Streitthema Sommerschur

Scheren oder nicht scheren – das ist die Frage
LESEPROBE SPF20, Von Sylke Schulte

Alle Jahre wieder, wenn die Temperaturen in heißere Gefilde klettern und nicht nur wir Menschen dankbar für jede Abkühlung sind, begegnet man ihnen wieder: Geschorene oder gar kahle Hunde streifen mit ihren Herrchen und Frauchen durch die Wälder und Straßen. Dabei spaltet diese Praktik der Sommerschur Hundehalter jeden Sommer aufs Neue in zwei Lager. Doch was ist dran an den Mythen und Fakten rund um dieses heikle Thema? Hilft eine Schur Lucky und Bella durch die heiße Jahreszeit oder ist sie tatsächlich sogar kontraproduktiv?

Die Kontroverse rund um die Sommerschur wird von Fachleuten und Laien gleichsam hitzig diskutiert. Die Tatsache, dass es zu diesem Thema noch keine verwertbaren wissenschaftlichen Studien gibt, verleiht der Debatte jedes Jahr neuen Zündstoff, da keine Seite ihre Argumentation auf wissenschaftliche Daten stützen kann.

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Foto: Tina Müller

Pro Schur
Die Argumentation der Verfechter der Sommerschur klingt logisch und nachvollziehbar: Ohne das dichte, dicke Fell könne sich die Hitze nicht stauen und der Hundekörper könne seine Wärme leichter an die Umgebung abgeben, was ergo zu einer niedrigeren Körpertemperatur und somit zu einer Erleichterung für den Vierbeiner führe. Es wird zwar oft angeführt, dass das dichte Fell den Hund im Sommer genauso vor Hitze schützen soll wie im Winter vor Kälte, doch die Körpertemperatur eines Hundes liegt mit 38–39 °Celsius doch in unseren Breitengraden meistens weit über der Außentemperatur. Die vom Hundekörper ständig durch Stoffwechselvorgänge produzierte Wärme – so die Argumentation der Fans einer leichten Sommerfrisur – könne ohne das dichte Fellkleid leichter über die Haut abgeführt werden. Die Schur helfe dem Hund somit, vor allem bei körperlichen Aktivitäten, seine Körpertemperatur relativ konstant zu halten. Die Luftzirkulation direkt an der Hautoberfläche unterstütze dabei den Abtransport der Körperwärme, der ansonsten oftmals durch die dichte Unterwolle verhindert werde. Auch die Evolutionsbiologie scheint diese Argumentation zu stützen, da Hunderassen aus typischerweise wärmeren Gefilden von Natur aus mit einem leichteren Fellkleid bestückt sind als ihre nordischen Kollegen. Auch die Vorfahren unserer Haushunde, die Wölfe, legen bei sommerlichen Temperaturen einen Großteil ihrer Wolle ab, erklärt Biologe und Verhaltensforscher Prof. Dr. Kotrschal: „Wölfe verlieren bis etwa Juni ihr Winterfell, das Sommerfell ist dann tatsächlich viel weniger voluminös, sie sehen dann recht windhundähnlich aus.“

Kontra Schur
Neben der doch recht oberflächlichen Argumentation, dass der Hund durch eine Schur sein rassetypisches Aussehen verliere, wartet jedoch auch die Gegenseite mit einigen schlüssigen Argumenten auf. Das Hauptargument lautet, dass die Natur schon für die richtige Behaarung aller Lebewesen sorge und man ihr deshalb nicht ins Handwerk pfuschen sollte. Zudem seien Hunde bekanntermaßen nicht in der Lage, ihre Körpertemperatur über die Abgabe von Schweiß über die Haut zu regulieren. Die Natur habe für unsere Fellnasen andere Arten der Thermoregulation vorgesehen, wie zum Beispiel das Hecheln. Eine Rasur des Haarkleids sei deshalb für viele Halter und auch Experten nicht nur Unsinn, sondern sogar schädlich, da man die empfindliche Hundehaut den aggressiven Sonnenstrahlen aussetze und so Sonnenbrände und dauerhafte Hautschädigungen riskiere. Besonders bei Hunden mit starker Unterwolle, zum Beispiel Huskys, Chow-Chows oder Schäferhunden, wurde nach dem Scheren oft eine sogenannte „Clipper Alopezie“ beobachtet. Diese Hauterkrankung entsteht vermutlich durch eine Veränderung des Blutflusses an den Haarfolikeln nach dem Scheren, hervorgerufen durch Temperaturveränderungen oder Verbrennungen an der Hautoberfläche. Kahle Stellen oder stellenweise dichter „Büschelwuchs“ können die Folge sein. Schon durch eine Rasur kann das empfindliche Gleichgewicht von Fell und Haut sowie das natürliche Fellwachstum dieser Hunde dauerhaft gestört sein und die Funktion des Haarkleids nicht mehr gewährleistet werden. Auch bei Rassen mit viel Deckhaar und weniger Unterwolle besteht ein Risiko: In manchen Fällen wurde ein schnelleres Wachstum der Unterwolle beobachtet, was zu einer Behinderung des Deckhaarwuchses führen kann. Neben den optischen Auswirkungen und weiteren Hautproblemen, wie Schuppenbildung, kann diese Beeinflussung der Hautflora und des Haarkleids vor allem bei den Wasserratten unter unseren Hunden tragische Folgen haben, da der natürliche Hautschutz für Wasseraktivitäten verloren gehen kann.

