Vielseitigkeitsprüfung der Gebrauchshunde – früher Schutzdienst

— LESEPROBE aus der SPF Ausgabe 21 —
Von Dr. Esther Schalke

Der Vielseitigkeitssport, kurz VPG-Sport, steht wieder und wieder im Fokus der Kritik. Der Einwand, der immer wieder hervorgebracht wird, betrifft vor allem die Gefährlichkeit von Hunden, die durch den Sport ausgelöst werden soll. Des Weiteren stellen die Ausbildungsmethoden, die mit dem VPG-Sport verbunden werden, ein Stein des Anstoßes dar. Immer wieder ist von tierschutzwidrigen Trainingswegen die Rede. Dieser Artikel soll ein wenig Licht in das Dunkel des Sports bringen, den so viele kritisieren, den aber nur wenige wirklich kennen. Er soll aber auch ein kritischer Anstoß für all diejenigen sein, die aus dem Sport kommen und nicht bereit sind, aufgeschlossen mit der Kritik von außen umzugehen.

Was ist der VPG-Sport überhaupt?
Diese Sportart setzt sich aus drei Disziplinen zusammen, der Nasenarbeit, dem Gehorsam und dem eigentlichen Schutzdienst. Wer an Prüfungen teilnehmen möchte, kann diese außerdem noch auf drei unterschiedlichen Schwierigkeitsleveln absolvieren.
In der ersten Disziplin, der Fährtenarbeit, soll der Hund auf natürlichem Gelände eine 400–800 Meter lange Fährte verfolgen und dort ausgelegte Gegenstände des Fährtenläufers anzeigen. In der Abteilung Gehorsam, die laut Prüfungsordnung immer noch Unterordnung heißt, werden die Übungen Fuß-Gehen, Sitz – Platz –Steh aus der Bewegung, Hereinkommen mit Vorsitzen, Apportieren sowohl zu ebener Erde als auch über eine Kletterwand und eine Hürde abgefragt. In der viel diskutierten Sparte Schutzdienst muss der Hund eine festgelegte Anzahl an Verstecken ablaufen und nach dem Helfer „suchen“. Hat er den Helfer „gefunden“, soll er diesen durch Verbellen anzeigen. Der Hund muss sich vom Schutzdiensthelfer abrufen lassen und zum Hundeführer zurückkommen. Es gibt auch Elemente, in denen der Helfer sich mit schnellen Bewegungen auf den Hund zu oder vom Hund wegbewegt. In diesen Situationen darf der Hund in den sogenannten Sportarm beißen. Es existieren auch zwei Übungen, in denen der Hund „bei Fuß“ gehen muss und der Helfer sich vor oder seitlich vom Hund bewegt. In einer der Übungen, in denen der Hund in den Sportarm fassen darf, erhält er vom Schutzdiensthelfer zwei Schläge mit dem Softstock. Es ist dabei gewünscht, dass der Hund weiterhin den Ärmel festhält.

VPG
Foto: Rita Kochmarjova/Shutterstock.com

Schafft dieser Sport gefährliche Hunde?
Diese Frage wird oft als Behauptung in den Raum gestellt, obwohl vorhandene Statistiken über auffällig gewordene Hunde diese Annahme nicht unterstützen. Deshalb lohnt es sich, einmal einen Blick daraufzuwerfen, wieso einige Kritiker immer noch davon ausgehen. In meinen Augen liegt das Hauptproblem in der Geschichte dieses Hundesports. Zum einen einmal in der Assoziation, die die meisten Menschen mit dem Wort Schutzdienst herstellen. Dieser Name impliziert, dass die Hunde daraufhin trainiert werden, ihren Hundebesitzer zu schützen. Dieses war sicherlich in der Vergangenheit auch gern gewünscht. Die Veränderungen in unserer Gesellschaft aber haben zu einem Wandel in unserer Hund-Halter-Beziehung geführt. Auch die Einstellung zum Aggressionsverhalten von Hunden hat sich grundlegend verändert. Diese neuen Sichtweisen haben auch im Hundesport Einzug gefunden. Die große Masse der Hundebesitzer möchte einen Hund, der problemlos in der Familie leben kann, der sich gut in unsere Umwelt integriert und der mit Spaß im Hundesport dabei ist. Dieses Ziel kann auch mit einem Hund, der im Schutzdienst geführt wird, mühelos erreicht werden. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist, dass die Hunde die gesamte Performance als ein „Spiel um ihre Beute“ auf einem bestimmten Hundeplatz verstehen. Dieses setzt voraus, dass die gesamte zugrunde liegende Motivation nur aus dem Beuteverhalten heraus gewonnen werden darf. Stellt der Schutzdiensthelfer dieses sicher, dann ist der Sportarm für den Hund nichts anderes als eine große Beutebelohnung, die er für die vorangegangenen Verhaltensweisen erhält. Ein Merkmal, das beim Erlernen von Verhalten auftritt, ist, dass Hunde kontextbezogen lernen. Der Kontext des Lernens hat einen erheblichen Einfluss auf das gezeigte Verhalten der Tiere. Wird ein Tier immer in der gleichen Umgebung und mit den gleichen Reizen trainiert, dann werden sowohl die Reize als auch die Umgebung ein Teil des Signals, das Verhalten überhaupt auszuführen (Reid 1996). Der Kontext, den die Hunde im Zusammenhang Schutzdienst lernen, setzt sich aus folgenden Elementen zusammen: der Hundeplatz mit den sechs Verstecken und eine Person, die deutlich sichtbar das Motivationsobjekt (Sportärmel) am Arm trägt. Wie oben bereits erwähnt, bedeutet dies, dass der Hund das gelernte Verhalten auch nur in diesem Kontext zeigen wird, weil die gelernten Reize ein Bestandteil des Auslösers für das Verhalten sind. Dieses legt dar, dass ein Sporthund sowohl außerhalb des Hundeplatzes als auch ohne eine Person mit dem Sportarm das Verhalten nicht zeigen wird.
Eine rein auf der Beutemotivation basierende Ausbildung stellt daher auch den Unterschied zur Ausbildung eines Diensthundes für die Behörden dar. Der Diensthund muss in der Lage sein, das von ihm geforderte Verhalten auch außerhalb eines genau definierten Kontextes zu zeigen. Hinzu kommt auch, dass ein Diensthund sich unter Umständen mit einem Täter auseinandersetzen muss, der aktiv versucht, den Hund in die Flucht zu schlagen. Hier kann es also zu einem Konflikt zwischen dem Hund und dem Täter kommen. Der Diensthund muss deshalb im Training lernen, dass er mithilfe des Aggressionsverhaltens diesen Konflikt beseitigen kann.
Der Hund verknüpft bei der Arbeit über diese Motivation zwei entscheidende Punkte:
1. Menschen können eine Belastung darstellen.
2. In diesem Fall ist Aggressionsverhalten eine Lösungsstrategie.
Hunde, die aus dieser Motivation heraus arbeiten, sind im Gegensatz zu beutemotivierten Hunden nicht von einem definierten Kontext abhängig. Der so agierende Hund kann daher eine Gefahr für Dritte sein, wenn er nicht vollkommen in der Hand seines Hundebesitzers steht. Aus diesem Grund darf für einen Sporthund im Schutzdienst das aggressive Verhalten auch nicht als Motivationsgrundlage dienen. Eine Kritik, die sich der VPG-Sport gefallen lassen muss, ist, dass einige Hundeführer, die auf eine sehr lange Geschichte in diesem Hundesport zurückblicken, sich immer wieder dahingehend äußern, dass „ein bisschen Aggression“ wünschenswert sei. Ich verstehe sie, da es immer schwer ist, etwas loszulassen, was jahrelang gewünscht war. Die Zeiten aber haben sich geändert. Die meisten Hundeführer wollen den neuen Weg beschreiten und tun dieses auch. Allen alten Sportlern, die alten Zeiten hinterhertrauern, sei gesagt: Macht den jungen Hundesportlern diesen Sport nicht kaputt. Wie Francis Picabia schon sagte: Unser Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann.

