Frust und Lust. Oder: Warum gutes Training ein bisschen frustrierend sein sollte

Von Rolf C. Franck

— Leseprobe aus der SPF 21 —-

Das positive Hundetraining im deutschsprachigen Raum hat eine etwa 20-jährige Geschichte hinter sich. Anfang bis Mitte der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts wollten immer mehr Hundebesitzer und besonders Trainer andere Wege gehen. Sie waren nicht mehr bereit zum damals üblichen Hundeplatzdrill mit Exerzierplatzatmosphäre. Drakonische Bestrafungen, oft durch harte Leinenrucks mit Ketten- oder sogar Stachelwürgern oder Schlimmeres, waren damals völlig normal. Mit den sogenannten neuen Hundesportarten, zunächst Agility und später Obedience und Dogdancing, kam jedoch neuer Wind in die Hundeplatzszene.

Diese neuen Arten der Freizeitbeschäftigung mit dem Vierbeiner gelangten alle zunächst aus Großbritannien und Amerika nach Deutschland. Und mit ihnen kamen die fortschrittlichen Methoden der Ausbildung über positive Motivation statt Einschüchterung. Parallel dazu kamen englischsprachige Bücher nach Deutschland, die ganz neue Sichtweisen und Techniken vermittelten. Besonders das Clickertraining bewirkte eine richtige Aufbruchsstimmung, als es sich mit der Jahrtausendwende immer mehr verbreitete. Fasziniert schaute man damals dabei zu, wie Hunde freudig und freiwillig mitarbeiteten. Es tat sich eine ganz neue Art der Verständigung zwischen Zwei- und Vierbeinern auf. Alles schien plötzlich möglich, wenn man sich nur gut genug mit den Lerntheorien und ihren vier Quadranten auskannte. Was viele nun ein für alle Mal hinter sich lassen wollten, war Hunde zu etwas zu zwingen und zu bestrafen. „Hands off“, also das Training ohne Berührung des Hundes, war das Ziel. Ganze Bücher wurden darüber geschrieben, warum Strafe überhaupt nicht funktionieren würde und welche zahlreichen negativen Nebenwirkungen sie hätte.
So entstand eine „Positivszene“ mit hohem moralischem Anspruch an sich selbst und andere. Besonders verpönt scheint es unter Positivtrainern zu sein, Übungen „über Frustration“ aufzubauen. Genau auf diesen Punkt möchte ich in diesem Artikel eingehen.

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Was ist Frustration?
Der Brockhaus beschreibt den Zustand der Frustration als ein Erlebnis der Enttäuschung, welches meist durch das Nichteintreten eines sicher erwarteten Ereignisses oder durch eine Zurücksetzung, Nichtbeachtung, ungerechte Behandlung oder eine versagte Befriedigung ausgelöst wird. Ist das wirklich die ganze, traurige Wahrheit? Ist Frustration nicht auch der Zustand der unerfüllten Wünsche? Der Grund, warum die Zwölfjährige beharrlich ihr Taschengeld spart, in der Hoffnung, sich später das ersehnte eigene Pony kaufen zu können? Oder der Grund, Stunde um Stunde zu üben, um später einmal Geige zu spielen wie David Garrett? Frustration ist auch ein (noch) unerfülltes Verlangen, ein Motivator, um es wieder und wieder zu versuchen, um das große Ziel zu erreichen.

 