Die goldene Mitte
Da es, wie schon erwähnt, zu diesem Streitthema derzeit noch keine zuverlässigen Daten oder Studien gibt, bleibt die Frage nach dem Sinn oder Unsinn der Sommerschur vorerst wohl eine Gretchenfrage, die sowohl von Hundehaltern als auch Experten weiterhin heiß diskutiert werden wird. Alle Herrchen und Frauchen, die sich nun auf ein eindeutiges Ja oder Nein zur Sommerschur gefreut haben, müssen deshalb an dieser Stelle leider enttäuscht werden, denn Fakt ist: Wie bei so vielen Themen in der Hundehaltung gibt es auch beim Scheren immer Vor- und Nachteile. Wie bei uns Zweibeinern sind auch alle Hunde unterschiedlich, und Rassehunde sind durch den Menschen teils so weit verändert, dass ursprünglich natürliche Körpervorgänge und körperliche Merkmale nun übertrieben und damit störend oder sogar überflüssig werden können. Dr. Edda Hoffmann, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Veterinärdermatologie, erklärt: „Es kommt immer auch individuell auf das Tier an, und man muss genau schauen, ob der Hund von einer Schur profitiert oder eben nicht. Warum es manchmal zu einer post clipping alopecia kommt, ist noch nicht geklärt. Außerdem ist es immens wichtig, sämtliche andere Gründe für eine Alopezie auszuschließen, wie zum Beispiel Schilddrüsenunterfunktion, Morbus Cushing etc.“ So vertragen einige Hunde eine Schur ohne Probleme, bei anderen kommt es bereits nach dem einmaligen Anlegen des Rasierers zu massiven Haut- und Fellveränderungen. Vor allem bei älteren Hunden oder Hunden mit geschwächtem Immunsystem kann eine Schur das natürliche Fellwachstum ordentlich durcheinanderbringen.
Auch Kotrschal rät zu einem sorgsamen Abwiegen des Für und Widers: „Da Hunde kaum über die Körperdecke kühlen, ist die Schur zur Thermoregulation Unsinn. Wenn der Hund aber zur Bildung von sommerlichen hot spots neigt, kann eine Schur durchaus sinnvoll sein.“

Trotz all dieser Unklarheiten lassen sich in puncto Sommerschur einige eindeutige Empfehlungen abgeben. Hat sich Herrchen oder Frauchen zu einer sommerlichen Frisur für den vierbeinigen Partner entschlossen, sollte diese unbedingt von einer Fachkraft durchgeführt werden, um den Hund nicht zu verletzen. Außerdem sollten in jedem Fall und bei jedem Hund, egal welcher Rasse, ob mit oder ohne Unterwolle, immer einige Zentimeter Deckhaar stehen bleiben, um eine direkte Sonneneinstrahlung auf die Haut und somit Verbrennungen durch die Sonne auszuschließen. Auch Hunden, die eigentlich nicht in unseren Breitengraden heimisch sind und deshalb mit einer besonders ausgeprägten Unterwolle gesegnet sind, kann man durchaus an die Wäsche gehen, ohne sie gleich komplett „auszuziehen“. Ein Auflockern und Ausdünnen des unteren Fellkleides verhilft so manchem Vierbeiner an allzu heißen Tagen ein Abhilfe, denn durch fachmännisches Auskämmen der Unterwolle kann die Luft durch das aufgelockerte Deckhaar zirkulieren, während die Haut vor Sonneneinstrahlungen geschützt bleibt. In manchen Fällen kann es auch sinnvoll sein, nur einen kurzen Fellstreifen auf dem Bauch des Hundes zu rasieren; auf diese Weise kann der Hund sich leichter in kühlen Erdmulden oder auf den kalten heimischen Fliesen abkühlen.

