Das Bookazin

Hunde sind vielfältig, faszinierend und individuell, genau wie die Themen und Geschichten, die durch sie und mit ihnen entstehen. SitzPlatzFuss berichtet sachlich und wissenschaftlich versiert über alle Themen rund um den Hund und vergisst dabei nicht, was Hunde für ihre Menschen auf emotionaler Ebene bedeuten.

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20 Gedanken zu „Das Bookazin

  • 22. März 2011 um 10:01
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    Muß unbedingt gepostet werden!
    Aus „Die Beschreibung eines Praktikums bei dem Wolfsverhaltensforscher Werner Freund und seinen Wölfen“ von Johanna Esser:
    „Die jungen Wölfe zeigten von Anfang an sehr starken Rudelzusammenhalt. Es war beispielsweise nicht möglich, mit nur einem Wolf spazieren zu gehen bzw. einen einzelnen Wolf vom Rudel zu trennen. Auch in fremder Umgebung schlossen sich die Wölfe sofort zum Rudel zusammen, beobachteten und warteten gemeinsam ab.
    Ganz anders verhielten sich die Hundewelpen. Es war kein Problem mit nur einem Hund
    spazieren zu gehen oder einen Welpen vom Rudel zu trennen. In fremder Umgebung verhielten sich die Welpen wesentlich unbedarfter als die jungen Wölfe, zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen im Gehege, schnüffelten überall herum, knabberten alle möglichen Gegenstände an und zeigten keinerlei Misstrauen der neuen Umgebung gegenüber.
    Der Wolf passt sich mit seinem Verhalten auf diesem Wege optimal an die Anforderungen eines Wildtieres an. Der Hund hingegen muss ganz andere Verhaltensweisen und Eigenschaften entwickeln um mit seiner heutigen Umwelt klarzukommen! Beide, Hunde sowie Wölfe, passen sich den notwendigen Gegebenheiten perfekt an“.

    Das wirft einen Schatten auf Köppels Rudelkonzept – interessant!!!

  • 20. März 2011 um 17:52
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    In Heft 1 hat Uli Köppel auf Seite 54 geschrieben. „Wenn es immer so leicht wäre“. Ich kannte ihn vorher nicht. Aber was er schrieb weckte mein Interesse und ich besorgte mir sein Buch „Hunde erziehen mit dem Rudelkonzept“. Ich hab´s gelesen. Ein gutes Buch, ein wichtiges Buch. Köppel schreibt amüsant, verständlich und er weiß wovon er redet. Ich wünsche diesem Buch viele Leser, insbesondere Leser, die erst einmal nur den Wunsch und die Absicht haben, ihr Leben mit einem Hund zu leben. Aber auch mit hat das Buch etwas gebracht, hab natürlich wieder dazugelernt, ein wichtiges, gutes Buch (ich wiederhole mich).

    In Köppels Buch kommt das Wort „artgerecht“ sehr oft vor. Und ich weiß natürlich, was er damit meint. Es gibt ein kurzes Kapitel über die „artgerechte Disziplinierung“, und weil mich dieser zusammengesetzte Begriff etwas zappelig macht, will ich erklären warum.

    Wenn ich den Durchschnittshundehalter von „artgerecht“ reden höre, dann weiß ich, was er damit meint: „Die Wildnis, Lumpi und ich“. Artgerecht ist zum Zeitgeist verkommen. Mit artgerecht verbindet der Halter das Treiben unter Wölfen; sein Hund der Hauswolf. Und ich sehe ihn förmlich vor mir, wie er tagtäglich unterm Couchtisch mit seinem Cockerwelpen die wüstesten Beißereien anzettelt – wegen der artgerechten Erziehung. Nach den Jahren der immer neuen, immer softeren, immer unsinnigeren Hundeerziehungsmethoden und dem pilzartigen Aus-dem-Boden-Schießen immer neuer Hundeschulen (wobei nach meinem Erleben von zehn Hundeschulen sieben belanglos schlecht, zwei katastrophal bis kriminell sind, und vielleicht eine akzeptable übrigbleibt), schlägt nun das Pendel zur anderen Seite aus: Artgerecht muß alles sein, der Natur der Wölfe abgeschaut. Ein notwendiger Ausschlag, wie ich finde, aber auch nicht ganz unproblematisch.

