Die Intelligenz der Gefühle und ihre Bedeutung für den Umgang mit Hunden

Gefühle2_shutterstock_3469502Von Elisabeth Beck – Leseprobe aus SPF 15, erhältlich ab April.

 Ein Mann, den wir hier E. nennen wollen, kommt mit seinem Hund zu einer Einzelstunde in die Hundeschule. Er erklärt dem Trainer, er brauche etwas Unterstützung bei der Übung „Platz und Bleib“. „Platz“ könne der Hund schon, aber er, E., habe es allein nicht geschafft, ihn dazu zu bringen, auch liegen zu bleiben, wenn er sich entfernt.

„Kein Problem“, sagt der Hundetrainer. Hier ist mein Fachwissen gefragt, denkt er. Allerdings erklärt ihm sein neuer Kunde sofort, er habe sich bereits Gedanken gemacht, wie man vorgehen könnte. Er sei ein Anhänger der positiven Verstärkung. Er würde daher den Hund ablegen und belohnen, danach einen Schritt zurücktreten, wieder belohnen, allmählich den Abstand vergrößern, dabei immer wieder zurückkommen und belohnen, bis er sich schließlich umdrehen und nach einiger Übung sogar weggehen könne.

Der Trainer ist verblüfft. Er hat keine Einwände gegen diese Vorgehensweise, versteht jedoch beim besten Willen nicht, warum E. seine Hilfe benötigt, wenn ihm doch der Übungsaufbau so klar ist.

In der Praxis aber sieht alles ganz anders aus. E.s Körpersprache ist unkoordiniert und unklar. Vor allem aber wiederholt er jeden einzelnen Übungsabschnitt scheinbar sinn- und planlos so lange, bis er aufgefordert wird, nun die Anforderung etwas zu steigern und zum nächsten Schritt überzugehen.

Wie kann ein so intelligent wirkender, bewanderter und engagierter Mann solche Schwierigkeiten bei einer Übung haben, die ihm doch von Anfang an völlig klar war?, fragt sich der Trainer. In einer schweren Gefühlsstörung würde er allerdings kaum die Ursache dieses Problems vermuten. Dennoch liegen E.s Schwierigkeiten genau daran. E. ist ein Mann ohne Emotionen. Nach einer Hirntumoroperation ist sein Gefühlserleben praktisch erloschen. Er hat daher auch kein „Bauchgefühl“.

Wahrscheinlich würden die meisten Menschen – genau wie der Trainer – gar nicht auf die Idee kommen, Phänomene wie Entscheidungsschwierigkeiten auf einen Mangel an Gefühlen zurückzuführen. Das wiederum hat mit der Rolle zu tun, die man den Gefühlen im Verlauf der Geschichte zugewiesen hat.

 

Wie wir alle zur Vernunft gebracht wurden

Es begann in der Antike, als Sokrates sich über die bunte, schwärmerische Welt der Mythen erhob. Der wissenschaftliche Mensch unter der Vorherrschaft der Vernunft war geboren. In Sokrates’ Fußstapfen trat Schüler Plato. Er verglich die menschliche Vernunft, die Ratio, mit dem Lenker eines Wagens, der von störrischen Pferden – den Gefühlen – mal in die eine, mal in die andere Richtung gerissen wird, wenn „Kutscher Ratio“ die „Gäule“ nicht zügelt. Platos Schüler Aristoteles schließlich unterschied sogar zwischen einer Seele der reinen und edlen Vernunft auf der einen und einer triebhaften, primitiven Gefühlsseele auf der anderen Seite. Letztere teilten sich in Aristoteles’ Weltbild die Tiere mit den Frauen und den Sklaven. Allein der freie Mann konnte sich rühmen, über die edle Seele der Vernunft zu verfügen.

Im 17. Jahrhundert sang René Descartes, der „Vater der neuzeitlichen Philosophie“, das Hohelied der Vernunft. Er prägte den Satz: „Ich denke, also bin ich“ – wobei für ihn selbstverständlich nur der Mensch denken konnte. Den Tieren sprach Descartes nicht nur die Fähigkeit des Denkens, sondern auch jede Art von Gefühl ab. Das galt sogar für „Urgefühle“ wie zum Beispiel Angst. Schmerzensschreie einer gequälten Kreatur etwa bezeichnete er als „nichts weiter als das Quietschen einer Maschine“.

Im 19. Jahrhundert sorgte Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie für Aufsehen. Er zeigte, dass alle Lebewesen miteinander verwandt sind. Er forschte und schrieb sogar über den Ausdruck von Emotionen bei Menschen und Tieren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber entwickelte sich der Behaviorismus zur einflussreichsten Strömung innerhalb der Psychologie – und den Tieren kamen erneut die Gefühle abhanden.

