Bericht zum EMRA-Seminar mit Peter Neville & Robert Falconer-Taylor

emotionen_einschaetzen_2Von Shauna Wenzel

Wie kam es eigentlich, dass eine Britin aus dem tiefsten Bayern ihre Trainingsvorbereitungen für die Teilnahme an der Obedience-Weltmeisterschaft in Helsinki für drei Tage unterbricht, um an einem Seminar zweier in Deutschland eher unbekannter Engländer (Prof. Peter Neville und Robert Falconer-Taylor) in der Nähe von Bremen teilzunehmen? Sehnsucht nach der Muttersprache? Nein, dafür gibt es doch die BBC und Satellitenschüsseln. Ganz einfach: Ein Seminar mit solch fundierten Vorträgen, basierend auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen, hat in Deutschland Seltenheitswert.

 

Prof. Peter Neville ist der Gründungspartner des COAPE-Instituts und Autor bzw. Koautor von 15 Fachbüchern. Robert Falconer-Taylor ist Tierarzt und COAPE-Partner. Er ist Dozent vieler von COAPE angebotener Kurse, an deren Konzeption er beteiligt war. Worum ging es? Behandelt wurden viele tolle Themen, wie die Rolle von Frustration in der emotionalen Entwicklung von Welpen, die Entwicklung vom Wolf zum Hund und viele Ergebnisse aus Studien- und Forschungsarbeiten über das Thema, inwieweit der Hund sich dem Menschen (und umgekehrt) genetisch angepasst hat. Von allen Themen waren für mich die Vorträge über Emotionen und die Forschungsarbeit von Jaak Panksepp ein persönliches Highlight. Dazu nachfolgend eine kurze Zusammenfassung:

Jaak Panksepp musste in den frühen Jahren seiner Arbeit in einer psychiatrischen Klinik feststellen, dass niemand wirklich viel über die Entstehung von Emotionen wusste. Er beschloss, selbst in diesem Bereich aktiv zu werden, und begründete damit die heute sogenannte „Affektive Neurowissenschaft“. Panksepp finanzierte seine Forschungen in den Anfangsjahren selbst und legte grundlegende und wegweisende Studien zu den Emotionen von Säugetieren vor. In der Öffentlichkeit wurde er vor allem durch seine Arbeit mit „lachenden Ratten“ bekannt. Man kann behaupten, er revolutionierte das Wissen über die neuronalen Systeme, die unsere Emotionen vermitteln.

Das Gehirn kann in Bezug auf Emotionen grob gesehen in drei Sektionen unterteilt werden: Das „primäre Bewusstsein“ wird von allen Tieren geteilt, hier entstehen die Empfindungen von Hunger, Durst, Wärme usw., die zum Erreichen eines Gleichgewichts der Körperfunktionen wichtig sind. In der zweiten Ebene, dem „sekundären Bewusstsein“, entstehen Emotionen wie Freude, Trauer, Angst, Wut, Überraschung, Einsamkeit, Lust und eventuell Ekel, die (fast) ausschließlich von höher entwickelten Tieren/Säugetieren gezeigt werden. Die dritte Ebene, das „tertiäre Bewusstsein“, ist bei Menschen besonders groß, wird aber auch in bestimmtem Maße von Hunden geteilt. Hier sind kognitive Prozesse relevant, wenn es zum Beispiel darum geht, sich schuldig, verlegen, stolz, boshaft, mitfühlend, großzügig oder ähnlich zu fühlen. Diese Gefühle sind nur möglich, wenn das Individuum kognitiv dazu in der Lage ist, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und eine Vorstellung von dessen emotionaler Wirklichkeit zu haben.

Die sieben primären emotionalen Systeme, die Panksepp beschreibt, sind:

–           SUCHE (SEEKING-System)

–           ANGST

–           WUT

–           LUST

–           FÜRSORGE

–           PANIK

–           SPIEL

Die Aufgabe solcher Systeme ist im Grunde genommen, einem Tier die Einschätzung zu ermöglichen, ob ein Reiz positiv oder negativ ist und ob es sich ihm annähern oder Abstand halten soll. Je nachdem, welches System aktiviert ist, werden unterschiedliche Neurotransmitter freigesetzt. So hat jedes eine große physiologische Auswirkung und spielt eine wichtige Rolle für das Verhalten. Um es kurz zu halten, konzentriere ich mich hier auf das SEEKING-, SPIEL- und FÜRSORGE-System. Wer mehr Informationen über Jaak Panksepp und seine Arbeit sucht, dem empfehle ich sein Buch „Affective Neuroscience“.