    Warum mich dieses vom Wolf abgeschaute „Artgerechte“ skeptisch macht, möchte ich mit ein paar Zitaten aus Erik Zimens Standardwerk „Der Hund“ verdeutlichen. Denn für mich sollte der Umgang mit Hunden schlicht „hundegerecht“ sein. Zimen schreibt:

    „Hinzu kommt, daß Hunde nicht der sozialen Norm des Wolfes entsprechen. Wie alle sozial höher entwickelten Tiere reagieren auch Wölfe tendentiell aggressiv auf alles, was in ihren Reihen auffält, sich nicht „normal“, d.h. wie alle anderen Artgenossen verhält …“.
    „Umgekehrt fand ich … nur eine einzige neue Verhaltensweise, eine, die nicht einmal im Ansatz bei den Wölfen zu beobachten war … Ich nannte sie „Lachen“, weil sie dem Lächeln oder auch dem Lachen beim Menschen so ähnlich sieht … Es zeigt, zu welcher Anpassungsleistung an uns Menschen und an unsere Umgangsformen der Hund bei allem Festhalten an sein wölfisches Erbe fähig ist.“.
    „Dementsprechend sind auch im eigentlichen Sozialverhalten wesentliche Veränderungen eingetreten. Wie beim Ausdrucksverhalten ist auch hier Übereinstimmung zwischen Wolf und Hund eher in den einfachen … Verhaltensweisen zu erkennen, während die differenzierten meist nur in einer … abgeflachten Form oder gar nicht mehr auftreten.“.
    „Er (der Hund) lebt nicht nur in einer ganz anderen Umwelt als sein Stammvater, sondern er ist auch nach den ersten Wochen bei der Mutter in der Regel in den sozialen Verband einer ihm fremden Art integriert, zu der er eine sehr enge soziale Bindung eingeht.“.
    „Alle Verhaltensweisen aber, die im Zusammenleben mit dem Menschen weitgehend überflüssig geworden sind, wie der Nahrungserwerb, … die soziale Organisation in der ehemaligen Jagd- und Lebensgemeinschaft des Wolfsrudels, haben an Bedeutung verloren …“.
    „Kein Verhalten des Hundes ist wohl auffälliger als das seiner doppelten Identität, seine Tendenz, sich nicht nur an Artgenossen, sondern auch, ja in erster Linie sogar, an eine fremde Art, den Menschen, sozial zu binden.“.

    So, das soll´s gewesen sein, Ende der Zitiererei. Was ich sagen will ist folgendes: Diese neue Richtung der Hundeerziehung, die auf Artgerechtigkeit fußt und versucht uns einzubläuen, man müsse nur Wolfsverhalten eins zu eins auf den Umgang mit Hunden anwenden, ist äußerst fragwürdig. Hunde sind doch nicht blöd! Mein Hund weiß doch, daß ich kein Wolf bin! Er weiß doch, daß wir nicht gemeinsam jagen gehen! Ob ich im wolfsgrauen Tarnanzug mit geschwärztem Gesicht zum Ärger des Försters mit Lumpi durchs Unterholz des Stadtparks breche, um dann den vorher versteckten Futterbeutel zu erlegen, oder ob ich im Nadelstreifenanzug in meiner Mittagspause im Vorgarten des Bundeskanzleramtes ausgelassen mit meinem Hund mit dem Naturkautschukkong Such-, Apportier- und Hetzspiele mache, ist dem Hund vollkommen wurscht. Und wenn ich ihn auf Handzeichen und Trillerpfiff konditioniere, dann kapiert er recht schnell, was gemeint ist, und kooperiert begeistert. Und das soll dann nicht artgerecht sein, weil Wölfe weder Handzeichen geben noch pfeifen?

