Tierschutzhunde und Frustration

Von Lina Rischer

*** LESEPROBE aus der SPF 56 ***

 

Der lang ersehnte, aus dem Tierschutz adoptierte Hund zerrt an der Leine und jagt jedem Fahrrad hinterher. Er zerstört die Einrichtung, springt über Tische und Bänke und kommt nur selten zur Ruhe. Dahinter kann unter Umständen eine riesengroße Portion Frustration stecken.

Ein Hund aus dem Tierschutz darf einziehen, der braun gestromte Mischling mit der schwarzen Knopfnase aus Rumänien. Bruno heißt er. Bruno ist fünfeinhalb Monate jung. In seinem Steckbrief steht, dass er etwas zurückhaltend, aber verspielt und aufgeweckt sei. Als Bruno einzieht, sind seine neuen Menschen überglücklich. Von Anfang an geben sie sich viel Mühe. Sie spazieren, trainieren und unternehmen viel mit ihm, und die ersten Wochen laufen genau so, wie sie sich das immer vorgestellt haben. Bruno begleitet sie ins Büro, zu Freunden, in den Hundepark und ins Restaurant.

Einige Wochen nach seiner Ankunft fangen die ersten Probleme an: Drinnen kommt Bruno kaum noch zur Ruhe, springt über Tische und Bänke. Bekommt er nichts vom Essen seiner Menschen ab, knabbert er an Tischbeinen und sogar an den Wänden. Auf den Spaziergängen zerrt Bruno an der Leine und springt jedem vorbeifahrenden Fahrrad hinterher. Auch Hundebegegnungen werden zum Spießrutenlauf, denn zu jedem Hund zieht er fiepend hin. Bekommt Bruno das Leckerli im Training nicht sofort, so springt er seine Menschen lauthals bellend an und beißt in die Leine.

Die wiederum sind frustriert: Sie wünschen sich den Bruno zurück, mit dem doch anfangs alles so gut geklappt hatte. Dass hinter Brunos Verhalten ebenso eine Menge Frustration steckt, ahnen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

 

Der Tierschutzhund

Hinter dem Label „Tierschutzhund“ stecken die verschiedensten Hundecharaktere. Vom Rottweiler bis hin zum Dackelmischling findet man die unterschiedlichsten Hunde in lokalen Tierheimen. Tierschutzhunde aus dem Ausland stammen oft aus Ländern wie Spanien, Griechenland oder Rumänien und werden zu uns nach Mitteleuropa vermittelt. So unterschiedlich ihre Herkunft, so auch ihre Vorgeschichten. Viele Hunde haben in ihrem früheren Leben auf der Straße gelebt, andere wurden als Kettenhunde gehalten, wiederum andere sind im Wald beim Jäger aufgewachsen. Die Rassen der Hunde sind vielfältig. Oft findet man Hütehund- oder Herdenschutzhundmischlinge, aber auch reinrassige Jagdgebrauchshunde werden ausgesetzt oder abgegeben. Oft haben sie eine unklare Vorgeschichte, die nicht selten sehr ereignisreich ist: Geburt – Leben in der ursprünglichen Umgebung – Eingefangen von Tierschützer*innen oder Hundefänger*innen – Leben im Shelter oder in der Tötungsstation – Reise nach Mitteleuropa – Vermittlung über die Pflegestelle – Ankunft in der Endstelle. Manch einer steckt so viel Veränderung gut weg, andere kommen überreizt, übermüdet, in sich gekehrt oder ängstlich bei uns an. Werden sie als Welpe oder Junghund vermittelt, so stecken die Hunde in einer Lebensphase, die ohnehin herausfordernd ist, wie z. B. Zahnwechsel oder Pubertät.

Bruno wurde gegen Ende der wichtigen Sozialisierungs- und Prägungsphase gemeinsam mit seinen Geschwistern im Wald gefunden. Seine natürliche Lebensumgebung war also einsam, ländlich, menschenarm. Mit städtischen Reizen oder Menschenmengen hatte er zu dem Zeitpunkt noch keinerlei Erfahrung gemacht. Im Shelter war er ständig von vielen Hunden umgeben, und auch wenn diese tolle Spielpartner waren, so war die Ressource Futter immer eher knapp und Bruno musste sich durchkämpfen. Zum Zeitpunkt seiner Vermittlung steckte er mitten im schmerzhaften Zahnwechsel. All diese Erfahrungen wirken – wie beim Welpen vom Züchter– auf das Verhalten und auf die Bedürfnisse des Hundes ein.