Das SEEKING-System bringt „die Freude am Leben, die Begeisterung, auf der Welt zu sein“ hervor. Es verursacht ein (allgemeines) Verlangen danach, etwas zu tun, zu unternehmen und zu entdecken. Es ist als Beispiel besonders aktiv in Leuten, die ein sehr ausgeprägtes Verlangen danach haben, zu gewinnen, und gern an Wettbewerben teilnehmen. Im schlimmsten Fall kann es bis zur Abhängigkeit führen, wie etwa bei dem Missbrauch von Drogen. Es ist verbunden mit dem Belohnungssystem des Gehirns, welches dem Tier die Möglichkeit gibt, Freude zu spüren. Diese positiven Gefühle, die zum größten Teil über die Ausschüttung von Dopamin hervorgerufen werden, sind besonders wichtig für den Lernprozess, da sie nicht nur das Verhalten selbst verstärken, sondern auch eine besondere Bedeutung im Erinnerungsprozess haben. Das SEEKING-System kann grundsätzlich mit den anderen Systemen zusammenarbeiten.

Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten „Thrill Seekers“, auf Deutsch Adrenalin-Junkies. Sie erleben eine Euphorie durch das Zusammenspiel des SEEKING- und des ANGST-Systems. Da ihr ANGST-System so gut wie nie im täglichen Leben aktiviert wird, unternehmen sie besonders furchterregende Aktivitäten (wie zum Beispiel Bungeespringen). Durch die massive emotionale Veränderung im Gehirn von Todesangst zu Erleichterung, werden enorme Mengen Dopamin und Oxytocin freigesetzt. Diese Mischung ergibt ein weitaus größeres Gefühl von Euphorie als „normale“ Freude und kann süchtig machen.

Parallelen in der Hundewelt wären Hunde, die vor ihren Artgenossen Angst haben und lernen, durch Knurren, Bellen usw. andere Hunde aus dem Weg zu schaffen. Diese Hunde erleben dadurch ein genauso großes Erleichterungsgefühl, das unter Umständen für den Hund so belohnend werden kann, dass es langfristig eine Verhaltensänderung verursacht. Irgendwann stellt sein Besitzer fest, dass der Hund nun in der Hoffnung durch die Gegend läuft, irgendwelche Artgenossen zu treffen und anmachen zu können, damit er das „gute Gefühl“ wiedererleben darf. Wenn ich als Hundetrainer diesen Mechanismus nicht verstehe, wie kann ich dann seinem – wahrscheinlich verzweifelten – Besitzer helfen?

Das FÜRSORGE-System beinhaltet mehr, als sich um den Nachwuchs zu kümmern. Es verursacht die emotionale „Belohnung“ langfristiger Beziehungen. Es erklärt nicht nur die guten Gefühle von Menschen für Tiere (hervorgerufen durch Oxytocin, Prolactin, Dopamin), sondern auch die Gefühle der Hunde uns gegenüber, die die gleiche physiologische Reaktion erleben.

Wenn das FÜRSORGE-System gestört wird, kommt das PANIK-System im Gang. Jungtiere lernen so, sehr nah am Muttertier zu bleiben, um die extrem negativen und schmerzvollen Gefühle, ausgelöst vom PANIK-System, zu vermeiden. Auch in erwachsenen Tieren fühlt sich eine Störung im FÜRSORGE-System furchtbar an, und in manchen Fällen wird auch hier das PANIK-System aktiviert. Denken Sie nur daran, wie Sie sich nach einem ungewollten und für Sie überraschenden Ende einer Partnerschaft fühlen würden: nicht nur traurig, sondern oft hilflos und krank, manchmal regelrecht „in Panik“. Genau dies erlebt mancher Hund, wenn er unfreiwillig von seiner Bezugsperson getrennt wird. Wie gut der Hund mit der Situation umgehen kann, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von seinen Erfahrungen als Welpe und wie das Alleinbleiben trainiert wurde. Wenn wir als Trainer mit Trennungsproblemen umgehen wollen, denke ich, dass es unentbehrlich ist, die physiologische Wirkung dieser Systeme zu verstehen.