Frust nervt
Mir geht es wie allen anderen: Wenn ich frustriert bin, weil etwas nicht klappt, fühle ich mich sehr genervt. Es ist kein gutes Gefühl, einfach nicht weiterzukommen, immer wieder Rückschläge zu erzielen und keine Lösung in Sicht zu haben. Es ist daher sehr verständlich, dass viele Hundeleute ihren geliebten Vierbeinern diese vermeintlich negative Erfahrung gern ersparen möchten. Wäre es nicht eh viel besser, in einer Welt ohne Frustration zu leben, in der man seine Ziele ohne Anstrengung erreicht?
Tatsächlich spielt Frustration eine entscheidende Rolle in der gesunden Persönlichkeitsentwicklung von Hunden. Ein gutes Beispiel hierfür sind Einzelwelpen, die ja mit einem frustrationsfreien Überflussangebot an Muttermilch, ohne Geschwisterkonkurrenz, aufwachsen. Sie reagieren oft sehr ungehalten, wenn sie mal nicht bekommen, was sie wollen, und geben viel zu schnell auf. Welpen jedoch, die mit ihren Wurfgeschwistern um einen Platz an der Milchbar konkurrieren müssen, lernen sehr früh Beharrlichkeit und Zurückstecken. Beides Eigenschaften, die das Leben eines Hundes im Umfeld des Menschen sehr erleichtern.
Der Psychologe Walter Mischel bot in den 1960er-Jahren Vierjährigen einen Teller mit zwei Marshmallows an: Sie könnten entweder gleich einen essen oder aber warten, während der Forscher den Raum verließ, und bei seiner Rückkehr beide bekommen. Mischel fand bei Langzeitfolgeuntersuchungen heraus, dass die Fähigkeit oder Unfähigkeit eines Vierjährigen, der Versuchung zu widerstehen, eine zuverlässige Prognose seines Schulerfolgs mit 14 Jahren ermöglichte und dass diejenigen, die mit vier Jahren auf die Rückkehr des Forschers gewartet haben, mit 27 Jahren in der Regel erfolgreicher, umgänglicher und weniger anfällig für Drogenprobleme waren.
Ähnliche Effekte meine ich bei Hunden zu beobachten. Seit vielen Jahren arbeiten wir bereits in der Welpenschule mit Frustrationsübungen, um die jungen Hunde in Selbstbeherrschung und Beharrlichkeit zu schulen. Dies geschieht unter anderem mit gezieltem Spieltraining und durch Übungen wie Susan Garretts „It’s Yer Choice Game“. Frustrationserlebnisse und der richtige Umgang mit ihnen sind also wichtige Bestandteile der gesunden Persönlichkeitsbildung. Wie ist es aber im Hundetraining? Ist Frustration hier tatsächlich so schädlich?

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Das Märchen vom rein positiven Training
Unter positivem Hundetraining werden verschiedene Aspekte verstanden. An erster Stelle sicher, dass mit positiver Verstärkung gearbeitet wird. Das heißt vereinfacht, es springt für den Hund etwas heraus, worüber er sich freut. In vielen Fällen ist das sicher Futter, aber es kann alles sein, wovon der Vierbeiner aus seiner Sicht noch nicht genug hat. Weiterhin wird das Training oft dadurch charakterisiert, dass man mit positiven Zielen arbeitet. Statt negativ auf unerwünschtes Verhalten einzuwirken, trainiert man lieber das erwünschte. Man versucht zum Beispiel nicht, dem Hund zu vermitteln, dass Anspringen verboten ist, sondern lehrt ihn das erwünschte Begrüßungsverhalten. Ein weiterer Punkt ist, dass es sich für alle Beteiligten, vor allem das Tier, positiv anfühlen soll. Etwas paradox scheint, dass sich Positivtrainer oft als Erstes mit einer Negierung profilieren: gewaltfreies Training. Es fühlt sich gut an, es gut mit den Hunden zu meinen, sich von den Grobianen der Trainerzunft abzusetzen. Genauso gut scheint es zu sein, die Vierbeiner nicht mit Frustration zu trainieren. Aber ist das wirklich so?