 

Bedürfnisse des Hundes

Genau wie wir Menschen haben unsere Hunde Bedürfnisse. Ein Bedürfnis kann ein kurzfristiger Wunsch oder eine langfristige Lebensnotwendigkeit sein. Jeder Hund hat überlebenswichtige Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Schlaf und Gesundheit. Auch das Bedürfnis nach Sicherheit und Bestimmung über das eigene Leben sowie soziale Bedürfnisse sind wichtig für jeden Hund. Weitere, individuelle Bedürfnisse sind an Genetik und Lernerfahrungen des Hundes gekoppelt: So hat ein Herdenschutzhundmix wie Bruno, der das Bewachen und Verteidigen von Herden in seiner DNA trägt und eher selbstständig ist, andere Bedürfnisse als ein Gesellschafts- und Begleithund. Ein Hund, der wenige Erfahrungen mit Menschen gesammelt hat, hat später ein höheres Bedürfnis nach Abstand zu fremden Menschen als ein Hund, der von Anfang an Positives mit Menschen verknüpft. Ein Straßenhund, der in seinem früheren Leben Spazierwege selbst bestimmen konnte, hat ein höheres Bedürfnis, ohne Leine zu laufen, als ein Welpe, der von Anfang an gelernt hat, entspannt mit dem Menschen an der Leine mitzulaufen. So individuell die Hunde, so individuell sind auch ihre Bedürfnisse.

 

Was ist Frustration?

Werden Bedürfnisse, Wünsche oder Ziele nicht wie erwartet erreicht und durch Hindernisse oder Schwierigkeiten blockiert, so entsteht das Gefühl der Frustration (ugs. Frust). Frustration ist eine negative Emotion und fühlt sich nicht gut an. Auf physiologischer Ebene steigen Herzschlag, Muskelspannung und Stresshormonspiegel, was dazu dient, ein Hindernis durch kreatives Handeln zu beseitigen, also ein Ziel letztendlich doch noch zu erreichen. Frust hat also durchaus seine Daseinsberechtigung, allerdings sollte er nur in geringer Dosierung auftreten. Denn während ein leichtes Maß an Frustration die Kreativität des Hundes in Trainings- und Alltagssituationen anregen kann, so kann starke, anhaltende Frustration zu chronischem Stress führen: Verhaltensauffälligkeiten, depressive Stimmung und ein geschwächtes Immunsystem können die Folge sein.

Je nach Persönlichkeit sowie Intensität und Dauer eines frustrierenden Ereignisses können Hunde ganz unterschiedlich auf frustrierende Situationen reagieren. Manche Hunde verlassen die Situation und beschäftigen sich mit etwas anderem, andere bleiben in der Situation still stehen, andere wiederum zeigen deutlichere Anzeichen für Frustration. In der Mimik des Hundes kann man Verhalten wie Blinzeln, geöffnetes Maul, Züngeln (ums Maul schlecken) oder Ohren-flach-Anlegen beobachten. Stärkere Frustration drückt sich aus durch deutlich erhöhte Erregung und Übersprungverhalten (Verhalten, das nicht zum Kontext passt): Der Hund springt den Menschen an, zerkaut jedes Stöckchen im Park, zerstört die Einrichtung, beißt in die Leine oder knurrt, winselt und bellt. Auch in Form von Buddeln, (Im-Kreis-)Rennen, Schnüffeln, Aufreiten, Kratzen, Knabbern & Co versuchen manche Hunde Frust abzubauen. Mit steigender Frustration steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Aggressionsverhalten wie Knurren, Schnappen oder Beißen.

Ob und wie intensiv ein Hund Frustration in einer bestimmten Situation empfindet und wie er in der Folge darauf reagiert, hängt von einigen Faktoren ab:

 

(…) Dies ist eine Leseprobe aus der SPF Ausgabe 56. Den vollständigen Artikel findest du im Heft! Bestellbar als Einzelheft unter www.cadmos.de

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