Stellungnahmen zum Thema Schutzhundesport

Pro und Contra Schutzdienst

von Thomas Baumann

Der Schutzhundesport hat nicht nur Tradition. Er ist in der Tat nach persönlicher Überzeugung ein erhaltenswertes Kulturgut, dem keiner einfach so den Garaus machen sollte. Doch dabei kommen wir nicht daran vorbei, die Feststellung zu treffen, dass Schutzhundesport nicht gleich Schutzhundesport ist.
Da gibt es leider noch die Traditionalisten, für die der Schutzhundesport früher wie heute eine besondere Form der persönlichen Profilierung darstellt.  Die Traditionalisten glauben nicht an das Sprichwort – Wachstum bedeutet Veränderung – denn sie sind kaum zu Veränderungen bereit. Sie konditionieren  heute noch wie vor 20 Jahren Gebrauchshunde mit extremen Zwängen, teilweise wüstem Geschrei und selbstverständlich Stachelhalsband und E-Gerät. Sie sehen den überwiegenden Nutzen ihres vierbeinigen Sozialpartners in dessen Funktionieren im Sinne einer Prüfungsordnung.
Bereits in der Fährte zwingt dabei der BLINDE (Hundeführer) den SEHENDEN (Hund) zu artwidrigem Suchverhalten, denn das bringt schließlich die höchsten Punktzahlen. Verlässt der Hund im Training die Fährte,  oder sucht er mit vermeintlich zu hoher Nase wird sehr schnell mit Zwängen „nachgeholfen“, um die Kriterien der Prüfungsordnung möglichst optimal zu erfüllen. In der Unterordnung wird leider  immer noch von vielen Leistungsrichtern die Perfektion am höchsten belohnt und deshalb steht technische Präzision klar vor  realer Arbeitsfreude.  Eigendynamik des Vierbeiners ist unerwünscht, denn die immer noch antiquarisch angestaubte Prüfungsordnung lässt das nur an sehr wenigen Stellen zu.

Und im Schutzdienst schließlich geht neben möglichst viel Trieb und hoher Belastbarkeit nichts ohne eine gehörige Portion Aggressionsverhalten. Das ist über Beute-Konditionierung nur sehr schwer möglich und deshalb muss ganz einfach noch der sogenannte Wehrtrieb  (sozialaggressiver Selbstschutz)  mit reinkonditioniert werden. Bei den Traditionalisten ist ganz einfach die Zeit stehen geblieben und dabei ist ihnen leider der Begriff Tierschutzrelevanz nicht im Geringsten geläufig. Sie sind ganz besonders dafür verantwortlich, dass die Akzeptanz des Schutzhundesportes in unserer Gesellschaft vergleichsweise gering ist.

Zu einer ganz anderen Einschätzung  kommt man, wenn man den Schutzhundesport derer sieht, die begriffen haben, dass diese Sportart in unserer Gesellschaft  nur dann überleben kann,  wenn sie außerhalb einer Tierschutzrelevanz und ohne Steigerung sozialaggressiver Verhaltensweisen konditioniert wird.  Und das bewusst vorgenommene Zufügen von Schmerzen  in Fährte, Unterordnung und Schutzdienst ist unbestreitbar tierschutzrelevant. Letztlich agieren die modern strukturierten Schutzhunde-Sportler auch  zum Wohl des Hundes, was ich den Traditionalisten unbedingt absprechen möchte.
Schutzhundesport, wie er heute sein sollte, muss, wie jede andere Hundesportart auch, die Bedürfnisse des Vierbeiners berücksichtigen. Dies unter Einbeziehung eines gesunden Blickes auf dessen Fähigkeiten und Grenzen. Arbeitsfreude, Nervenstärke und Belastbarkeit lässt sich bei den modern konditionierten Schutzhunden ganz sicher auch feststellen. Wer etwas anderes behauptet, dem muss ich seine Beurteilungsfähigkeit absprechen. Einem nervenschwachen Hund sehe ich beispielsweise einen Teil seiner Verhaltensprobleme schon an, wenn er aus dem Auto kommt und auf den Platz geführt wird.
Der moderne und akzeptable Schutzhundesport läuft in völlig anderen Konditionierungsebenen ab als bei den Traditionalisten. Sehr wohl dauert die Ausbildung deutlich länger, ist im Schutzdienst  ausschließlich beuteorientiert und enthält keinerlei soziale Aggressionsförderung (Wehrtrieb).
E-Gerät und Stachelhalsband sind kein Thema und dennoch können am Ende überzeugende Leistungen erwartet werden. Wenn Traditionalisten das sehen und lesen, steht für sie fest: „Softies (Hundeführer) konditionieren Weicheier (Hunde)“. Mehr lässt deren Tunnelblick leider nicht zu.