Positive Verstärkung kann nur funktionieren, wenn dabei ein unbefriedigtes Bedürfnis des Hundes gestillt wird. Futterbelohnung kommt nur dann als Verhaltensverstärker an, wenn das Tier hungrig ist oder wenigstens Appetit hat. Spielbelohnung ist nur effektiv, wenn das Verlangen nach Spiel nicht befriedigt ist. In beiden Fällen könnte man ebenso gut sagen, dass der Hund bezüglich seines Nahrungs- oder Spielbedürfnis mehr oder weniger frustriert sein muss, damit er motiviert ist, sich anzustrengen, Lösungen zu finden. Gerade die Kardinalstechnik des Clickertrainings, das Free Shaping (Freie Formen), wird durch die Frustration des Hundes angetrieben. Er bietet ein Verhalten an, erzielt keinen Click und versucht etwas anderes. Dabei laufen immer wieder Versuche ins Leere, bis seine Trainerin ein Verhalten erkennt, das dem Lernziel näherkommt. Nun entscheidet sie, ob sie das Verhalten noch zwei-, dreimal belohnt oder direkt das Kriterium erhöht. Der ganze Prozess wird nicht vom Erfolg des Hundes angetrieben, sondern von der Frustration durch Misserfolge. Dies gilt umso mehr, je langsamer das Shaping vorankommt.
In den Anfangsjahren des Clickertrainings wurde das Free Shaping als wahre Offenbarung angesehen und universell eingesetzt. Inzwischen sind viele Ausbilder, zum Beispiel im Dogdancing und Obedience, dazu zurückgekehrt, Elemente mit Locken oder Führen mit dem Handtouch anzubahnen. Dies unter anderem, weil die Hunde vermehrt ihrer Frustration mit unerwünschten Geräuschen Luft gemacht hatten. Fest steht jedoch, dass das positive Hundetraining immer einen mehr oder weniger großen Aspekt der Frustration der Hunde beinhaltet. Auch wer mit funktionalen Verstärkern arbeitet, also dem Hund als Belohnung beliebte Verhaltensweisen wie Löcher-Buddeln oder Ähnliches erlaubt, nutzt das Frustprinzip. Diese Verhaltensweisen müssen nicht nur unter Signalkontrolle gebracht, sondern im Alltag des Hundes deutlich eingeschränkt sein, um gute Verstärker abzugeben. Ein Hund, der sein Bedürfnis nach Buddeln gerade ausgiebig gestillt hat, wird es kaum noch als Belohnung ansehen, dies dann auf Erlaubnis des Menschen zu tun.
Wer behauptet, dass er nur positiv arbeitet und auf Frustration verzichtet, sagt schlicht nicht die Wahrheit. Es könnte außerdem sein, dass sein Training viel zu langweilig ist, um gute und ablenkungsresistente Ergebnisse zu bringen.

 

Die böse negative Verstärkung
Die wenigsten Positivtrainer würden vermutlich auf Nachfrage angeben, dass sie mit negativer Verstärkung arbeiteten. Die klassische Definition des Begriffs gibt Wikipedia wie folgt wieder:
„Von negativer Verstärkung wird gesprochen, wenn ein unangenehmer Reiz entfernt wird. Die negative Verstärkung führt – wie die positive Verstärkung – zu einer Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten.“

Bei einem Seminar in diesem Sommer war für das praktische Training eine Wiese vorgesehen, die in einer wunderschönen Landschaft lag. Es fühlte sich toll an, nach einem Vormittag im Seminarraum die frische Luft, die Sonne und den Anblick der Landschaft zu genießen. Man könnte sagen, das Hinausgehen wurde durch das Hinzufügen von Sonnenschein, köstlicher Frischluft und der Aussicht positiv verstärkt. Als Seminarleiter war ich sicher nicht der Einzige, dem das lange Stillsitzen im Seminarraum unangenehm geworden war, und vermutlich fühlten sich alle mehr oder weniger erleichtert, den Raum verlassen zu können. Also wurde das Hinausgehen wohl auch noch negativ verstärkt??
Schon nach kurzer Zeit realisierten wir, dass die Sonne auf der Wiese doch sehr brannte und die Temperaturen langsam unangenehm wurden, besonders für die Hunde. Ich entschied gemeinsam mit den Veranstalterinnen, dass wir für die weiteren praktischen Einheiten den nahen Wald aufsuchen wollten. Der Weg dorthin war in der Hitze etwas beschwerlich und daher wurde das In-den-Wald-Gehen eindeutig negativ verstärkt. Die unangenehme Hitze wurde sozusagen weggenommen. Als wir dann unter den großen Bäumen weiterarbeiteten, stellten alle fest, was für ein schönes Plätzchen wir da gefunden hatten. Also doch positive Verstärkung? Jedenfalls gingen wir am zweiten Tag gleich zum Üben an diese Stelle, das Verhalten In-den-Wald-Gehen war also schnell erlernt.
Was ich mit dieser kleinen Geschichte zeigen möchte ist, dass positive und negative Verstärkung die beiden Seiten der gleichen Medaille sind und dass das eine nicht ohne das andere vorkommt. Besonders deutlich wird dies bei einer in der Positivszene sehr beliebten Technik, die „Nothing in Life is Free“ (NILIF) genannt wird. Die deutsche Version dazu wäre NILIG (Nichts im Leben ist gratis). Dies bezieht sich meist auf das tägliche Futter des Hundes, das er sich im Lauf des Tages mit erwünschtem Verhalten und Übungen in einzelnen Futterbrocken verdienen muss. Da ja nur mit positiver Verstärkung gearbeitet wird, handelt es sich vermeintlich um eine gute, hundefreundliche Technik, oder nicht? Könnte man jedoch den Hund fragen, der die erste Hälfte des Tages mit riesigem Kohldampf herumlaufen muss, eventuell sogar unterzuckert, würde er sicher von negativer Verstärkung sprechen. In meiner Praxis hatte ich schon mehrere Hunde, die über längere Zeit auf diese Art „positiv“ trainiert wurden und aus meiner Sicht darunter litten. Einer von ihnen hatte zum Beispiel ein Begegnungsproblem mit Artgenossen, das sich aber „komischerweise“ nur in der ersten Hälfte des Tages zeigte!

