Verfolgen Wölfe die Blicke von Menschen und Hunden?

WSCVon Marleen Hentrup, Charles Gent und Zsófia Virányi

Seit mehr als 10 000 Jahren leben und wachsen Hunde in Gemeinschaft mit Menschen auf. Wie in unserem vorherigen Artikel kurz besprochen, gibt es viele verschiedene wissenschaftliche Theorien, wie Hunde sich im Vergleich zu Wölfen im Zuge der Domestikation verändert haben. In welcher Weise haben Hunde sich angepasst, unter uns zu leben, mit uns zu kooperieren und mit uns zu arbeiten?

Die Wissenschaft wird geboren: tägliche Beobachtungen

Vor einem Jahrzehnt haben Wissenschaftler an der Loránd-Eötvös-Universität (oder Eötvös Loránd University) in Budapest, unter ihnen auch Dr. Zsófia Virányi, im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie Wolfswelpen zu Hause aufgezogen. Ab dem Alter von einer Woche lebten die kleinen Wolfswelpen bei den Wissenschaftlern zu Hause. Die Welpen wurden anfangs mit der Flasche und später mit der Hand gefüttert, ihre Menschen teilten das Bett mit ihnen, fuhren mit ihnen zur Arbeit und in Urlaub. Die jungen Wölfe hatten daher eine sehr enge Beziehung zu ihren Menschen. Trotzdem, wenn sie ein Problem hatten, das sie selbst nicht lösen konnten, wie beispielsweise auf das Bett zu klettern oder an etwas heranzukommen, was sich außerhalb ihrer Reichweite befand, rackerten sie sich allein ab und suchten nur in Ausnahmefällen Hilfe beim Menschen. Es stellte sich heraus, dass die Wolfswelpen sehr viel seltener Signale des Menschen nutzen konnten als die unter denselben Bedingungen aufgezogenen Hundewelpen der Vergleichsgruppe.

Hunde schauen öfter auf den Menschen als Wölfe

Diese Beobachtungen veranlassten die Wissenschaftler, das Phänomen bei gleich sozialisierten Hunden und Wölfen systematisch in einer wissenschaftlichen Studie zu erforschen. Sie testeten die handaufgezogenen Hunde und Wölfe in den verschiedensten Situationen: Zum Beispiel ob das Tier Hilfe bei seinen menschlichen Ersatzeltern suchten, wenn es ein Stück Fleisch in einem geschlossenen Käfig nicht erreichen konnte, den zwar der Mensch, aber nicht der Wolf öffnen konnte; wenn es einen mit Futter gefüllten Behälter nicht öffnen konnte oder wenn der Experimentator den Namen eines Tieres rief und gleichzeitig in die Hände klatschte, um ihm zu zeigen, wo das Futter versteckt war. All diese Testsituationen konnten bestätigen, dass die Gruppe der Hunde mehr Bereitschaft zeigte, auf den Menschen zu schauen, als die Wölfe. Der Hund ist scheinbar sehr gut darin, speziell menschlichen Signalen Aufmerksamkeit zu schenken.

Eine der wissenschaftlichen Theorien über den Effekt der Domestikation besagt, dass eine Selektion bei Hunden stattgefunden hat, die bewirkt hat, dass Hunde schneller und länger bereit sind, menschliches Verhalten zu beobachten, als der typische Wolf. Auf dieser Grundlage haben Hunde ein größeres Potenzial entwickelt, mit dem Menschen zu kommunizieren und zu kooperieren. Um es anschaulich zu sagen: Weil Hunde uns beobachten, können sie unsere Signale und Verhaltensweisen besser lesen und somit harmonischer mit uns interagieren.

Der Blick anderer als Informationsquelle

Ein einfaches Beispiel für eine solche Verhaltensweise ist die Blickrichtung eines Individuums. Wenn wir eine andere Person aufmerksam beobachten, werden wir unschwer feststellen können, wohin diese schaut. Das kann hilfreich sein, um herauszufinden, was diese Person anschließend machen wird, ob sie vielleicht beginnt, sich in eine Richtung zu bewegen oder die Hand nach einem Objekt auszustrecken, das sie gerade eben angeblickt hat. Alternativ informiert uns der Blick einer Person über Wichtiges oder Interessantes, das die Aufmerksamkeit einer anderen Person auf sich gezogen hat, etwa dass ein Bekannter auf uns zukommt oder ein Auto gefährlich schnell auf uns zufährt. Wir erkennen viele Ereignisse in unserer Umgebung nicht immer selbst, sondern die Blickrichtung einer anderen Person bedeutet eine zusätzliche wichtige Informationsquelle. Dasselbe gilt auch für viele sozial in Gruppen lebenden Tiere. Demzufolge galt eine der ersten Studien, die wir am Wolfsforschungszentrum durchgeführt haben, der Fragestellung, ob auch Wölfe den Blicken von Menschen und Hunden folgen.

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