Individuelle Beziehungen zwischen Hunden, Pferden und ihren Menschen

+++ LESEPROBE +++

Ein Blick über den Tellerrand – von Katharina Möller

Reitlehrerin und Pferdetrainerin Katharina Möller hat sich Gedanken über ihre persönliche Beziehung zu ihren Tieren gemacht und beleuchtet Zusammenhänge zwischen Beziehung und Ausbildung.

 

Als ich elf Jahre alt, bereits begeisterte Pferdeliebhaberin und ambitionierte Reiterin war, las ich im Buch eines damals sehr populären „Pferdeflüsterers“ die These, dass wir Menschen die uns körperlich haushoch überlegenen Pferde nur deswegen reiten könnten, weil sie es gewohnt wären, mit ihren Sozialpartnern in hierarchischen Strukturen zu leben und die „Leitstute“ Tempo und Richtung vorgibt. Als Reiter würde man die Position der Leitstute einnehmen und damit in deren Rolle über das Pferd verfügen dürfen. Mir erschien das so logisch, wie es heute in der Pferdewelt immer noch sehr vielen Menschen nachvollziehbar erscheint und in verschiedenen Reitlehren als Kernthese, wenn nicht gar als eine Art „Naturgesetz“ betrachtet wird, der Mensch müsste sich als „ranghöher“ erweisen und das Pferd „dominieren“, um es reiten zu können.

Die Sache ist nur die: Wie Sie als Leser dieses Magazins sicher längst wissen, gibt es keine Rangbeziehung zwischen artfremden Individuen. Mein Pferd zählt mich zweifelsfrei nicht zu seinesgleichen, womit es auch keinerlei „natürliche“ Dominanz von Menschen über Pferde geben kann. Mensch bleibt Mensch und Pferd bleibt Pferd.

Wieso aber lassen sich Pferde denn nun überhaupt von uns reiten? Die Antwort, die für mich als Kind schon auf der Hand lag, konnte zu meiner eigenen Verblüffung bis heute nicht widerlegt werden, sosehr ich mich auch weitergebildet habe: Wir können Pferde deswegen reiten, weil es einfach sehr nette Tiere sind. Oder in erwachsenen Worten: Wir können Pferde reiten, weil sie seit Jahrtausenden domestiziert sind und dabei auf Zahmheit und zunehmend auf „Nutzbarkeit“ selektiert wurden. Unsere deutschen Reitpferde beispielsweise durchlaufen seit vielen Jahren und bis heute ein ausgeklügeltes System, damit sich herausfinden lässt, wie es um ihre sogenannte Rittigkeit bestellt ist, bevor sie sich weitervermehren. Junge Reitpferde werden also neben der Körung außerdem in Veranlagungsprüfung, Sportprüfung, Hengstleistungstest und Turniersportprüfung in einem mehrstufigen System in teilweise mehrmonatigen Tests dahingehend selektiert, wie gut sie sich reiten lassen.

Ein Teilbereich innerhalb jeder Teststufe ist der sogenannte Fremdreitertest: Nach dem Aufwärmen durch den bekannten Reiter wird für einige Minuten ein fremder Reiter in den Sattel gesetzt, der ad hoc die Rittigkeit des Pferde beurteilt und damit erheblich die Gesamtnote und damit die weitere Verwendung in der Zucht beeinflusst. Zwischen diesem Reiter und dem Pferd besteht bis dato überhaupt keine Beziehung und mit Sicherheit haben diese beiden vorab kein „Dominanztraining“ absolviert oder ihre Rangordnung ausdiskutiert. Wieso funktioniert das also und welche Pferde schneiden hierbei gut ab? Einen großen Anteil am Erfolg bei diesem Test hat die vorangegangene Ausbildung des Pferdes. Es ist darauf trainiert worden, die erforderlichen Leistungen zu erbringen, und dazu gehört nicht nur, dass es eine bestimmte Höhe überspringt, sondern dass es das auch in fremder Umgebung, unter einem fremden Reiter, auf Abruf tut. Mit Beziehung hat das nichts zu tun! Den zweiten großen Anteil am Erfolg hat tatsächlich die erblich bedingte Rittigkeit. Man züchtet Pferde gezielt danach, dass sie so etwas „mit sich machen lassen“, verschiedenste Widrigkeiten tolerieren und die reiterlichen Hilfen (Signale) so weit verinnerlichen, dass auch eine Fremdperson sie steuern kann. Nichts daran ist „natürlich“, und meiner persönlichen Meinung nach ist das für das noch sehr junge Individuum in diesem Moment eine Zumutung. Meinen eigenen Pferden erspare ich das, aber ich bin auch kein Züchter und agiere nicht in diesem System.