Noch ein paar wenige Anmerkungen zu Dr. Raisers Aussagen:

Bereits zu Beginn des Interviews weist Herr Dr. Raiser auf die Faszination der Arbeit mit einem hochqualifizierten Gebrauchshund hin. Und genau an dieser Stelle muss sich jeder die Frage zum persönlichen Blickwinkel stellen. Was genau ist denn eigentlich ein hochqualifizierter Gebrauchshund? Ein Hund, der in Fährte, Unterordnung und Schutzdienst annähernd perfekt zu funktionieren hat? Nur mit ihm sind schließlich hohe Punktzahlen möglich.  Und hohe Punktzahlen stärken ja bekanntermaßen das Persönlichkeitsprofil des Zweibeiners. Da spielt es schließlich auch keine nennenswerte Rolle, welche Qualitäten der Hund als Sozialpartner oder gegenüber nicht sportlich relevanten Umwelteinflüssen aufweist. Ein extrem und einseitig konditionierter Gebrauchshund mit herausragender Schutzdienstleistung ist sicher nicht gleichzusetzen mit einem hochqualifizierten Gebrauchshund. Vor allem dann nicht, wenn man den Tunnelblick einmal bei Seite lässt.
Was nützen herausragende Ergebnisse innerhalb der Disziplinen Fährte, Unterordnung und Schutzdienst, wenn genau dieser angeblich hochqualifizierte Hund instabil und zitternd beispielsweise vor einer Gittertreppe steht, weil er so etwas in seinem ganzen Leben noch nie gesehen hat. Diese und weitere enorme Schattenseiten einer Gebrauchstüchtigkeit konnte ich in rund 20 Jahren Polizeihundeausbildung bei vielen jungen Schäferhunden feststellen. „Als Schutzhund hochdotiert, als Gebrauchshund abgeschmiert!“

Das ja ständig heiß diskutierte Thema E-Gerät und Stachelhalsband löst nicht nur bei mir persönlich ein enorm ambivalentes Denken aus. Zum einen deckt sich der wissenschaftliche Beweis der Stressreduzierung  bei sachgerechter(!) Anwendung auch mit meinen praktischen Erfahrungen. Das hört sich gut an und liest sich auch gut: bei einem sachgerechten Umgang mit diesen Zwangsmitteln ist ein Hund deutlich weniger gestresst als bei alternativen Vorgehensweisen.
Auf den ersten Blick stellt sich deshalb sofort die Frage, ob die politische, gesellschaftliche und gesetzliche Ächtung  des E-Gerätes tatsächlich infolge Dummheit, Populismus und Opportunismus entstanden ist. Diese Frage beantwortet Herr Dr. Raiser im Grunde genommen unterschwellig selbst mit einem NEIN! Denn er führt das klassische Beispiel an, dass das Skalpell in der Hand eines Chirurgen unbedenklich und effektiv, in der Hand eines Schimpansen aber gefährlich sei. Dem ist gänzlich zuzustimmen,  nur habe  ich  25 Jahren Berufspraxis feststellen müssen, dass jeder Schimpanse denkt, er sei ein Chirurg.   Gerade im Schutzhundesport war in der Vergangenheit der Missbrauch des E-Gerätes wesentlich häufiger zu sehen, als der von Anwendern erhoffte Nutzen. Zumal auch einige der renommierte Koryphäen im Schutzhundesport die nötigen „chirurgischen“ Kompetenzen vermissen lassen.
Das Grundsatzverbot zum E-Gerät sehe ich damit nicht als Resultat  der Unfähigkeit oder gar Dummheit von Politikern, sondern an dem unverkennbaren und unübersehbaren Missbrauch dieses Gerätes.  Sehr schade für die wenigen echten  „Chirurgen“. Wichtig dennoch, um den in deutlicher Mehrzahl befindlichen  „Schimpansen“ ein gefahrbringendes Werkzeug zu entziehen.
Eine Frage, die sich abschließend dennoch stellt, wäre: was genau läuft im Schutzhundesport falsch, wenn der Erfolg einer Gebrauchshundeausbildung auch heute noch derart eng mit Stachelhalsband und E-Gerät verknüpft wird? Und das nicht nur im Schutzdienst, sondern auch in der Unterordnung und sogar auf der Fährte. Eine sinnvolle Modifizierung der Prüfungsordnung ist notwendig und  keine Erklärungsversuche zum vermeintlich berechtigten Einsatz von E-Gerät und Stachelhalsband. Nur so hat oder hätte der Schutzhundesport eine Chance, seine immer noch abnehmende Akzeptanz in unserer Gesellschaft wieder zu erhöhen.