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Der Frust des Hundehalters
Ein weiteres Problem des positiven Trainings ist, dass sehr oft nur auf der Ebene eines kognitiven Tauschgeschäfts trainiert wird. Der Hund zeigt ein Verhalten und erhält eine Gegenleistung. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden, denn der Deal läuft ja fair ab, jedenfalls solange Frauchen angemessen zahlt. Die allermeisten Hundehalter, alle Hundesportler und besonders Profis wünschen sich aber, dass der Hund das erlernte Verhalten später auch ohne Belohnung zuverlässig zeigt. Hier wird immer noch empfohlen, die „Belohnungen“ nach dem Zufallsprinzip zu vergeben, um das Verhalten so resistent gegen Auslöschung zu machen. Ein Prinzip, das sicher toll in der Skinnerbox oder im Delphinbecken klappt, vielleicht noch im Wohnzimmer des Hundehalters, aber nicht unbedingt im richtigen Leben. Wahrscheinlich trifft der Hund dann irgendwann eine bewusste Entscheidung gegen den erwarteten Verstärker, der eh schon lange nicht mehr sicher ist, und bedient sich stattdessen an den auf dem Spaziergang reichlich vorhandenen Verlockungen. Das ist für den Besitzer sehr frustrierend, besonders wenn er vorher so lange und geduldig positiv trainiert hat. Die andere Möglichkeit ist, dass einem der situative Erregungszustand des eigenen Hundes einen Strich durch die Rechnung macht. Bewusstes Handeln, also Gelerntes abzurufen, wird dadurch erschwert, bei hoher Erregung sogar unmöglich. Diese Erregungszustände entstehen gleichermaßen durch starke positive wie negative Emotionen. Egal ob der Hund Wut auf den Lieblingsfeind empfindet, oder ihn das flüchtende Reh so erregt, das intensiv trainierte Wohlverhalten wird sich frustrierend schnell verflüchtigen.
Dummerweise sind es genau diese Szenarien, bei denen es drauf ankommt.

 

Das Seeking System
Der Psychiater Jaak Panksepp hat den größeren Teil seines beruflichen Lebens damit verbracht, die emotionalen Systeme des Gehirns zu erforschen. Eines der wichtigsten Systeme ist das sogenannte Seeking System (Motivationssystem). Es ist immer dann aktiv, wenn zum Beispiel ein Hund nach lebenswichtigen Ressourcen sucht, sie findet und sich aneignet. Pankseep schreibt, dass die Aktivität dieses Systems lustvolle bis ekstatische Gefühle auslöst, die mit der Vorfreude auf Erfolge zusammenhängen. Diese lustvollen Empfindungen sind es beispielsweise, die das Jagdverhalten eines Hundes antreiben und es gegen Frustration und Misserfolg resistent machen. Ein Verhalten, das das Überleben des Hundes sichern muss, darf durch Fehlversuche schließlich nicht infrage gestellt werden. Interessant ist, dass das Seeking System beendet wird, wenn das Ziel erreicht ist, in diesem Beispiel also beim Verzehren der Jagdbeute.
Dieses System ist für die allermeisten Lernprozesse verantwortlich und bewirkt eine Emotionsänderung von Frustration nach Erleichterung. Lassen wir uns das einmal auf der Zunge zergehen: Wenn wir es erreichen, dass das Seeking System beim Hundetraining aktiv ist, empfindet der Hund den Prozess als hochgradig lustvoll. Weiterhin wird das trainierte Verhalten unabhängig von der erwarteten Belohnungswahrscheinlichkeit. Wie cool ist das denn? Das Seeking System wird durch alle Aktivitäten angeregt, die sich im Spannungsbogen zwischen Frustration und Erleichterung befinden. Das Gefühl der Frustration ist also auch in dieser Hinsicht sehr wichtig für gutes und effektives Hundetraining, möglicherweise ist es sogar der entscheidende Faktor. Nun bleibt natürlich eine Frage offen: Wie lässt sich das praktisch umsetzen?

