tür oder an der falschen Tür darauf wartet, hinausgelassen zu werden. Ebenso kommt es oft dazu, dass der Hund anzeigt hinauszuwollen, aber draußen dann den Anschein erweckt, dass er „vergessen“ hat, weshalb er hinausgehen wollte, oder insgesamt einen verwirrten Eindruck macht (Abb. 2). Zusätzlich sind manche betroffenen Hunde unfähig, Hindernisse zu überwinden, mit denen sie bislang keine Probleme hatten. Häufig kommt es auch zu mangelnden oder unzuverlässigen Reaktionen auf das Rufen des Namens oder auf bekannte Kommandos bei Hunden, die vorher damit kein Problem hatten. Es kann vorkommen, dass erkrankte Hunde ihren Besitzer oder andere bekannte Personen oder Hunde an manchen Tagen plötzlich nicht mehr erkennen und als Fremde verbellen.

 

  • Symptomenkomplex veränderte Interaktionen

Bei erkrankten Hunden ändert sich insgesamt häufig der Umgang mit bekannten Personen und/oder Tieren. Typisch ist hierbei beispielsweise, dass der erkrankte Hund seltener oder gar nicht mehr nach Zuwendung und Streicheln verlangt. Weitere mögliche Symptome sind ein reduziertes Interesse an Spielzeugen und interaktiven Spielen mit den Besitzern und/oder im selben Haushalt lebenden Hunden. Erkrankte Hunde entziehen sich oft dem Streicheln und begrüßen ihre Besitzer oder bekannte Hunde weniger enthusiastisch als früher oder reagieren gar nicht auf die Ankunft oder Anwesenheit der Besitzer. In Einzelfällen kann es auch dazu kommen, dass die Hunde plötzlichen Stimmungsschwankungen unterworfen oder insgesamt leichter reizbar und launenhaft sind. Angststörungen können ebenfalls begleitend auftreten.

 

  • Symptomenkomplex veränderter Schlaf-wach-Rhythmus

Wie bereits erwähnt, ist eine Veränderung des Schlaf-wach-Rhythmus prinzipiell ein Teil des normalen Alterungsprozesses. Beim kognitiven Dysfunktionssyndrom kommt es allerdings zu einigen Besonderheiten. Betroffene Hunde schlafen meist mehr innerhalb von 24 Stunden, wobei aber der Nachtschlaf in der Regel deutlich reduziert und unruhiger ist. Vor allem bei Dämmerung oder Dunkelheit kommt es dann oft dazu, dass die betroffenen Hunde rastlos und hechelnd oder winselnd auf und ab wandern. Dies scheint analog zum „Sundowner-Syndrom“ bei menschlichen Alzheimerpatienten abzulaufen. Der Schlafrhythmus ist in manchen Fällen bei erkrankten Hunden unregelmäßig und es kommt zum Wechsel zwischen Insomnie (Schlaflosigkeit) und Hypersomnie (übermäßigem Schlafen).

 

  • Symptomenkomplex Stubenunreinheit

Bei Hunden, die vorher stubenrein waren, kann ein weiteres Symptom für das kognitive Dysfunktionssyndrom sein, dass sie wieder unsauber werden. Meist sind diese Vorfälle an Unsauberkeit unregelmäßig und unvorhersehbar. Typisch ist daher die Unsauberkeit im Haus direkt nach einem längeren Spaziergang. Zudem kann es dazu kommen, dass betroffene Hunde seltener oder gar nicht mehr signalisieren, wenn sie hinausmüssen, und es auch dadurch immer wieder zu Unsauberkeit kommt.

 

  • Symptomenkomplex veränderte Aktivität

Im Zuge dieser Erkrankung zeigen die Hunde eine deutliche Veränderung in ihrer Aktivität. Als Faustregel lässt sich sagen, dass es zu einer Abnahme an gerichteter Aktivität kommt und zu einer Zunahme an ungerichteter Aktivität. Es kommt beispielsweise häufig dazu, dass die Hunde ziellos umherwandern. Ein stereotyp wirkendes Auf-und-ab-Laufen ist ebenso typisch für die Erkrankung wie das Durchwandern der Wohnung, das immer wieder durch Episoden von „In-die-Leere-Starren“ unterbrochen wird. Die Hunde zeigen meist deutlich weniger Interesse an ihrer Umgebung. Auch die Reaktion auf bekannte Stimuli (zum Beispiel Rufen, Ball, Leckerchen, Türklingel) ist in der Regel deutlich reduziert (Abb. 3).

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