Im Übrigen muss noch richtig gestellt werden, dass es sich bei Aggressionsverhalten keinesfalls um eine Triebenergie handeln kann. Wenn auf der einen Seite wissenschaftliche Aussagen hervorgehoben werden (E-Gerät), können sie nicht auf der anderen Seite vernachlässigt werden.  Aggressionen haben nun mal nichts mit Trieb zu tun.  Am einfachsten ausgedrückt, handelt es sich bei aggressiven Handlungen um ein Vielzweckverhalten, das infolge entsprechender Konditionierung triebbegleitend eingesetzt werden kann. Dieser Sonderstatus der Aggression sollte gerade in der Gebrauchshundeausbildung eine besondere Berücksichtigung erfahren.
Es gibt keinen(!) Aggressionstrieb, weil Aggressionsverhalten stets von auslösenden Reizen (endogen/exogen) abhängig ist und nur anlassbezogen auftreten kann. Sehr wohl haben Hunde ein unterschiedliches Aggressionspotential, das letztlich im Rahmen einer Konditionierung eingesetzt werden kann, oder auch nicht.

Fast schon mit Zynismus versehen wirkt auf mich die Aussage, dass kluges Gestalten von Lernprozessen zu einer Übereinstimmung von Hunde- und Hundeführerinteressen führe. Diese Aussage wird grundsätzlich dann ad absurdum geführt, wenn eine Übereinstimmung darin bestehen soll, die emotionale Welt des Hundes in möglichst annähernder Perfektion an die Inhalte einer der Vorstellung des Menschen entsprechenden Prüfungsordnung zu koppeln. Da scheint die Zeit dann doch stehen geblieben zu sein.

_____________________________________________________

Gedanken zum Schutzhundesport und dem Interview mit Dr. Helmut Raiser von Dr. Udo Gansloßer

Lüg nicht, dann brauchst Du dir nichts zu merken!

Interview mit Dr. Helmut Raiser

Schutzhundesport ist nicht neu, ganz im Gegenteil, er hat eine neue lange Tradition. Bereits 1906 fand der erste Schutzhundewettbewerb statt. Seither ist die Begeisterung für diesen Sport ungebrochen, lediglich die Prüfungsinhalte wurden modifiziert. Kern der Prüfungen sind heute die Selbstverteidigung des Hundes sowie die Verteidigung des Hundeführers. SitzPlatzFuss diskutiert im Interview mit Dr. Helmut Raiser vom RSV2000 e.V., was den Schutzhundesport bis heute so interessant macht und warum er noch immer seine Berechtigung hat.

SitzPlatzFuss: Herr Dr. Raiser, was fasziniert Sie persönlich am Schutzhundesport und wo sehen Sie dessen Berechtigung?

Dr. Helmut Raiser: Man kann Golf fahren, Porsche fahren ist aber spannender.

Dr. Udo Gansloßer: Ein Hund soll doch kein Sportgerät sein. Der Vergleich hinkt auf allen 4 Rädern, vom Umweltschutzgedanken des hohen Spritverbrauchs beim Sportwagen mal ganz abgesehen. Verhaltensbiologisch spricht man hier vom erweiterten Phänotyp, wenn solche Statussymbole verwendet werden, um die eigenen bescheidenen Fähigkeiten zu steigern.

Anders ausgedrückt – mich fasziniert die Arbeit mit einem hochqualifizierten Gebrauchshund. War es anfänglich nur Spaß, ist es im Laufe der Zeit mehr und mehr eine Verantwortung gegenüber dem Hund und der Gesellschaft geworden.