Sind die Trainingsmethoden tierschutzwidrig?
Diese Frage kann weder mit Ja noch mit Nein beantwortet werden. Es existiert im VPG-Sport, wie in jedem anderen Hundetraining auch, „die eine Ausbildungsmethode“ gar nicht. Je nachdem, wo und mit wem Sie arbeiten, können Sie von einem sehr gut strukturierten, sehr tierschutzkonformen Ausbildungsweg bis hin zu einem belastenden, tierschutzwidrigen Trainingsweg alles sehen. In diesem Punkt unterscheidet sich der VPG-Sport in keiner Weise vom Training in anderen Hundesportsparten, in Hundeschulen oder aber im privaten Hundetraining. Aber auch in diesem Punkt liegt in der langen Geschichte dieses Sports ein kleiner Fluch. Verschiedenste Ausbildungswege, die in der Vergangenheit zu sportlichen Erfolgen geführt haben, werden an die jungen Hundeführer selbstverständlich weitergegeben. Einige dieser „alten Wege“ sind auch gut und sinnvoll. Andere wiederum stellen mitunter wirklich ein Tierschutzproblem dar. Es ist die neue, große Aufgabe aller Hundeausbildungsdisziplinen, die auf eine lange Tradition zurückblicken können, alle ihre Ausbildungswege auf Grundlage unserer Erkenntnisse über Lernverhalten zu hinterfragen und zu verändern. Ich kenne persönlich eine Reihe von Hundeführern, die diesen Weg im VPG-Sport ernsthaft verfolgen. Diesen Hundesportlern ist bewusst, dass Dinge, die in einem positiven, emotionalen Kontext gelernt werden, am besten erinnert werden können und daher zu sehr guten sportlichen Leistungen führen. Sie wissen, dass ein Training, das sehr gut strukturiert ist und bei dem die positive Belohnung überwiegt, eben diese positiven Gefühle, basierend auf Vertrautheit und Sicherheit, auslöst. Die positive, emotionale Grundlage spiegelt sich im Ausdrucksverhalten des Hundes während der Arbeit wieder. Es liegt in der Verantwortung der Organisationen, diesen Tatbestand in der Bewertung bei den Prüfungen zu berücksichtigen. In ihrer Verantwortung liegt es auch, ihre Ausbilder und Leistungsrichter dahingehend zu schulen und zu unterstützen. Wir wissen aus dem Tiertraining, dass es immer leichter ist, ein neues Verhalten aufzutrainieren, als ein altes Verhalten umzutrainieren. Der VPG-Sport ist dabei, sein altes Verhalten zu verändern. Geben wir ihm die Zeit, die er braucht, um dieses zu bewerkstelligen. Aber treten wir ihm auch immer wieder auf die Füße, wenn er sich auf seinen Lorbeeren ausruhen will, denn er ist auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel.

Dr. Ester Schalke…
… ist Tierärztin mit Fachgebiet Verhaltenskunde und Verhaltenstherapie bei Hunden. Ihre Trainingsschwerpunkte sind Mantrailing, die Ausbildung von Jagdgebrauchshunden, VPG-Sport und Rettungshundearbeit. Sie ist als Referentin tätig im Bereich der Tierärztlichen Weiterbildung, Fort- und Weiterbildung für Hundetrainer und Tierhalter, sowie angewandte Lerntheorien und Aggressionsverhalten in der Ausbildung von Diensthunden im In- und Ausland.

 

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