 

Intervalltraining
Diese Trainingstechnik entwickelte ich bereits, bevor Panksepp seine bahnbrechenden Erkenntnisse publizierte. Sie entstand eher intuitiv und hat sich als sehr effektiv herausgestellt, um das Training lustvoll für den Hund zu gestalten. Gleichzeitig erreicht man schnelle Fortschritte und zuverlässige Verhaltensweisen, die auch in Prüfungssituationen oder unter den Herausforderungen des Alltags bestehen. Die Theorie des Seeking Systems ist die perfekte Erklärung dafür. Die Intervalle dieser Technik bestehen aus einer Phase der gezielten Frustration, dem Übungsintervall und der neutralen Phase. Die Frustrationsphase wird mit einer Ankündigungssatz, wie zum Beispiel „Hast du Bock?“ oder „Willst du arbeiten?“, verknüpft, mit dem die spannungsvolle Vorfreude später direkt aktiviert werden kann. Das Übungsintervall startet mit dem Hörzeichen der Übung, also „Sitz“, „Platz“, „Fuß“ und Co., und endet mit Aussprechen eines Auflösungsworts wie „Okay“ oder „Fertig“, das die neutrale Phase einläutet.

Zu Anfang bedeutet dies, dass man eine Handvoll Futter nimmt und den Hund auf die Leckerchen heißmacht, also gezielt frustriert. Dies wird mit dem Ankündigungssatz begleitet. Dann hört der Hund das Hörzeichen für die Übung, zum Beispiel „Sitz“, und hat nun endlich die Lösung für sein „Problem“: Er erfährt, was er tun muss, um an das Futter zu kommen. Während der Ausführung wird er mehrfach beclickt, gefüttert und intensiv gelobt. Mit dem Okay-Wort beendet man die Übung, ebenso das Loben, und es gibt keine Clicks und Belohnungen mehr. Nach dem Auflösungssatz soll der Hund die eingenommene Position verlassen und hat Freizeit.
Nach kurzer Pause beginnt das Ganze wieder von vorn. Bald wird die Anforderung erhöht, indem zum Beispiel nur noch geclickt und gelobt wird, wenn der Hund einer Ablenkung widersteht. Dies könnten Bewegungen des Menschen sein, Ablenkungen durch andere Hunde in der Nähe oder was auch immer. Das Wechselspiel aus Frustration und Erleichterung wird so mit jeder Wiederholung mehr zu einem Kreislauf. Vorher steigt die Spannung der Vorfreude, die Erleichterung wird mit dem Hörzeichen initiiert und mit jedem Click in der Übung erhöht. Nach dem Auflösungswort ist der Hund etwas enttäuscht beziehungsweise frustriert, dass die schöne Übungsphase leider, leider schon vorbei ist.
Sobald der Prozess des Intervalltrainings fest verknüpft ist, braucht man nicht mehr mit den Leckerchen zu wedeln, um den Hund in die Vorfreudestimmung zu bringen, sondern benutzt nur noch den Ankündigungssatz. Dieses Ritual kann sinnvollerweise noch um ein weiteres Hinweiswort ergänzt werden, das dem Hund signalisiert, welche Übung als Nächstes kommt. Zum Beispiel sagt man dann zur Ankündigung: „Hast du Bock auf Fußgehen?“ So kommt der Hund nicht nur in die richtige Stimmung, sondern hat nach einigen Wiederholungen sogar ein mentales Bild der nächsten Übung.