Dr. Udo Gansloßer: Das verstehe ich nicht. WEDER der Hund noch die Gesellschaft braucht das. Bereits hier kommt durch, was sich als wissenschaftliches Urteil über die Gesamtargumentation zieht: ES GIBT KEINEN AGGRESSIONS-, WEHR- o.ä. TRIEB. Aggression ist immer die Reaktion auf störende äußere Reize. Genau da irrte KONRAD LORENZ – und viele, die sich auf ihn beziehen. Also BRAUCHT der Hund DIESE Form der Beschäftigung nicht. Er kann auch anders und tiergerecht/er ausgelastet werden. Und was die Gesellschaft betrifft: Die mag Diensthunde in der Hand von Polizist/inn/en brauchen, so wie sie evtl. Leopardpanzer in der Hand professioneller Soldaten brauchen mag. Aber deswegen käme doch auch keiner auf die Idee Motorsport mit scharf munitionierten Kampfpanzern zu erlauben – und den Freizeitsoldaten auch noch zu erlauben auf dem Weg zum und vom Übungsplatz diese Panzer durch die Straßen zu steuern…

Damit hätte sich auch die Frage nach der Berechtigung geklärt. Die meisten Hunde wurden einmal für einen konkreten Nutzen gezüchtet, es gab einen Grund, warum man sie brauchte. Das wird heute leider entweder häufig vergessen, oder aber die Menschen sind mit solchen Hunden überfordert  – weil sie diese unterfordern. Wer einen Schäferhund als reinen Begleithund möchte, der sollte sich, wenn er einen Hund aus den Leistungslinien nimmt, Gedanken darüber machen, wie er den Hund beschäftigt und ihn auslastet.

Dr. Udo Gansloßer: Stimmt. Aber eben so, dass es hundegerecht ist. Und viel besser wäre, so wie viele Jagdhundezüchter es machen, eben Hunde nur an Leute abgeben, die sie jagdlich führen, Arbeitshunde aus z.B.  Schäferhundzuchten, nur an Diensthundeführer/innen abzugeben. Wobei auch noch ein anderes Missverständnis zu beseitigen wäre: Nach Ansicht der führenden Hunderassenkenner darf man eben NICHT erwarten, dass ein Hund (sog. Showlinie) nur weil er sich schlechter zur Arbeit eignet, deshalb ein besserer Familienhund sein muss.

SitzPlatzFuss: Welche Voraussetzungen sollte ein Mensch mitbringen, der den Schutzhundesport aktiv betreiben möchte?

Dr. Helmut Raiser: Ein gewisses Alter und eine gewisse Reife sollten vorhanden sein, ein Schäferhund ist kein Kinderspielzeug. Ansonsten sollte nur die Bereitschaft vorhanden sein, sich sachkundig zu machen, welche Gesetzmäßigkeiten in Erziehung und Ausbildung zu berücksichtigen sind.

Dr. Udo Gansloßer: Mindestens ebenso wichtig wäre eine fundierte Kenntnis des Sozialsystems und der Sozialbeziehungen, von Stressverhalten, physiologischen Grundlagen des Verhaltens etc.

Das Grundproblem liegt häufig in der Unwissenheit über die Unterschiede zwischen der menschlichen und der hundlichen Kommunikation. Hunde kommunizieren primär über Körpersprache, Menschen eher verbal.

Dr. Udo Gansloßer: Hunde können, wie wir heute wissen, sehr viel aus verbaler Kommunikation des Menschen erschließen.

Wer die Gesetzmäßigkeiten des Lernens und der Kommunikation nicht verstanden hat,

Dr. Udo Gansloßer: Eben. Und dazu gehört z.B. daß man unter Streß schlecht lernt

wird grundsätzlich nicht mit einem Hund zurecht kommen, im Schutzhundesport erst recht nicht. Hinzu kommt, dass, wer Schutzhundesport aktiv betreiben möchte, in der Lage sein muss, Konfliktmanagement zu betreiben. Das kann längst nicht jeder.

SitzPlatzFuss: Was genau meinen Sie damit?