Cool Summer
Um all die Unsicherheiten bezüglich dieses Themas aus der Welt zu schaffen, ist es für die Wissenschaft eindeutig an der Zeit, sich dieses haarigen Problems einmal anzunehmen und besorgten Hundehaltern Studien als Leitfaden an die Hand zu geben. Bis dahin bleiben Herrchen und Frauchen neben der Fellpflege jedoch noch weitere Möglichkeiten, ihrem pelzigen Partner den Sommer etwas angenehmer zu gestalten. Die konventionellen Methoden des artgerechten Hundesommers lassen sich oft bereits aus den menschlichen Bedürfnissen ableiten: Spaziergänge in den kühleren Morgen- oder Abendstunden sind Aktivitäten in der Mittagshitze eindeutig vorzuziehen. Schattenplätze in Haus und Garten werden auch von Hunden gern aufgesucht, und auch vielen Vierbeinern kann man bei sommerlichen Temperaturen mit einem Ausflug ins kühle Nass eine wahre Freude bereiten. Die ständige Bereitstellung von frischem Trinkwasser sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dabei sollte das Wasser jedoch auf keinen Fall zu kalt sein! Findige Halter, aber auch der Markt bieten ihren Fellnasen oft noch weitere Abkühlungsmöglichkeiten im Sommer. So erfreuen sich zum Beispiel Hundepools – mal mit mehr, mal mit weniger Wasser – bei den meisten Hunden großer Beliebtheit. Viele Hunde genießen bei hohen Temperaturen auch Spazierfahrten in klimatisierten Autos – wobei man nicht zu erwähnen braucht, dass ein Hund im Sommer nichts in einem stehenden Auto zu suchen hat, da sich dieses sehr schnell zu einer Hitzehölle entwickelt. Weitere Möglichkeiten, seinem Hund im Sommer etwas Linderung zu verschaffen, reichen von der heimischen Herstellung von Hundeeis bis zu eisgefülltem Spielzeug – da sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt, und erlaubt ist alles, was gefällt und hundegerecht ist, um die sommerlichen Temperaturen gemeinsam mit dem besten Freund des Menschen ausgiebig zu genießen.

 

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Ein Gedanke zu „Streitthema Sommerschur

  • 26. Juli 2015 um 14:14
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    Claudia Ruhnau schreibt uns zum Thema „Sommerschur“:
    Ein Thema , dass mich seit langem wirklich auf die Palme bringt. Dadurch, dass ich sehr oft Hunde zu Gast habe, wenn die Besitzer in Urlaub sind konnte ich Erfahrung mit vielen verschiedenen Rassen und Mischlingen sammeln. Ich bin großer Terrierfan und halte seit vielen Jahren immer zwei Terriermischlinge. Da Terrier getrimmt werden müssen und ich mit einem meiner Urlaubsgästen sehr unangenehme Erfahrung bei einem Hundefriseur gemacht habe fing ich an, selber trimmen zu lernen.
    Bei meinen Urlaubshunden fällt mir immer wieder auf, dass die Hundefriseure, die die Sommerschur durchführen zum einen die Besitzer nicht über die Risiken aufklären und dass sie leider bei den Hunden die Unterwolle nicht entfernen. Wenn man nämlich die lose Unterwolle mit einem Trimmesser oder sehr einfach mit einem Furminator entfernt kann das Oberfell gut wieder nach wachsen. Man sollte auch darauf achten, dass nicht zu kurz geschoren wird, dann bleibt die Funktion des Fells (Wasserschutz, Sonnenschutz) erhalten. Die Tasthaare an der Schnauze sollte man ungeschoren davon kommen lassen.
    Ich sehe immer wieder Hunde, die im Frühjahr auf 3 Millimeter runter geschoren werden und bei wechselhaftem Wetter sehr frieren und nass bis auf die Haut werden. Bei einem meiner Urlaubsgästen, einem roten Cocker habe ich nachdem der arme Kerl beim Hundefriseur war ein halbes Jahr gebraucht, das Fell wieder in Ordnung zu bringen. Außerdem kann man bei Hunden, die durch die Schur nur noch Unterwolle und keine Deckhaare mehr haben erste Anzeichen für Schilddrüsenprobleme und Cushing sehr leicht übersehen. Auch das passierte bei dem Cocker.
    Vielen Hunden, denen es im Sommer sehr warm wird kann man sehr einfach selber zu einem luftigen Sommerfell verhelfen ohne das Fell dauerhaft zu schädigen. Dafür nehme ich einen coat king. Das geht so einfach wie Bürsten und kann regelmäßig angewandt, den ganzen Sommer zu einem luftigen, gesunden Sommerfell verhelfen.
    Es gibt aber auch Hunde, bei denen ich mir sehr Wünsche, das die Besitzer auf langes Fell verzichten. Mir ist bei zwei Westies aufgefallen, dass das lange Fell am Bauch und an den Beinen sehr schnell verfilzt und sehr schlecht trocknet wenn es nass wird. Für die Hunde ist es sehr unangenehm jeden zweiten Tag die Knötchen ausgekämmt zu bekommen und ich glaube, dass es auf Dauer zu gesundheitlichen Problemen kommt wenn die beiden in der kalten Jahreszeit immer feucht und kalt sind. Leider erfordert es der Rassestandard, das die beiden diese langen Haare behalten und die Besitzerin fürchtet, dass Ihre Hunde nicht mehr so süß aussehen, wenn man sie von den langen Haaren befreit.
    Ich wünsche mir, das die Haarpracht von Hunden mehr von gesundheitlichen Kriterien und den Bedürfnissen der Hunde bestimmt wird anstatt von der Bequemlichkeit und den Schönheitsidealen der Hundehalter.

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