Stattdessen habe ich neulich ohne jede Vorkenntnis einen kurzen Ausflug in den Hundesport unternommen und habe (sozusagen als Fremdreiter) die sehr gut ausgebildete Border-Collie-Hündin Panda durch einen Agility-Parcours geführt. Es fühlte sich in etwa so an, als würde ein Führerscheinneuling Beulen in einen Ferrari fahren. Ich habe zu langsam gedacht, bin zu langsam gelaufen, konnte ihren „Wendekreis“ schlecht einschätzen und mir zudem ihre Signale für rechts, links und die Hindernisse nicht merken. Mit etwas Übung wurde ich natürlich besser, aber sobald die Linienführung komplexer wurde, habe ich die hoch motivierte Hündin einfach nur bei ihrer Arbeit gestört. Vorher hatten wir eigentlich keine Beziehung, jetzt hält sie mich wahrscheinlich für verrückt.

Da Sie mich ja nicht kennen, lassen Sie mich sagen: Ich bin keineswegs unsportlich und im Prinzip auch nicht blöd. In meinem eigenen Beruf beweise ich täglich Führungsqualitäten und schätze meine Persönlichkeit durchaus als geeignet ein, einen Hund zu führen. Panda und ich scheiterten mit Sicherheit nicht an einem Dominanzproblem, sondern mir fehlt schlicht die Ausbildung in speziell dieser Sportart.

An diesen beiden Beispielen sehen wir, dass Beziehung und Ausbildung zwei Paar Stiefel sind und mit Dominanz nichts zu tun haben.

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Individuelle Beziehungen

Lehnen wir Rangordnungsthese und Dominanztheorien ab und machen die Hierarchie nicht zum Kernpunkt der Beziehung zwischen uns und unserem Tier, worum dreht sie sich denn dann? Was bedeutet das für unser Zusammenleben zu Hause mit unseren individuellen Tieren?

Ich lebe derzeit neben meiner menschlichen Familie mit fünf eigenen Pferden, zwei Hunden sowie durchschnittlich fünf wechselnden Ausbildungspferden täglich zusammen und gebe zudem zahlreiche Kurse. Dabei lerne ich eine Vielzahl an Individuen kennen und kann sowohl über meine „internen“ Beziehungen als auch die von mir beobachteten nur eines sagen: Keine gleicht der anderen! Die Beziehung zwischen mir und meinem alten Hund ist eine völlig andere als die zu meinem jungen Hund. Auch zu meinen verschiedenen Pferden pflege ich mehr oder minder aktive, aber in jeder Hinsicht vielschichtige Beziehungen, die nicht in eine Schublade passen mögen.

Man könnte sagen, mit den Tieren läuft das wie im echten Leben: Befasse ich mich mit einem meiner Tiere eine Zeit lang besonders intensiv, füge ich unserer Beziehung (Ge-)Schichten hinzu und Bande werden immer stärker geknüpft. Dabei lerne ich jedes Mal Dinge über mein Tier und über mich selbst dazu, kann mich auf diese Weise persönlich weiterentwickeln und auf dieser Grundlage bei Bedarf gezielt Verhalten trainieren, worauf ich später zurückkommen möchte.

Ein Beziehungsmodell, das ich in groben Zügen einleuchtend finde, ist ein Familien-Modell, wobei man sich die Beziehung zu seinen Haustieren ähnlich vorstellt wie die zu kleinen Kindern. Man gibt ihnen Liebe und Geborgenheit, ist für ihre Versorgung zuständig und bringt ihnen bei, wie man sich in unserer Lebenswelt verhält. Über die Eltern-Kind-Beziehung im Speziellen jedoch kann man sich erschöpfend streiten – sieht man das partnerschaftlich oder hat Mutti eigentlich schon das Sagen? Wie viel Diskussion ist erlaubt, und überhaupt: Zu meinem Sohn stehe ich doch noch mal ganz anders als zu meinen Tieren.