Dr. Helmut Raiser: Konfliktlösung erfolgt durch Aggressionen

Dr. Udo Gansloßer: Auch Aggression ist adaptiv. Aggression ist ein Verhalten zur Wiederherstellung der äußeren Allostase, also des derzeit erwünschten äußeren Gleichgewichts z.B. in Form der Individualdistanz.

oder adaptives Verhalten. Aggression mit Aggression zu beantworten ist häufig riskant, das geht meist schief. Gute Schutzhunde sind äußerst triebstark

Dr. Udo Gansloßer: Das ist wieder das Problem. Dr. Dorit Feddersen-Petersen hat wohl mal gesagt: Im Schutzdienst erfindet man Triebe, die gibt es gar nicht – oder so ähnlich. WAS bitte heißt triebstark, noch dazu wenn das betreffende Verhalten gar kein TRIEB sondern eine Reaktion auf Außenreize ist.

und haben gute Nerven. Ein Mensch, der sich nicht unter Kontrolle hat und mit diesen starken Hunden nicht intelligent umgehen kann, ist fehl am Platz. Andererseits ist interessant, wie immer mehr Frauen im Hundesport Höchstleistungen zeigen, was deutlich macht, dass nicht die physische Kraft, sondern die Intelligenz und mentale Stärke ausschlaggebend sind.

SitzPlatzFuss: Warum hat man aber immer den Eindruck, dass gerade auf vielen Hundeplätzen (wo Schutzhundesport betrieben wird) so viele schlimme Dinge mit Hunden geschehen? Ich spreche da von Dingen wie Timing, dem E-Gerät oder Stachelhalsbändern.

Dr. Helmut Raiser: Die Frage ist eigentlich im vorigen Abschnitt beantwortet. Auf vielen Hundeplätzen stand früher Tierquälerei auf der Tagesordnung, weil Aggressionen mit Aggression beantwortet wurde, allerdings mehr aus Unwissenheit und Dummheit, denn aus Absicht. Ich kenne keinen von meinen alten Hundekumpels, die auf den Trainingsplatz gegangen sind um ihren Hund zu quälen, wenngleich ich häufig Tierquälerei gesehen habe. Das war damals in den siebziger Jahren mein Beweggrund, mit meiner Seminartätigkeit zu beginnen. Früher gab es eine andere Sensibilität dem Tier gegenüber und auch die Gesellschaft hatte eine andere Betrachtungsweise. Das hat sich in den Jahren, in denen ich Hundesport betreibe, deutlich verbessert. Zum einen dank des unermüdlichen Einsatzes von Seminarleitern, aber auch durch verbesserte Techniken und Hilfsmittel in der Ausbildung. Gerade das viel umstrittene E-Gerät hat die Hundeausbildung tiergerechter, humaner und effektiver gemacht. Der Gebrauch des E-Gerätes wird aus reiner Dummheit, Populismus und Opportunismus tabuisiert. Heute ist sogar wissenschaftlich erwiesen, was wir Empiriker schon lange wissen, dass das E-Gerät bei sachgerechter Anwendung/in entsprechenden Situationen das mildeste unter den möglichen Mitteln ist und den größten Lerneffekt beinhaltet. Politiker verweigern seit zehn Jahren hartnäckig diesbezüglich ihre Hausaufgaben zu machen; wenn man dieses Thema rational angeht, gewinnt man nicht gerade Wählerstimmen und Popularität.

Dr. Udo Gansloßer: Hierzu hat Kollege Thomas Baumann sich schon ausführlich genug geäußert, ich schließe mich dem voll an. Um aber auch noch einen preußischen König zu zitieren: „Man kann mit Bajonetten vieles tun, nur nicht darauf sitzen“. Und Gleiches gilt für Stromstoßgeräte und Stachelhalsbänder: Man kann darauf KEINE solide, dauerhafte Beziehung aufbauen

Es müssen personelle und strukturelle Voraussetzungen für eine wesentlich stärker fachlich konzipierte und kontrollierte Ausbildung geschaffen bzw. gewährleistet werden, das geht nur über Aufklärung und Wissensvermittlung. Wie sagte so schön der Alte Fritz (Friedrich II, König von Preußen): „Wenige Menschen denken und doch wollen alle entscheiden!“ Dieses Thema ist ein rein emotionales. Mit Objektivität hat das nichts zu tun. Gleiches gilt für den Gebrauch von Stachelhalsbändern. Ein Hilfsmittel ist immer (nur) so gut wie der, der es anwendet. Sie kennen sicher die Geschichte mit dem Unterschied des Skalpells in der Hand des Schimpansen und des Chirurgen!