    Das Thema der „artgerechte Disziplinierung“ liegt mir besonders am Herzen, weil es mir auf den Magen schlägt. Da hat sich der ahnungslose Nachbar also einen Welpen geholt. Und vorher ein oder zwei Hundeerziehungsratgeber überflogen. Der Welpe muß vom ersten Tag an erzogen werden, liest er da, und dann noch was vom Disziplinieren, dem Nackenschütteln, denn das wäre total artgerecht. Der Nachbar freut sich: So einfach ist also Hundeerziehung, Klasse. Und jetzt passiert, was oft, viel zu oft, ich würde fast sagen meistens passiert: Der Welpe wird nicht erzogen, da wird kein Vertrauen aufgebaut, keine Bindung geschaffen, kein Regelwerk rübergebracht, nö, geschüttelt wird auf Teufel komm raus! Sie meinen, ich übertreibe? Von wegen! Vor gut zwei Jahren, als unsere Merle noch im Bauch der Mutterhündin heranwuchs, testeten meine Frau und ich die Hundeschulen der Gegend, wir meldeten uns als Zaungäste an und verfolgten den Ablauf einer Welpenstunde. Was wir an Dilettantismus der selbsternannten Trainer(innen), an destruktivem Unfug und an geradezu verbrecherischer Vergeudung der Prägezeit (und die läßt sich nicht nachholen!) geboten bekamen, hat uns sehr betroffen gemacht! Und artgerecht diszipliniert wurde natürlich! Gerieten sich mal zwei Welpen beim Spiel etwas ins Fell (die normalste Sache der Welt), dann stürzte sich die Trainerin dazwischen, derber Griff ins Nackenfell, auf die Seite werfen, festhalten, unterwerfen. Es geht hier nicht um Ausnahmeerscheinungen, nein, nein! In unserer Welpenstunde, die wir nach einer mittleren Odyssee doch noch fanden, wurden die Halten eingenordet, sich um ihren Welpen selbst und verantwortlich zu kümmern. Das bedeutete, im oben beschriebenen Fall ging das Herrchen des Rüpels unaufgeregt dazwischen, indem er die kleinen Streithähne sanft aber bestimmt auseinanderschob. Reichte das nicht aus, kam Rüpelchen an die Leine und durfte zum Abkühlen fünf Minuten am Rande des Geschehens spazierengehen. Die Erfahrung, wenn Du stänkerst ist Schluß mit Spielen, wurde gemacht und zeigte bald Wirkung.

    Was Uli Köppel mir im Buch etwas schuldig bleibt, ist die Antwort auf die Frage: Wann muß denn überhaupt ein Welpe diszipliniert werden? Wenn er auf´s Telefonkabel zusteuert um die Verbindung zu kappen, dann würde doch ein scharfes NEIN oder schon ein In-die-Hände-Klatschen völlig ausreichen. In solchen Fällen muß ich doch nicht großartig disziplinieren. Und wenn er im Spiel mit mir die spitzen Zähnchen zu fest einsetzt, dann genügt ein schrilles Aufjaulen meinerseits, um die Beißhemmung bzw. den angemessenen Umgang mit Menschenhaut einzuüben. Da muß ich doch nicht schütteln. Ich persönlich habe noch nie, weder in TV-Dokumentationen über Wölfe noch in den vielen Videos über Hundewelpen und dem mütterlichen Umgang, gesehen, daß geschüttelt wird. Was ich gesehen hab sind überwiegend knurrende Scheinangriffe und in seltenen Fällen ein kurzes Festhalten bzw. kurzes Niederdrücken des Welpen mit dem mütterlichen Fang. Aber selbst wenn ich mich irre und dieses Schütteln doch vorkommt, dann werden diese Disziplinierungen von den Tieren instinktsicher, weil über Jahrhunderttausende von der Evolution auf die innere Festplatte kopiert, genau im richtigen Moment, mit der richtigen Intensität ausgeführt. Ich weiß nicht, wieviele Hundehalter zu dieser Instinktsicherheit eines natürlichen Eingreifens befähigt sind, wenige vermutlich. Ich denke einfach, daß man mit heftigen Disziplinierungen (wie Nackenschütteln, Schnauzengriff, Alphawurf), sehr schnell großen Schaden anrichten kann. Diese Maßnahmen sollten erfahrenen Hundehaltern oder Trainern vorbehalten sein (wenn überhaupt) und nicht dem ohnehin meistens nervlich strapazierten und überforderten Ersthundbesitzer geradezu leichtfertig empfohlen werden, denn weder Timing noch Dosierung und schon gar keine Emotionslosigkeit werden hier wie erforderlich zur Anwendung kommen.

    Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, daß in den rezeptfreien Ratgeberbüchern auf das Propagieren der angeblich so artgerechten Disziplinierung verzichtet würde. Ein hundegerechter Umgang mit Lumpi reicht völlig aus!

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