Sehe ich einen Jäger mit einem Schweißhund arbeiten, ist das in meinen Augen ein ziemlich ausgeglichenes Kollegenverhältnis. Einer hat die Nase, der andere die Waffe. Gebe ich mit einem meiner Lehrpferde Reitunterricht, kann ich den Reitschüler anweisen, was und warum er etwas machen oder lassen soll – ich habe die Reitlehre im Kopf und organisiere die Übungssituation, aber wie seine Bemühungen wirken, also das eigentliche Reiten, lernt der Schüler von meinem wichtigsten Mitarbeiter, dem Pferd. Hütet ein Schäfer mit seinen Hunden eine Schafherde, plant der Mensch, warum und wo die Herde hinsoll. Wie die Hunde diese Schafe daraufhin in Bewegung bekommen, müssen sie selbst abstimmen. Im Idealfall tut jeder das, was er gut kann.

Dieses individuelle Beziehungsgeflecht ist ein typisches Phänomen in sozialen Gruppen. Es lässt sich nicht so einfach katalogisieren, denn selbst wenn man auf den ersten Blick jede Interaktion irgendwie hierarchisch zu deuten versucht, fallen dem offenen Geist auf den zweiten Blick sofort weitere Dimensionen beobachtbaren Verhaltens auf. Wenn wir unsere Tiere als Familienmitglieder mit einer eigenen Persönlichkeit, einer Seele und einer Geschichte sehen, dann erkennen wir mit jedem Jahr mehr Details, ihre Zusammenhänge und Hintergründe.

Da ich selbst gemerkt habe, dass es mir als Pferdemensch leichter fällt, neue oder konträre Thesen eher im Hundebereich zu durchdenken (weil mir dort nicht ganz so viel vorgefasste Meinung im Wege steht), bleiben wir für Sie als Hundemensch noch kurz im Pferdebereich und betrachten die Gruppe meiner Pferde: Ich habe wie gesagt fünf eigene Pferde, die in einer konstanten Gruppenhaltung in einer weitläufigen Offenstallanlage zusammenleben. Diese Gruppe habe ich mehr oder weniger willkürlich gebildet, indem ich nach und nach Pferde gekauft habe. Es handelt sich nicht um eine natürlich gewachsene Herde. Auch haben wir trotz aller Bemühungen um eine artgerechte Haltung und Fütterung in unserer zivilisierten Lebenswelt keineswegs ein natürliches Umfeld. Stellen wir uns vor, die Gruppe lungert an der Heuraufe herum. Dobllino frisst gerade, als Linus ihm zu nahe kommt und Dobllino ihn mit angelegten Ohren und einem durchaus ernst gemeinten Anheben des Hinterhufs bedroht, woraufhin Linus unverzüglich, aber ohne nennenswerte Anspannung einen Schritt zur Seite tritt und den Abstand zu Dobllino ganz gelassen wiederherstellt. „Dobllino ist ranghöher!“, höre ich den Dominanztheoretiker rufen. Nun sage ich Ihnen aber: Dobllino ist ein 400 kg leichtes, kastriertes Reitpony mit diversen Ängsten und ohne beobachtbare Führungsambitionen, während Linus ein 600 kg schwerer, kraftstrotzender Knabstrupper Hengst in der Blüte seiner Jahre ist, dem die Heuraufe allein gehören könnte, wenn er seine körperliche Überlegenheit ausspielen würde. Er tut es aber nicht.