SitzPlatzFuss: Ist Schutzhundesport aus ethischer Perspektive noch zu rechtfertigen (Kulturgut auf der einen, mittel zum Zweck auf der anderen Seite)?

Dr. Helmut Raiser: Natürlich. Die Sache ist ganz einfach und ist mithilfe einer einfachen Kausalkette erklärt. Wir bilden Hunde aus und trainieren sie, um sie dann auf Prüfungen zu sichten, sie darauf hin zu selektieren, sie der Zucht zuzuführen, um am Ende den Gebrauchshund als Kulturgut zu erhalten.

Dr. Udo Gansloßer: Das ist höchst bedenklich. Erstens wir der Hund hier eindeutig instrumentalisiert und zweitens hinkt die Ansicht mit dem sog. Kulturgut: Mit dieser Begründung rechtfertigen doch auch die Spanier die Stierkämpfe und die Engländer die Fuchsjagd mit Hunden und Reitern hinter dem lebenden Fuchs. Ich glaube nicht, dass irgendjemand der einen Hund als Sozialpartner schätzt ,sich dieser Diktion anschließen wird!!

SitzPlatzFuss: Was ist unter „Pressing im Schutzdienst“ zu verstehen?

Dr. Helmut Raiser: Unter „Pressing“ versteht man die Bündelung der Triebenergien.

Dr. Udo Gansloßer: Die es eben allgemein gesagt nicht gibt, zumindest nicht in dieser Form.

Trainiert wird also eine Triebbeständigkeit.

SitzPlatzFuss: Welche „Triebenergien“ gibt es Ihrer Definition nach?

Dr. Helmut Raiser: Wir sprechen in diesem Fall von „trieblichen Funktionsbereichen“. Da wären Hunger (Beuteverhalten), Liebe (Sexualverhalten)

Dr. Udo Gansloßer: Hunger ist biologisch was Anderes als Beutefangverhalten. Und allein die Beutefanghandlung eines Wolfes, von dem ja der Hund abstammt, besteht aus mind. 7 verschiedenen Bestandteilen, jeder mit unterschiedlichem Verhältnis von innerer Handlungsbereitschaft zu äußerer Stimulusstärke, Taxis, Appetenzverhalten etc… Liebe und Sexualität sind gerade bei Hunden auch ganz verschiedene Baustellen!

, Flucht (Meideverhalten, adaptives Verhalten)

JEDES Verhalten das nicht pathologisch ist ist/war adaptiv….

und Aggression (Aggressionsverhalten).

Dr. Udo Gansloßer: Aggression hat MINDESTENS 3 ganz verschiedene Bereiche: Selbstschutz, elterlicher Schutz, Wettbewerb, und bei letzterem nochmal mind. 3 – 4 verschiedene Hormon- und neurobiologische Systeme.

SitzPlatzFuss: Was genau bedeutet das für die Ausbildung?

Dr. Helmut Raiser: Ausbildung ist in erster Linie Konfliktmanagement. Ich habe einen Konflikt der folgendermaßen aussieht: Der Hund will sein Triebziel, der Hundeführer will Prüfungspunkte. Im Konflikt kann es nun entweder dazu kommen, dass der Hund adaptiert, sich also anpasst, oder aber, dass er sich durchsetzen will. Intelligente Ausbildung entwickelt die Persönlichkeit des Hundes und durch kluges Gestalten von Lernprozessen

Dr. Udo Gansoßer: Genau darauf kommt es an. Und das gilt eben, was Thomas Baumann sagte, leider nicht nur für die Starkzwanghilfsmittel, sondern diese gesamte Form der Beschäftigung: Es gibt eben viel mehr Schimpanses als Chirurgen. Und wenn man dann noch bedenkt dass, wie mehrfach dargelegt, kein Hund den Schutzdienst als verhaltensgerechte Auslastung BRAUCHT, sollte man eben lieber den paar Chirurgen andere Beschäftigungen mit dem Hund an die Hand geben als den Schimpanses das Skalpell zu lassen…

kommt es zur Übereinstimmung von Hunde- und Hundeführerinteressen. Ein gelungenes Ausbildungsergebnis zeigt die ganze Triebstärke eines Hundes in perfekter Technik und das bei vollkommener Koordination/Harmonie zwischen Hund und Hundeführer. Wer das mit seinem Hund erreicht hat, weiß wie schön das für beide ist.