Das SPIEL-System setzt Opioide frei, die nicht nur eine Reduzierung des Schmerzempfindens, sondern angenehme bis euphorisierende Gefühle auslösen. Laut Robert ist es wesentlich einfacher, das SEEKING-System zu aktivieren, wenn zuvor das SPIEL-System aktiviert wurde. Welche Konsequenzen hat das für Hundetrainer und besonders für Hundesportler? Wenn beide Systeme arbeiten, wird das Lernen wesentlich vereinfacht, da die verstärkende Wirkung dieser zwei Systeme größer ist, als wenn beim Training nur das SEEKING-System aktiviert wird. Die gewollte positive Verknüpfung mit einer trainierten Übung lässt sich so leichter erreichen.

Die Arbeit von Panksepp hat es uns ermöglicht, die Emotionen zu verstehen, die hinter „Verhaltensproblemen“ liegen. Das Lernen und das Verhalten von Hunden sind auf die dauerhaft wechselnden innerlichen emotionalen Zustände zurückzuführen. Es sind die sogenannten Affekte, die letztendlich die einzig wahren Verstärker sind.

Auf diesen Kenntnissen beruht auch das EMRA™-System, die Herangehensweise von COAPE an Verhaltensprobleme. Statt pauschaler Diagnosen, die meist zu standardisierten Therapiewegen führen, sucht EMRA™ eine individuelle Einschätzung des Problems auf drei Ebenen: die Einschätzung des emotionalen Zustands des Hundes in der Problemsituation, seines alltäglichen Wohlfühlbudgets und des jeweiligen Verstärkers des problematischen Verhaltens. Dieses ganzheitliche Bild ermöglicht eine individuell passende Therapie, die oft überraschende Wege geht. Eine ausführliche Beschreibung hierfür findet man in dem Buch „Emotionen einschätzen, Hunde verstehen“, verfasst von den beiden Referenten.

Da die Zeit viel zu kurz war, um all das Wissen rund um Emotionen und EMRA™ in der Praxis zu vermitteln, werde ich Peter und Robert Ende April 2015 für zwei weitere Seminartage zu mir nach Augsburg einladen. Dort werden wir vertieft in EMRA™ einsteigen: mit Beispielen aus der Praxis und mit anderen spannenden Themen, wie die Erkenntnisse aus der Affektiven Neurowissenschaft unser Training zum Beispiel mit dem Clicker verändern könnten, Futter und Verhalten, Kastration/Sterilisation). Eine Übersetzung wird angeboten.

Wer sich für das Seminar interessiert und die Ausschreibung erhalten möchte, wendet sich bitte an die SPF-Redaktion m.franck@cadmos-verlag.de.

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Das Buch zum Seminar kann versandkostenfrei im Cadmos-Shop bestellt werden: http://www.cadmos.de/emotionen-einschaetzen-hunde-verstehen.html

Emotionen einschätzen, Hunde verstehen – SitzPlatzFuss Edition

Das EMRA™-System als individuelle Herangehensweise an Verhaltensprobleme und deren Therapie

Robert Falconer-Taylor, Peter Neville, Val Strong
ISBN 978-3-8404-2507-3

Das englische COAPE-Institus legt bereits seit vielen Jahren den Fokus seines Interesses auf die Emotionen von Tieren. Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung bestätigen immer mehr, wie stark Emotionen unser Verhalten, und das von Tieren mit ähnlichen Hirnstrukturen steuern. Das EMRA™-System, die Herangehensweise von COAPE an Verhaltensprobleme, stellt daher Emotionen im Zentrum. Statt pauschaler Diagnosen, die meist zu pauschalen Therapiewegen führen, sucht EMRA™ eine individuelle Einschätzung des Problems auf drei Ebenen, die eine individuell passende Therapie ermöglicht.

Dieses Buch hilft Emotionen des Hundes und ihre Bedeutung für das Auftreten von Verhaltensproblemen zu verstehen. Hauptinhalt ist die Anwendung des EMRA™-Systems in der Praxis, welche im Rahmen von sechs ausführlichen Fallbeispielen zu verschiedenen Problemverhalten (Individuelle Einschätzung – Therapie – Ergebnis) dargestellt wird.

 

Aus dem Inhalt

  • Emotionseinschätzung in der Problemsituation
  • Einschätzung des Lebensgefühls
  • Verstärkereinschätzung
  • Emotionen und selbstbelohnendes Verhalten verstehen
  • Sechs Fallbeispiele zu Einschätzung und Therapie bei Verhaltensproblemen

Bonuskapitel: Fallbeispiel zur Anwendung des EMRA™-Systems bei Katzen

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