Dobllino ist futterneidisch, schon seit ich ihn kenne. Ihm ist das Fressen sehr wichtig, sodass er sogar der Erste bei der Kraftfuttervergabe ist. Dahinter stecken individuelle Erfahrungen aus der Aufzucht und körperliche Schwierigkeiten in Form von Magengeschwüren. Dagegen ist es Linus herzlich egal, ob er einen Meter weiter weg am Heu steht oder beim Kraftfutter zeitlich nach Dobllino frisst. Erscheint dagegen eine neue Stute auf unserer Reitanlage, steht Linus in der allerersten Reihe am Zaun und der Rest der Gruppe hält sich deutlich zurück. „Aha, weil Linus auch der Hengst ist, der Leithengst, nicht wahr?“ Auch das kann man so einfach nicht sagen. Denn erstens habe ich noch einen weiteren Hengst in meiner Gruppe (der sich über Stuten nun aber so gar nicht aufregen kann, er ist meist mit anderen Dingen beschäftigt), und zweitens ist die „Leitfigur“, wenn man denn eine suchen möchte, viel eher Taranis, ein Wallach. Ertönt beispielsweise eine Fehlzündung, die bei Pferden Fluchtverhalten auslösen könnte, werfen alle ihren Kopf hoch, machen dabei teilweise einen Satz – und schauen, wie Taranis reagiert. Bewertet dieser die Situation als unkritisch, senken alle den Kopf wieder und machen weiter wie zuvor. Startet Taranis, flieht die ganze Herde ans andere Ende der Anlage. Zu der Gelegenheit kommt häufig Nathan in Fahrt, denn der ist nicht ängstlich und sehr verspielt. Wenn einmal alle rennen, zettelt er bei der Gelegenheit gern eine Rauferei an. Wer dabei mit ihm spielt, ist ganz unterschiedlich, je nach Tagesform. Dobllino spielt gern Wegrennen (denn er ist auch der Schnellste und sehr wendig), während Linus mit Nathan auch schwer körperlich pöbelt, indem sie sich ansteigen und gegeneinander fallen lassen. Ximeno hat es überhaupt nicht mit dem Herumrennen (er hat Schwierigkeiten mit seinen Hufen), er kabbelt und kaspert dagegen gern im Stehen mit den Lippen, wahlweise mit Nathan oder auch mit Taranis. Letzterer spielt mit den anderen dagegen selten, und wenn, sieht das verdächtig nach Streiten aus.

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Die eigene Sicht der Dinge reflektieren

Mit diesen Beobachtungen könnte man ein Buch füllen und mit der Bewertung und den Hintergründen für beobachtbares Verhalten könnte man immer weiter in die Tiefe gehen. Meine eigene Meinung, meine Sicht auf die Pferde und unsere Beziehung fließen dabei selbstverständlich immer mit ein, auch wenn ich mich sehr bemühe, möglichst wenige Schubladen zu bedienen. Wirklich neutral sind wir nicht. Der eine sieht überall Hierarchien, der andere sieht als Erstes all die gesundheitlichen Probleme, der Dritte sieht nur, wie rosarot magisch der Augenblick ist. Ich würde mir wünschen, dass wir als Tierbesitzer und vor allem wir Trainer uns immer wieder bewusst machen, dass wir alle unsere eigene Brille aufhaben und dass man diese ab und zu mal wechseln kann. Wir müssen üben, zu beobachten und möglichst nicht sofort zu werten, und wir sollten dringend nicht von einem Individuum auf alle schließen! Außerdem kann durchaus morgen etwas anderes zu sehen sein als gestern.

Vermarktungstechnisch ist das ein Problem, denn dass jeder Tierbesitzer selbst jahrelang hinsehen, nachdenken und empathisch mitfühlen soll, lässt sich nicht in ein genormtes Trainingssystem packen und taugt nicht dazu, standardisierte Anleitungen und Ausrüstungsgegenstände zu verkaufen. Nach Gurus und Systemen mit genauer Wiederholungsrate und Zeitvorgabe sowie einfachen Fehler-Lösung-Anleitungen gieren wir Menschen deswegen, weil wir verrückt würden, wenn wir jeden Bereich unseres Lebens immer so komplex betrachten müssten, und das liegt wiederum einfach in unserer Natur. Deswegen halte ich es auf der anderen Seite für fatal, jede Beziehung immer weiter zu relativieren und sich dabei womöglich in der Esoterik zu verlieren. Ich möchte verstehen, wie unsere Beziehungen verflochten sind, und bin durchaus offen für spirituelle Dinge. Aber am Ende des Tages muss der Hund so rein praktisch eben schlicht und einfach auf Abruf ins Auto springen und soll daheim bitte nicht die Möbel zerkauen. Das Pferd soll bei der Hufbearbeitung die Füße stillhalten, meinen Reitschüler tragen und nicht zu den Stuten laufen. Das muss man den Tieren ganz einfach beibringen, denn das können sie nicht wissen, egal wie „wundervoll“ die Beziehung zum Besitzer ist oder nicht ist. Ob ein Hund in der Wohnung den Mülleimer leert und die Einzelteile im ganzen Zimmer zerstreut, ist nun mal keine Frage der Beziehung, sondern liegt in seiner Natur, unabhängig vom Besitzer. Passt sein evolutives Erbe nicht in unsere Lebenswelt, müssen wir mit ihm trainieren.