Dr. Udo Gansloßer: Dann können Sie auch Dogdance oder anderes Trickdogging machen. Wobei ich nicht bestreite daß man auch das nicht nur hunde- und verhaltensgerecht machen kann…aber da ist die Harmonie und Ästhetik noch viel größer….

Wer das mit seinem Hund erreicht hat, weiß wie schön das für beide ist.

Teile diesen Beitrag

14 Gedanken zu „Stellungnahmen zum Thema Schutzhundesport

  • 23. August 2012 um 15:04
    Permalink

    Vielleicht sollte man die Begriffe Trieb, Instinkt- und Appetenzverhalten und andere Verhaltensweisen zunächst mal eindeutig definieren. Wenn z. B. Instinkt eine angeborene Verhaltenskette/weise darstellt (laienhaft ausgedrückt), ist dann Trieb nicht einfach eine andere Bezeichnung dafür? Kann nicht auch ein Instinkt von äußeren Einflüssen ausgelöst werden?

    Die Aussagen Dr. Ganßlosers, Schutzdienst sei nicht mehr zeitgemäß bzw. bedenklich kann ich persönlich nicht teilen. Agility und andere Modesportarten sind keinesfalls tiergerechter bezüglich Verletzungsgefahr, Verschleiß der Gelenke und auch der Ausbildungsmethoden.

    Wenn wir alles ausschließlich aus verhaltensbiologischer Sicht betrachten würden, dürften wir wohl keine Sportarten mehr mit dem Hund ausüben und müssten auf ausgebildete Diensthunde komplett verzichten. Wer ist heute noch in der Lage, einem Hund, ein ursprüngliches, an verhaltensbiologischen Beobachtungen von Wildhunden etc. orientiertes Umfeld zu bieten?

  • 21. August 2012 um 06:47
    Permalink

    Hallo zusammen,
    auf Ihre Weise haben Helmut und Gansloser Recht. Eine Änderung und Berechtigung kann es nur dann geben, wenn die Hundeführer, die sich so einen Hund anschaffen, genau so selektioniert werden, wie die Hunde, die sie sich für ihre Ziele anschaffen. Also, wenn der Hundesportler mental nicht den Fähigkeiten des Hundes entspricht und noch besser ist, seinen Arsch keine 100 Meter weit im Laufschritt bewegen kann und trotzdem einen solche Hund zu führen versucht, ist eine grosse Gefahr für die Öffentlichkeit. Herr Gansloser hat in seinen Anmerkungen betreffend Sozialverhalten Recht, denn die meisten Sporthunde sind nicht sozial! Auf dem Hundeplatz Top und im sozialen Bereich gefährlich, weil es vielleicht 10% intelligente Schutzhundeführer gibt und der Rest sich im Schimpansenbereich wiederfindet. Das Herunterspielen der Starkzwangmethoden bringt nichts mehr – die sind immer da, wo es Punkte gibt und schlechte Hundeführer. Es wird heute immer noch so gearbeitet – einfach versteckter und von der Öffentlichkeit ausgeschlossener.

    Ich glaube, wenn die Schutzhundeführer/innen nach den oben genannten Kriterien extern geprüft werden, so hätte der Schutzhundesport eine Chance auf Kultur. Die Biertischhundler machen Agility um auf ihre Fitness zu kommen und so hätte es wieder genug gute Hunde.

    Nachdenkliche Grüsse
    Hans Schlegel

    • 25. August 2012 um 20:53
      Permalink

      Genau so issis. Allerdings würde es unangemessen lange dauern (wenn eine ernstzunehmende Verbesserung überhaupt möglich ist), bis aus den 90 Prozent Schimpansen „intelligente Schutzhundeführer“ geworden sind. Also nicht nur keine Chance auf Kultur, auch die Gefährlichkeit im „sozialen Bereich“ ist inakzeptabel. Es bleibt nicht ein sinnvolles Argument übrig – den Schutzhund in Laienhand darf es (schon lange) nicht mehr geben! Um es flapsig zu formulieren: Männer mit angemessen kalibrierten Geschlechtsteilen brauchen keinen Schutzhund; und die anderen dürfen definitiv keinen haben!

Schreibe einen Kommentar