Die Behavioristen – ihr wichtigster Vertreter war B. F. Skinner – beschäftigten sich mit Konditionierungsprozessen und forschten dabei überwiegend an Tieren. Sie griffen das mechanistische Bild vom Tier wieder auf – und wandten es letztlich auch auf den Menschen an. Gegenstand der Forschung sollte nun ausschließlich beweisbares und beobachtbares Verhalten sein. Mensch und Tier wurden zu einer Art Reiz-Reaktions-Maschine und der Psychologie kam die Psyche abhanden.

Während viele Menschen, die mit Tieren lebten, im Umgang mit ihnen ganz selbstverständlich auch ihr Bauchgefühl benutzten und zu keiner Zeit bezweifelten, dass ihre Vierbeiner über Gefühle verfügten, sprach die offizielle Wissenschaft bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts den Tieren die Fähigkeit zu denken und sämtliche Gefühle ab. Und da der Stellenwert der Gefühle auch in der Menschenwelt mehr als bescheiden war, ist es letztlich kein großes Wunder, dass man auch Hunde ausschließlich mit dem Kopf trainieren sollte: Der rational gesteuerte Mensch schuf Programme zum Training nicht denkender Lebewesen. Auf diese Weise entwickelten sich Hundetrainingsmethoden, die eher an Bedienungsanleitungen oder an Rezepte erinnerten als an den Umgang mit lebendigen Wesen.

 

Man nehme einen Hund …

Wer das richtige Rezept hat und dieses genau befolgt, bekommt einen folgsamen, lieben Hund. Das ist zumindest das Fazit, das man ziehen könnte, wenn man so manche Hundetrainingsbücher und Fernsehsendungen über das Training und die Therapie von „Problemhunden“ oder Hundeproblemen genauer betrachtet. Was aber ist das richtige Rezept?

Wenn Sie mit der Hundeszene zu tun haben, werden Sie die erbitterten Kämpfe kennen, die zwischen zwei Basislagern des Hundetrainings ausgetragen werden. Die einen sehen sich als „Rudelführer“ und setzen auf eine strenge, klare Rangordnung zwischen Mensch und Hund – wobei der Mensch selbstverständlich „oben“ zu sein hat, der Hund „unten“. Die anderen sind die sogenannten Softies. Das sind die mit den Futterbelohnungen.
Zwar gibt es unzählige Mischformen und Trainingssysteme mit fantasievollen Namen, die alle für sich beanspruchen, brandneu zu sein und auf den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beruhen – letztlich gehen aber (fast) alle auf nur zwei theoretische Grundlagen zurück: Während sich die „Rudelführer“ auf die Dominanztheorie berufen, schwören die „Softies“ auf Konditionierung, die sich auf positive Verstärkung beschränkt, also ausschließlich oder überwiegend mit Belohnung arbeitet.
Anhänger der Dominanztheorie gehen davon aus, dass es notwendig sei, den Hund dem Menschen „unterzuordnen“ – wobei es bis heute keine einheitliche Meinung darüber gibt, was Dominanz eigentlich bedeutet. Das Dominanzkonzept brachte so manche bizarre Verhaltensregel hervor, und bis heute werden im Namen der „Unterordnung“ auch eindeutig tierquälerische Handlungen begangen. Eine weitere tragische Folge der Vorstellung, der Hund strebe ständig danach, die Führung an sich zu reißen, führt in vielen Fällen dazu, dass Mensch mit seinem Hund in einer Art kaltem Krieg lebt: Man muss doch stets gegen Angriffe auf den eigenen Alphastatus gewappnet sein …
Neuere Studien an Wölfen und Hunden führen das Dominanzmodell ad absurdum. Wölfe, so wissen wir heute, leben in Familien, wobei das Elternpaar die Gruppe anleitet und die Aktivitäten in einem System von Arbeitsteilung anführt.
Wie aber sieht es mit den Theorien der „Softies“ aus, mit den „Konditionierern“, die neben Futterbelohnungen meist auch noch einen Knackfrosch mit sich herumtragen und die Regeln der skinnerschen Lerntheorie aus dem Effeff beherrschen?
(…)

Dies ist nur eine kurze Leseprobe, den vollständigen Artikel finden Sie in der SPF 15, erhältlich ab April. Bestellen Sie das Bookazin jetzt schon vor im Cadmos-Shop! Oder werden Sie doch einfach Abonnent! 🙂

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