 

„Beziehungsprobleme“, die in der Praxis keine sind

Meinen Lebensunterhalt verdiene ich damit, Pferde auszubilden, und zwar oft solche, die bisher nicht so funktionieren, wie die Besitzer sich das vorstellen. Dabei gehe ich so vor, dass ich einerseits die Lebenswelt des Pferdes zu optimieren versuche. Sehr viel pferdischer Stress schwindet durch die Möglichkeit, permanent Heu fressen zu können, eine trockene, windgeschützte Liegefläche zu haben, nette Pferdekollegen und die Möglichkeit zu selbstbestimmter Bewegung in Paddock und Weide. Hier sehe ich große Parallelen zum sogenannten „Wohlfühlbudget“ aus dem EMRA™-Modell des englischen COAPE-Instituts, welches darlegt, welch großen Einfluss der alltägliche Stimmungszustand und erfüllte Grundbedürfnisse auf das Verhalten und die Möglichkeit zu lernen haben. Selbstverständlich haben beide Tierarten verschiedene Bedürfnisse und als Halter hat man bei Pferden und Hunden jeweils unterschiedliche Optionen, diese zu erfüllen. Aber es geht mir um die Herangehensweise, die meines Erachtens im Pferdebereich noch weitaus mehr Beachtung finden sollte. Mir als Pferdetrainerin hat die Fortbildung im Hundebereich sehr geholfen.

Findet man heraus, welche Verstärker (die durchaus aus der Umwelt kommen können) bestimmte Verhaltensweisen haben, kann man diese beeinflussen und somit langfristig an der Ursache von Problemen arbeiten, anstatt Symptome zu übertünchen. Viele davon haben mit der Beziehung zum Besitzer überhaupt nichts zu tun! Auch „Beziehungsprobleme“ zwischen Gruppenmitgliedern werden stark abgemildert, wenn alle satt sind und keine Notwenigkeit besteht, sich um Ressourcen zu streiten. Oft fehlt es auch einfach nur an Platz, um sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen.

 

Gedanken zum Training

Der nächste Schritt besteht dann darin, das Tier tatsächlich zu trainieren, also ihm erwünschtes Verhalten beizubringen oder unerwünschtes abzustellen. Methodisch gibt es dabei bekanntlich mannigfaltige Möglichkeiten, was wir zunächst wertfrei anerkennen und an dieser Stelle mit einem typischen Klischee aufräumen wollen: Viele Menschen denken, wer die Dominanz- und Rangordnungstheorie ablehnt, trainiert dann automatisch ausschließlich mit positiver Verstärkung, möglichst mit Clicker, und muss aus moralischen Gründen jeglichen „Druck“ ablehnen. Das mag trainingsphilosophisch naheliegend sein und wird in der Praxis sowohl im Hundebereich als auch im Pferdebereich tatsächlich von einigen Trainern so gelebt und voll glühender Leidenschaft verfochten. Es ist jedoch nicht der zwingende Schluss! Man kann prinzipiell auch aversiv trainieren und mit harten Sachen anstatt dem sprichwörtlichen Wattebausch werfen, nur ohne jedes „Fehlverhalten“ des Tieres mit seiner dominanten Ader zu erklären.

Verhaltensweisen ändern sich, je nachdem, ob sie für das Tier erfolgreich sind. Die Frage ist nur, was es als erfolgreich erlebt. Selbiges gilt auch für den Besitzer und Trainer des Tieres. Jeder arbeitet mit dem, was er kann und was ihn zu dem Ziel führt, das er anstrebt.

Im Pferdebereich kommt dazu, dass jegliche reiterliche Ausbildung ein gymnastischer Prozess ist. Um ein beliebiges Pferd zu einem Reitpferd auszubilden (und ich rede nicht nur von Olympiapferden, sondern vom Durchschnittsfreizeitpferd, das seine Besitzerin ins Gelände spazieren tragen soll), braucht es langwieriges Training auf Grundlage von Biomechanik und Sportphysiologie, das darüber bestimmt, ob das Pferd gesund alt wird oder womöglich wortwörtlich zugrunde geritten wird. Die Qualität dieses gymnastischen Prozesses ist schwierig zu bewerten, denn dass sich ein Pferd „brav reiten lässt“ heißt bei Weitem noch nicht, dass es dabei nicht binnen kürzester Zeit kaputt geht, weil es den Reiter unphysiologisch trägt.