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Madeleine Franck

 

Frust und Lust
Das Intervalltraining ist nur eine Beispieltechnik, die den genannten Spannungsbogen herstellt. Letzten Endes kommt es darauf an, dass das Training immer in diesem Sinne spannend ist. Im Hundetraining reicht es nicht, nur die Lerninhalte zu vermitteln. Es muss immer eine Einstellung zu den Übungen geschaffen und gefestigt werden, die ein gehöriges Maß an Begeisterung enthält. Begeisterung fürs Lernen, für die Übungen und den eigenen Menschen. Was das Vermitteln von Lerninhalten angeht, sind wir Positivtrainer sehr gut, aber was das Vermitteln der Einstellung angeht, hapert es oft noch. Die unangenehme Wahrheit ist, dass gerade Trainer, die eher mit unfreundlichen Techniken arbeiten, in diesem Bereich viel besser sind. Das darf nicht so bleiben!

 

Strafe funktioniert
Mir scheint, dass sich die Vertreter aus der Positivecke manchmal dadurch etwas disqualifizieren, dass sie behaupten, Training mit Strafe würde nicht funktionieren. Es wäre schön, wenn dem so wäre, aber es gibt unendlich viele Beispiele von sehr erfolgreichem Training mit unakzeptablen Methoden. Abgesehen davon würde niemand mehr so arbeiten, wenn es tatsächlich nicht effektiv wäre. Glücklicherweise wächst die Zahl der Hundehalter, die sich eine freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Hund wünschen. Sie möchten ihm nicht wehtun und ihn nicht einschüchtern. Ich höre aber auch immer wieder, dass es zahlreiche solcher Hundebesitzer gibt, die mehrere Kurse in einer positiv arbeitenden Hundeschule besucht haben und sich frustriert an einen anderen Trainer wenden, weil sie mit den Ergebnissen nicht zufrieden sind. Dort wird der Hund dann einmal ordentlich „eingenordet“, und plötzlich funktioniert alles. Dies klappt in der Regel, gerade weil dem Hund vorher alles gründlich mit positiven Mitteln beigebracht wurde.
Wenn wir Positivtrainer mithalten wollen, reicht es nicht aus, ein gutes Gefühl und eine hohe Moral zu haben. Das Training muss so gut sein, dass es schnell, unter Ablenkung und in schwierigen Situationen funktioniert. Letzten Endes haben wir auch keinen Grund, uns aufs hohe Ross zu setzten, wenn man bedenkt, wie die vielbesungenen „modernen“ wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Grundlage unserer Arbeit sind, entstanden. Die meisten begeisterten Anhänger der behavioristischen Lerntheorie mit den vier Quadranten würden ohnmächtig werden, wenn sie dabei zusehen müssten, was Skinner vor mittlerweile rund 80 Jahren (!) in seiner berühmten Box alles mit den Tieren veranstaltet hat. Natürlich gelten die Gesetze behavioristischer Lerntheorie nach wie vor. Anders als im Versuchslabor stehen unsere Hunde aber noch unter ganz anderen Einflüssen. Wir wissen, dass sie fühlende und denkende Wesen sind, was von manchen Behavioristen immer noch bestritten wird. Beinahe wöchentlich kommen Nachrichten von (wirklich) neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Fähigkeiten und Eigenschaften unserer Hunde, bei denen sich Skinner vermutlich die Augen reiben würde. Eine dieser jüngeren Erkenntnisse ist Panksepps Beschreibung des Seeking Systems. Es wird höchste Zeit, dass wir unser Hundetraining daran ausrichten und bewusst im Spannungsfeld zwischen Frust und Lust agieren. Nicht nur, weil das Training dadurch effektiver wird und die Ergebnisse zuverlässiger, es macht dem Vierbeiner auch noch mehr Spaß.
Rolf C. Franck…
… Dipl. CABT, ist der einzige deutsche Inhaber des Diploms in Heimtierverhalten und –training am Zentrum für angewandte Verhaltenskunde (COAPE Institut, England), hat etwa 25 Jahre Erfahrung in der Hundeausbildung und ist außerdem als professioneller Verhaltensberater tätig. Gemeinsam mit Madeleine Franck leitet er die Partnerschule für Mensch und Hund in der Nähe von Bremen. Unser dem Namen Blauerhund veranstalten sie Ausbildungskurse, Fortbildungsseminare und Vorträge für Hundebesitzer und Trainer, in denen es immer auch darum geht, Hunde emotional zu verstehen und zu trainieren.
Weitere Infos:
www.blauerhund.de
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