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Trainingsmethoden können Beziehungen beeinflussen

Je nachdem, was und wie wir trainieren, wird die Beziehung zu unserem Tier beeinflusst. Aus der Gesundheitspsychologie weiß man, dass ambivalente (doppeldeutige) Beziehungen mit schädlichen Gesundheitsfolgen einhergehen, denn sie lösen auf physiologischer und psychologischer Ebene Stress aus (die Befunde reichen von kardiovaskulärer Stressreaktion bis zu einem höheren Depressionslevel). Interessanterweise sorgen ambivalente Beziehungen für höheren Stress als rein negative.

In der Praxis kommt es leider häufig vor, dass wir ambivalente Gefühle in unseren Tieren auslösen. Selbst wenn ich meinem Hund im passenden Moment beim Herankommen das Leckerli hinhalte, weil er sich so schön hat abrufen lassen, ihn dabei aber leider mittels falscher Körperhaltung bedrohe, weil ich mich für das folgende Anleinen über ihn beuge, dann stresst ihn das. Das erklärt auch, warum das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ so sehr die Beziehung vergiftet. Drückt ein Trainer abwechselnd auf den Clicker und das Teletaktgerät, kann man meines Erachtens schon von Folter reden.

In der Reiterei ist dieses Problem noch viel tief greifender und in letzter Konsequenz gerade den Menschen, die versuchen, rein positiv zu trainieren, oft zu wenig bewusst: Wenn dem Pferd vom Boden aus beispielsweise das Signal zum Angaloppieren beigebracht wurde und man möchte das nun in den Sattel übertragen, dann müsste der Reiter im Moment des Angaloppierens absolut perfekt im Schwerpunkt des Pferdes sitzen und perfekt im Takt mitschwingen, damit das Markern des ersten Galoppsprungs tatsächlich als positiv erlebt wird. Reitet der Reiter aber nicht perfekt (und wer tut das schon?), schränkt er die Pferdebewegung in dem Moment ein, wirkt also körperlich „bremsend“ und kann damit gerade bei jungen Pferden so sehr stören, dass das Pferd nicht angaloppieren kann, obwohl es im selben Moment aufgrund der vorangegangenen Konditionierung weiß, was es machen soll, und die Bestärkung erhalten möchte.

Was Tiere stresst, ist der Zwiespalt zwischen Können, Müssen und Wollen!

Deswegen muss sich jeder Tierbesitzer für ein Ausbildungskonzept entscheiden, hinter dem er stehen kann, und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch in der täglichen Praxis, damit es in unsere Beziehung passt. Das ist der Zwiespalt, in dem wir Menschen stecken. Was auf dem Papier so toll klingt und bei manchem Ausbilder scheinbar tolle Ergebnisse bringt – kann ich das technisch überhaupt? Bin ich bereit, das so zu lernen? Passt das, was ich bereit bin zu investieren, zu meinen Zielen, meinem Tier, meiner Lebenssituation?

Aus Sicht des professionellen Trainers kann ich Ihnen sagen: Es ist nicht nur unbefriedigend, sondern hinterlässt hochgradig verwirrte Tiere, wenn ein Besitzer „Methodenhopping“ betreibt und im Alltag nicht das übt und anwendet, was er im Unterricht gelernt hat. Vielleicht, weil es ihm zu anstrengend ist, oder vielleicht, weil er von Anfang an nicht ganz dahinterstand. Oder weil er immer wieder auf konträre Tipps anderer Besitzer hört.

Wie viel Training man überhaupt braucht, ist eine individuelle Entscheidung. Mein junger Hund zum Beispiel läuft nicht gerade mustergültig an der Leine und von Fußgehen im Sinne eines Hundesportlers hat er noch nie etwas gehört. Ich habe ihm das schlicht nicht beigebracht, denn zum einen muss er in unserem Alltag nicht angeleint werden (in den Freilauf, das Abrufen und das Anhalten auf Entfernung habe ich dagegen sehr viel investiert), zum anderen ist das legere „Fußgehen“ am Rad oder am Pferd, wobei er mit einigem Abstand neben mir hertrottet, für uns eh viel funktionaler. Daran muss sich also nichts ändern – ich darf es nur eben auch nicht von ihm verlangen! Nichts zerstört die Beziehung nachhaltiger, als wenn man vom Tier etwas verlangt, was man ihm nicht beigebracht hat. Stellen Sie sich vor, Sie sprechen kein Chinesisch. Ihr Vorgesetzter geht neben Ihnen her und sagt etwas auf Chinesisch zu Ihnen. Sie verstehen ihn nicht, können seiner Anweisung also nicht Folge leisten. Er wiederholt sie nun nachdrücklicher, beginnt an Ihrem Arm zu ziehen und schreit Sie schließlich an. Sie versuchen, sich pantomimisch zu verständigen, aber darauf reagiert er nicht, sondern schreit weiter auf Chinesisch …

 

Ausbildungsfragen sind niemals „Rangordnungsfragen“

Und hier schließt sich der Kreis. Denken wir wieder an die These, dass man Pferde reiten kann, sobald sie einen als Leitstute betrachten. Selbst wenn die Bildung einer artübergreifenden Rangordnung der Realität entspräche, müsste man dem Pferd das Gerittenwerden dennoch in seinen Einzelteilen beibringen. Es wüsste ja trotzdem noch nicht, dass es auf den sogenannten seitwärtstreibenden Schenkel seitwärtstreten soll, und es wüsste trotzdem nicht, dass ein Zungenschnalzen das Beschleunigen auslösen soll, und es wüsste vor allem nicht, wie es das körperlich schaffen sollte, eine Last zu tragen. Und selbst wenn ich mich als Pandas „Rudelführerin“ aufspielen würde, hätte ich immer noch keine Ahnung vom Agility und wüsste weder, wie ich die Hindernisse anlaufen muss, noch wie Pandas verschiedene Signale lauten. Es führt kein Weg daran vorbei, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, und, solange einem noch die Worte fehlen, die Beziehung nicht infrage zu stellen.

 

Katharina Möller…

…  ist FN-Trainerin A Leistungssport und hat sich der klassischen Reitlehre verschrieben. Besonders wichtig sind ihr ein pferdegerechter Umgang, sowie die Förderung von Harmonie und einer feinen Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. Sie betreibt den Ausbildungsstall „An den Hofstätten“ im thüringischen Dielsdorf, gibt deutschlandweit Kurse und hat bereits mehrere Bücher und eine DVD im Cadmos-Verlag veröffentlicht. Ihre beiden Hunde begleiten sie in ihrem (Pferde-)Alltag und auf Ausritten und im Februar erscheint ihr gemeinsames mit Madeleine Franck geschriebenes Buch „Praktische Ausbildung für Pferd und Hund“.

 

Praktische_Ausbildung_für_Pferd_und_HundBuchtipp

Katharina Möller, Madeleine Franck

Praktische Ausbildung für Pferd & Hund. Von der Stallgasse bis zum gemeinsamen Ausritt

ISBN 978-3-8404-2049-8

128 Seiten, broschiert, 19,95 €

 

  • Grundsätzliches zum Hund
  • Grundsätzliches zu Pferd und Reitkenntnissen
  • Organisation im Reitstall
  • Pferd und Hund gemeinsam trainieren
  • Gemeinsam Spaß haben

 

Madeleine Franck: „Ich kenne viele Reiter, die gleichzeitig Hundebesitzer sind und ihre begrenzte Freizeit am liebsten mit Pferd und Hund gemeinsam verbringen würden. Bei manchen klappt das problemlos, aber in vielen Fällen scheitert diese Wunschvorstellung daran, dass der Hund sich am Stall nicht brav benimmt, die Hofkatzen jagt, es Stress mit anderen Hunden gibt, er sich beim Anblick der Pferde aufregt oder sogar Angst hat, im Gelände nicht abrufbar ist und so weiter. Auf der anderen Seite ist auch nicht jedes Pferd ohne die entsprechende Vorbereitung hundekompatibel. Für dieses Buch haben Katharina und ich unser Wissen und unsere Erfahrungen über Pferde und Hunde zusammengetragen, um allen möglichen Problemen vorzubeugen, bevor sie überhaupt entstehen – für einen entspanntes Miteinander und viele schöne gemeinsame Erlebnisse!“

 

 

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